Tabubrüche 1. Lesung: Lev 13,1-2.43ac.44ab.45-46| 2. Lesung: 1 Kor 10,31-11,1| Evangelium: Mk 1,40-45
Drei Gedanken möchte ich in Folge der Schriftstellen aufgreifen:
Ein erster betrifft die Kleidung. Viele sind im Fasching (heute) bunt, farbig, originell gekleidet. Man kann in eine ausgefallene Rolle schlüpfen, über sich selbst lachen und andere zum Lachen bringen. Aussätzige dagegen wurde die Kleidung vorgeschrieben. Sie hatten zerrissene Kleider zu tragen. Ihre Ausgrenzung wurde für alle sichtbar manifestiert. Sie wurden der menschlichen und gesellschaftlichen Würde beraubt, ähnlich den KZ-Häftlingen. Die Kleidung diente nicht mehr dem Schutz, sondern der Verachtung, Kränkung und Demütigung.
Im zweiten Gedanken geht es um die Haut. Sie ist das schwerste Organ des Menschen und kann bis zu zehn Kilogramm wiegen. Ihre Aufgaben sind vielfältig. Sie hält den Körper zusammen. Sie schützt vor Druck, Stößen, UV-Strahlen, Schmutz und Mikroben – also winzig kleinen Lebewesen wie Bakterien und Viren. Sie bewahrt vor dem Austrocknen. Sie reguliert den Wärmehaushalt des Körpers. Auch Gefühlsregungen drücken wir über unsere Schutzhülle aus: Menschen werden rot vor Wut, blass vor Schreck oder schweißgebadet aus Angst. Die Haut ist ein äußerst sensibles Sinnesorgan, mit dem wir tastend die Umwelt und Mitmenschen wahrnehmen können.
Ich erwähne dies, weil ihm – Jesus – die Begegnung mit dem Aussätzigen unter die Haut geht. Jesus hatte Mitleid mit ihm. Im griechischen Original steht für Mitleid das schwer auszusprechende Wort „splanchnistheis“. Es bedeutet wörtlich übersetzt: „Es zog ihm die Gedärme zusammen“ (Mk 1,41). Mit anderen Worten nochmals: Die Not des Kranken geht Jesus wahrlich unter die Haut. Sein Mitgefühl reicht bis tief hinein in sein Inneres, bis in seine Eingeweide. Er sieht nicht die Krankheit. Er sieht den Kranken. Er schaut auf den Menschen, der solches leidet und nicht auf mögliche Verstümmelungen und achtet nicht auf den Gestank. Er sieht ihn als Bruder und Freund.
Jesus berührt ihn und lässt den Tabubruch – die Berührung eines Aussätzigen –zu.
Vermutlich werden wir in Zukunft in besonderer Weise gefordert sein, die Fähigkeit des Berührens und Berührt Werdens zu kultivieren. Die sozialen Medien – Smartphones, iPads, Handys u.ä. – gestalten das Leben ohne unmittelbare Berührung. Die Bindung an diese Geräte ist immens gewachsen und scheint bei manchen Menschen schon größer zu sein als die Bindung an eine Bezugsperson wie die Mutter oder den Vater.
Es gibt Menschen, die können nur geheilt werden, wenn sie berührt werden oder berühren können. Mitleid oder Empathie ist Menschen nicht in die Wiege mitgegeben. Es braucht das Lernen, die Einübung. Mit anderen Worten: Es braucht einen verantworteten Umgang mit den neuen, sozialen Medien.
Schließlich ein dritter Gedanke: Der Geheilte: ein „Plappermaul“. Jesus weist ihn an – es heißt sogar: er wies in streng an –, niemandem zu erzählen und dennoch spricht er bei jeder Gelegenheit davon. Jesus hatte den Tabubruch – die Berührung des Aussätzigen – zugelassen. Damit ist Jesus selbst unrein und er steht natürlich im Verdacht ein Aussätziger zu werden, mit dem niemand etwas zu tun haben möchte.
Der Evangelist Markus schildert uns, dass auch Jesus in seiner Pastoral die menschlichen Schwächen etwa von Geheilten erlebt. Sie sehen nur sich selbst, ihre Freude, ihre Heilung und verwehren einen vertraulichen Umgang mit einem Tabubruch. Sie reden und wissen nicht, dass sie jene, die helfen, in eine missliche Lage bringen. Die Heilung von Menschen kann den Heilenden oder die Heilende ins Abseits bringen. Nicht zuletzt ist das eine Erfahrung mit Menschen, von denen man vermeintlich größte Dankbarkeit erwarten könnte.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Levítikus anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.