So ist sein Wesen 1. Lesung: Sir 27,30 | 2. Lesung: Rom 14, 7-9| Evangelium: Mt 18, 21-35
Siebzigmal siebenmal vergeben! Es ist eine Ansage. Wer schafft das? Selbst ganz bemühten Menschen scheint es eine Überforderung zu sein? Einige Überlegungen dazu:
Jesus leitet die Erklärung seiner Antwort an Petrus mit den Worten ein: Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König. Wir Menschen machen die Erfahrung, wenn sich jemand gegen uns versündigt, uns tief verletzt, dann können wir vielleicht vergeben, aber wir können es nicht vergessen. Manchmal kommen immer wieder Wut und Zorn hoch oder Anlässe können wieder und wieder Gedanken der Rache und Vergeltung aufsteigen lassen. Ein Vergeben als ob nichts gewesen wäre, das kann ich nicht, sagte ein Mann zu mir als wir über die Bibelstelle diskutierten.
Jesus leitet seine Gedanken – nochmals – mit den Worten ein: Mit dem Himmelreich ist es wie … Wenn Jesus von Reich Gottes oder Himmelreich spricht, dann geht es über das menschlich Machbare hinaus. Wir Menschen haben unsere Grenzen und Begrenzungen, uns ist gerade nicht alles machbar. Da, wo wir nicht vergessen können, dürfen wir immer noch mit dem Wirken Gottes rechnen. Mit Himmelreich ist uns eine Hoffnung aufgerichtet, die den Rahmen des menschlichen Denkens, des Vor- und Abrechnens sprengt und wir eine Vergebung erhoffen dürfen, die unser Fassen übersteigt. Wir dürfen es Gott zutrauen, dass alle Vorhaltungen und Vorwürfe, alle Wunden und Verletzungen, alle zwischen uns stehenden Abgründe und Gräben ein Ende finden werden. Oder anderes gesagt: Die Beziehungen von ihm versöhnt und geheilt werden.
Es ist sein Wesen: Erbarmen, neu anfangen lassen, ins Leben lieben.
Warum stellt Petrus die Frage: Wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Es deutet an, dass hinter der Frage ein ernstes Problem liegt. Er ahnt seine Grenzen.
Wenn wir diese Bibelstelle zu verstehen suchen, dann gilt es auch die vorausgehenden Aussagen mit zu bedenken. Wir haben es letzten Sonntag gehört. Da erklärt Jesus den Jüngerinnen und Jüngern, wie sie im Konfliktfall vorgehen sollen: Zunächst besprich es unter vier Augen. Wenn es keine Einsicht gibt, dann nimm eine oder eine zweite Person dazu. Ist jemand immer noch nicht einsichtig, dann binde die Gemeinde ein. Sollte auch das nicht fruchten, dann sei dieser Mensch für dich wie ein Heide oder Zöllner (Mt 18,17). Mit anderen Worten: Geh auf Distanz.
Jesus fordert oft viel, aber es geht ihm nie um eine Überforderung. Moralische Überforderungen sind Gift für das Heil eines Menschen und Gift für jedes menschliche Zusammenleben. Vergeben kann das auf Distanz gehen oder bewahren einschließen.
Was heißt vergeben? Es ist kein Vergessen. Vergeben ist zunächst einmal die Arbeit daran, den Zorn und die Wut bzw. alle Vergeltungs- und Rachegefühle so zu bändigen, dass auf Vergeltung und Rache verzichtet wird. Es ist die Abkehr, einem Menschen – „Sünder“ – Böses zu gönnen. Vielleicht kann jemand sogar zur Haltung finden, dem Schuldiggewordenen ein gutes Leben zu wünschen.
Nicht vergeben bedeutet: Ich verweile weiter in Hass- und Rachedenken. Das schadet dem Gegenüber. Es schadet nicht weniger dir selbst. Hass und Rache zerfressen das Innere eines Menschen, die Menschlichkeit. Aus dieser Sackgasse will Jesus den Petrus, will das Evangelium uns alle herausführen. Dazu braucht es das Vergeben und ein sich nicht von Hass- und Rachegefühlen treiben lassen. Und sei es siebzigmal siebenmal.
