Suchender Glaube 1. Lesung: Ex 22,20-26| 2. Lesung: 1 These 1,5c-10| Evangelium: Mt 22,34-40
Eine große Stärke des Islam ist, dass die Säulen des Glaubens an den Fingern einer Hand abgezählt werden können:
- Das Bekenntnis an den einen Gott – Allah, den Erhabenen
- Das tägliche Gebet
- Das Almosengeben
- Das Fasten im Monat Ramadan
- Die Pilgerfahrt nach Mekka.
Fünf Sachen kann sich jede und jeder merken. Im heutige Evangelium fasst Jesus das gläubige Leben auf zwei Säulen zusammen: a) der Gottesliebe und b) der Liebe des Nächsten wie sich selbst. Das Christsein beruht im Kern auf diesem Doppelgebot der Liebe. Allerdings sprengt zugleich dieses Doppelgebot den christlichen Rahmen, weil es für jede Religion gelten kann: Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Zum Verständnis lege ich einige Gedanken hinzu:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken“, so lautet der erste Teil. Gott lieben, was ist das? Bei einer Antwort ist zu bedenken, wie Juden und auch Jesus damals gedacht haben. Der Jude denkt streng von Gott her – auch die Sache der Liebe. Nicht der Mensch legt fest, was Liebe ist und was Liebe bedeutet, sondern allein Gott. Es wäre als Anmaßung empfunden worden, hätte der Mensch die Liebe Gottes praktisch definiert. Der biblische Mensch ist eben ein wesentlich Hörender und nicht Sprechender, er begreift sich als Geschöpf, und als Geschöpf versucht er, die Welt nicht aus seiner Perspektive, sondern aus der seines Schöpfers zu verstehen.
Da stehen wir vor der weiteren Frage: Was sagt Gott über die Liebe? Für einen Juden und für Jesus war sie vermutlich einfacher zu beantworten als für uns heute. Für ihn ist der geschichtliche Bund Gottes mit den Menschen ein Leitmotiv. Gott schließt Bünde: Einen ersten mit Noah und der Zusage, nie mehr eine solche vernichtende Katastrophe zuzulassen; dann mit Abraham und der Zusage, ihn zu einem großen Volk zu machen, ihm einen großen Namen zu geben, er werde für die Menschen zum Segen sein; mit Mose am Berg Sinai und der Zusage, das Volk aus Knechtschaft und Sklaverei heraus zu führen und mit ihm auf dem Weg ins gelobte Land zu gehen; beim Propheten Jeremia den Neuen Bund, mit der Zusage, in jedem Herzen wird die Sehnsucht nach Gott sein, die Sehnsucht der Liebe. Alle diese Zusagen gelten für alle Glaubenden, für alle Gott liebenden.
Gott schließt einen Bund. Gott verpflichtet sich selbst dem Menschen gegenüber. Gott zeigt sich in der Geschichte als Verbündeter und dies immer wieder neu. Darin erweist sich seine Liebe und Treue. Um es anders zu sagen: Gott umarmt uns mit der Wirklichkeit, in der wir leben oder zu leben haben. Gott umarmt uns mit dem, was das Leben mit allen Freuden und Sorgen, mit allem Glück und allen Herausforderungen ausmacht, was mich dankbar sein lässt, was mich fragen und hadern lässt.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und all deinen Gedanken“ – dieses Gebot – Gott zu lieben – heißt dann, in deiner Wirklichkeit IHN zu suchen, seine Stimme, seine Gegenwart. Diese Wirklichkeit mit Hilfe der Hl. Schrift wahrzunehmen, zu bedenken und zu deuten. Das ist die Herausforderung des Glaubens, der erste Schritt der geforderten Gottesliebe. Diese Liebe kann nur leben, wer investiert: Herz, Seele, Gedanken, Zeit, Kraft, sich selbst. Diese Liebe ist ein Ringen bzw. Suchen, das manchmal Glaubenssätze sprengt und an gewohnten Regeln vorbei gehen kann.
Zur Gottesliebe gehört, so meine ich, ein zweiter Schritt hinzu: Das sich in Frage stellen lassen. Bin ich, sind wir auf dem Weg Gottes? Gehe ich, gehen wir in den Spuren Jesu? Vieles ist z.B. in der Kirche scheinbar gute, gewohnte Tradition. Beim genaueren Hinsehen ist da manches aus dem Zeitgeist der letzten Jahrzehnte entstanden. So ist z.B. die gegenwärtige Pfarrstruktur keine Erfindung der Kirche selbst, sondern von Josef II, dem Kaiser. Er hat die Kirche eingespannt – es mag jetzt etwas verkürzt formuliert sein –, um seine Untergebenen zu erziehen.
Die gesellschaftlichen Veränderungen erfordern ein Umdenken, klassisch formuliert: eine Umkehr. Es ist Gott, der uns durch die Digitalisierung, durch die Emanzipation, durch Corona, durch Priestermangel u.a. nach neuen Antworten im Glauben suchen lässt. Es schließt die Veränderung der Praxis ein. Es ist ein Glauben mit offenen Fragen. Es ist ein suchender Glaube. Was diese Suche gefährdet ist die Dialogverweigerung.
Soweit die Gedanken zum ersten Teil. Ich möchte auch noch kurz auf den zweiten Teil des Gebotes eingehen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Es ist ein Gebot, das Jesus aus dem Buch Levitikus entnommen hat und richtig übersetzt wäre mit: “Liebe deinen nächsten als dich selbst“. Liebe deinen nächsten als wärst du selbst diese Person.
Ich muss ehrlich gestehen, ich bin ein wenig erschrocken als ich die Übersetzung so las. Nächstenliebe so verstanden setzt voraus, dass ich mich mit einem Menschen beschäftige, intensiv beschäftige, dass ich ihn oder sie im Anderssein verstehen will. Da ist Nächstenliebe mehr als eine Frage von Sympathie und Antipathie, mehr als ein Denken im Freund/Feindschema.
„Liebe den Nächsten als dich selbst.“ Jesus traut uns zu, dass wir mit diesem Gebot die Welt gestalten, umgestalten, neu werden lassen. Oder: Kirche werden.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Exodus anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalónich.
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
2 Kommentare zu “Suchender Glaube 1. Lesung: Ex 22,20-26| 2. Lesung: 1 These 1,5c-10| Evangelium: Mt 22,34-40”
Werter Herr Pfarrer Erich Baldauf!
Danke für ihre interessanten Ausführungen zum heutigen Evangelium.
Wer die Geschichte Gottes mit seinem Volk kennt, so wie sie im Alten Testament aufgeschrieben wurde, hat sicher einen Vorteil. Wer jedoch die Geschichte Gottes erlebt an Hand seiner Familie, also die Liebe der Mutter und des Vaters erlebt, muss Gott nicht mehr suchen. Er/sie erlebt Gott als anwesend, als Geborgenheit, kann Liebe geben und annehmen, sich selbst lieben und den anderen. Das Gebot Gott zu lieben heißt dann, ihn als immer anwesend zu betrachten, und ihn in sich mitzutragen und in Gedanken, Worten und Werken weiter zu tragen. Ich kann den Nächsten oft nur lieben, wenn ich nicht nur mich in ihm sehe, sondern das Abbild Gottes. Viele Menschen haben große Not sich selbst anzunehmen und sie wissen oft nicht was es heißt geliebt zu werden, oder andere zu lieben. Sie sehen zwar, dass ein Lächeln oder ein wohlwollendes Wort eines Menschen wohl tun kann, ahnen anscheinend aber nicht, dass zurück zu lächeln, freundlich zu sein, schon der Anfang der Nächstenliebe genau zu diesem Menschen ist. Wir sind Abbild Gottes, ein Grund uns selbst zu lieben und Gott in unseren Gedanken und Herzen zu tragen. Dann kann Gott auch durch uns hindurch Gott leuchten, zum Segen unserer Nächsten/ aller.
Der Einstiegssatz zur Predigt, hat eine Erinnerung wachgerufen, an das Jahr 2008/2009 und an Dr. Hans Fink (damals Leiter des Diözesanen Schulamtes). Er hat damals – nebenbei: auch in einer vierteiligen Serie im KirchenBlatt (Sept./Okt. 2009) – die “vier Säulen des Christentums” (in Anlehnung an die fünf des Islam) dargestellt, ein beachtenswertes “Konzentrat” des christlichen Glaubens auf die Lebenspraxis angelegt. Hier die konzentrierte Kurzversion (https://www.kath-kirche-vorarlberg.at/organisation/kirchenblatt/artikel/2008/jesus-und-seine-sache-bezeugen) in einem Absatz aus einem Interview:
“Frage: Gibt es verbindliche Kennzeichen oder etwas wie eine Basisprogramm (des Christentums), das in die Zukunft führt?
Antwort: Der Evangelist Lukas beschreibt in der Apostelgeschichte (2,42) die Urgemeinde in Jerusalem, und nennt vier Kennzeichen, die ich gerne “Die vier Säulen des Christentums” nenne: Es ist dies die LEHRE DER APOSTEL, die lebendige Verbindung zu Christus, wie sie uns vor allem durch die Evangelien gegeben ist. Dann die GEMEINSCHAFT – damals mit starker persönlicher Verbundenheit untereinander und der (diakonischen) Sorge, dass kein Mitglied Not leidet. Dann das BROTBRECHEN, die Feier der Eucharistie, und schließlich das vierte, das GEBET. Dieses Programm, das es zu verwirklichen gilt, ist sehr klar und einfach. Mit seiner Verwirklichung kann jede und jeder schon heute beginnen, ohne zuerst Weisungen und Erlässe ‘von oben’ abwarten zu müssen. Das ist auch der Weg, dass die Kirche ‘Salz der Erde’ und ‘Licht der Welt’ sein kann.”