Einem Menschen nichts Böses wünschen, vielleicht sogar ihm ein gutes Leben wünschen zu können, kann ein Weg sein oder werden, bei dem Menschen auf neue Weise zueinander finden, sich versöhnt wiederfinden. Wenn solches erfahren wird, ist das Himmelreich, ist das zutiefst erfüllend und beglückend. Es ist Gnade.
Wir sind Vertriebene des Paradieses. Es ist die schmerzliche Erfahrung, dass es Vorkommnisse gibt, die tiefe Abgründe zwischen Menschen entstehen lassen, manchmal ungewollt, die sich nicht einfach reparieren lassen, und die schon gar nicht mit Geld zu beseitigen sind. Es ist eine menschliche Erfahrung und schmerzliche Realität.
Jesus zeigt einen Weg auf, um in einer solchen Situation möglichst nicht Schaden zu nehmen. Was dich an geht: vergib siebzigmal siebenmal. Zugleich steht die Hoffnung, dass Gott mit uns auf dem Weg ist: versöhnend und ins Leben liebend – und nicht mehr vorgerechnet, abgerechnet oder aufgerechnet wird. Himmelreich – es wird Realität werden.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesus Sirach anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Römer anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
3 Kommentare zu “So ist sein Wesen 1. Lesung: Sir 27,30 | 2. Lesung: Rom 14, 7-9| Evangelium: Mt 18, 21-35”
Lieber Erich,
seit vielen Wochen schon lese ich mit grosser Freude deine Gedanken zu den Sonntagsevangelien. Es ist an der Zeit, dir dafür zu danken!
Deine in allen Auslegungen durchgehaltene Perspektive des “eu angelion” ist es, die mich innen drin berührt, mich ermutigt und frei lässt. Am Beispiel der Schuldfrage (7×70 mal) ist besonders gut zu zeigen, wie bedeutsam hier die angebotene Lesart dem gestörten Zusammenleben wieder Fluss verleiht. Vergebung führt uns in den Raum der Freiheit. Wenn wir etwas nicht vergeben können, ist der Segensfluss gestört: wie sehr kann ich meinem vermeintlichen “Widerpart” etwas Gutes wünschen?
Lange genug hat die Schwere der moralischen Forderungen Erlösung von der eigenen Leistung abhängig zu machen versucht. Scheitern ist hier unausweichlich. Und Gott wird so zum Scharfrichter – und der Mensch ( und vielleicht auch das “System”) an seine Stelle gerückt.
Die Evangelien aber sind aufgeschrieben worden, damit das Heil kein Menschenwerk mehr sein muss, sondern als Gottesgeschenk erlebbar werden kann. Der Unterschied ist weltbewegend! Und davon erzählen deine Beiträge.
Salut und auf bald.
Herzlich Grüße
Paul-Reiner
Lieber Pfarrer Baldauf,
jede Woche freue ich mich auf das Sonntagsevangelium und Ihre zeitgemäßen und biblich fundierten Kommentare dazu.
Zum Gleichnis vom darf ich einen weiteren Gedanken anfügen:
In Math. 5:7 heißt es:
Das hört sich für mich so an: <Man muss erst selbst barmherzig sein (vorab Leistung des Menschen), dann wird man mit Barmherzigkeit von Seiten Gottes belohnt. – Das widerspricht meiner Gottesvorstellung. Deshalb würde ich sagen: Das entspricht wohl auch psychologisch dem, was Jesus im Gleichnis veranschaulichen will. Schon im menschlichen Bereich ist ein “Beschenkter” von Natur aus großzügiger als einer, der für seine Anstrengungen auf Anerkennung hoffen muss. Bekannterweise macht Dankbarkeit froher, großherziger, nachsichtiger, versöhnlicher, antriebsstärker und dgl. –
Ein Satz aus östlichen Religionen definiert dies für mich auch sehr aussagekräftig und Jesus-nahe: “Lebe stets im Großen Erbarmen und lasse Seine Segnungen allen Lebewesen zuteil werden” –
In diesem Sinne verbunden und dankbar.
Antonie Chibesakunda
Leider fehlen in meinem Kommentar einzelne Satzteile!! z. B.
– Gleichnis vom Unbarmherzigen Knecht
– Math. 5.7 zitiert:
– Deshalb würde ich lieber sagen: >Selig/Gesegnet die, die Barmherzigkeit erfahren/verinnerlicht haben, denn sie können Barmherzigkeit weiterschenken.>