Trotz allem oder allem zum Trotz 1. Lesung: Apg 2,42-47| 2. Lesung: 1 Petr 1,3-9| Evangelium: Joh 20,19-31
Vor Beginn der Fastenzeit haben wir als Evangelientexte die Bergpredigt des Matthäus mit den Seligpreisungen gehört. Sie sind so eindrücklich formuliert und in einer stimmigen Reihenfolge verfasst, dass man leicht übersehen kann, dass auch der Evangelist Johannes Seligpreisungen formuliert hat.
Seine erste Seligpreisung hörten wir am Gründonnerstag bei der Fußwaschung. „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt“ (Joh 13,14-17). Wenn man sich vor diesen Zeilen die Verfasstheit unserer Gesellschaft und der Kirche vergegenwärtig, meint man sich die Augen reiben zu müssen.
Die zweite Seligpreisung des Johannes-Evangeliums haben wir heute gehört: „Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20, 29). Diese Aussage steht im Kontext der Aussendung des Heiligen Geistes und in einem direkten Zusammenhang mit der ersten Seligpreisung. Wer im Sinne Jesus zu den Menschen gesandt wird, sollte sich vor Augen halten, dass es keine Über- und Unterordnung gibt und eigentlich auch keine kirchliche Hierarchie geben kann. Mit heiligem Geist zu handeln, bedeutet – ausgehend von der Fußwaschung – den Sklavendienst an anderen auszuüben. Dies ist die Voraussetzung zur Befähigung, Sünden erlassen zu können. Die Jünger haben Jesus in so vielen Situationen erlebt – bei der Frau am Jakobsbrunnen, bei der Heilung des Gelähmten oder des Blindgeborenen. Vor dem Hintergrund dieser Erlebnisse hören sie nun seine Worte: „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten“ (Joh 20, 23). Jesus ruft die Jünger zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Sündenvergebung auf, und zwar in seinem Sinne. Keines der Evangelien berichtet davon, dass Jesus einem Menschen seine Sünden nicht vergeben hätte – ganz im Gegenteil. Jesus hat die Menschen in ihrem Alltag aufgesucht, mit ihnen gesprochen, ihre Situation analysiert und sie wieder in ihren Alltag entlassen. Allerdings mit der Aufforderung, dass sie ihrem Alltag zukünftig mit einer anderen Haltung begegnen sollen – mit Jesu Worten: geh und sündige nicht mehr. Die Aussendung des Heiligen Geistes ist keine Machtgabe an die Jünger, keine Position am Schalthebel der Justiz gar über Strafen zu entscheiden – oder wie man es früher formulierte – Bußaufträge zu verhängen. Sie ist eine Blaupause zur Gewissenserforschung für die Jünger. Wenn sie im Namen Jesu handeln wollen, können sie gar nicht anders als Sünden vergeben – sie nicht zu vergeben ist gar keine Option. Selig sind die Gesandten Jesu dann, wenn sie sich bücken und den Menschen in Seelennot und Bedrängnis die Füße waschen. Nachdem Jesus ihnen die Sündenvergebung überantwortet hatte, wussten sie, dass mit ihrem Tun seine Botschaft am Leben bleiben soll.
Thomas war beim ersten Aufeinandertreffen der Jünger mit Jesus nicht dabei und er hatte Zweifel an den Erzählungen seiner Kollegen. Um Glauben zu können, bat ihm Jesus sogar an, in die offenen Wunden zu greifen. Jesus hätte sich nochmals dem Schmerz gestellt, so sehr hatte er Verständnis für die Zweifel des Thomas. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20, 29). Welch eine Zusage an uns, die wir Jesus zu seinen Lebzeiten und nach der Auferstehung nicht live erleben konnten. Nicht sehen und doch glauben – er versteht unser Ringen, die Berg- und Talfahrten, die Zeiten von Zweifel und der inneren Konflikte. Jene Momente und Zeitspannen des Lebens in denen wir trotz allem oder allem zum Trotz glauben, sind im Sinne Jesu selige Zeiten.
Wahre Seligkeit oder Zufriedenheit gibt es aber nur, wenn wir uns immer wieder daran erinnern, dass wir im Dienst der Barmherzigkeit Jesu stehen, jener Nächstenliebe, die sich auch einmal zum Sklaven macht – indem Eltern in mühsamen Zeiten zu ihren Kindern stehen oder sich Kinder von ihren dementen Eltern beschimpfen lassen.
Bei einer diözesanen Fortbildung vor wenigen Wochen zum Thema: „Wer bei Gott eintaucht, taucht beim Armen auf. Gelebte Nächstenliebe im Alltag“ sprach der Vortragende von der „Diakonievergessenheit der Kirche“ und brachte diesen Umstand mit dem aktuellen Zustand bzw. der mangelnden Glaubwürdigkeit der Kirche in Verbindung. Vielleicht ist die aktuelle Verfasstheit von Kirche ein aktuell offenes Wundmal Jesu? Was bringt es uns, in die Wunde zu greifen? Es gilt trotz allem und allem zum Trotz den Glauben an den Auferstandenen nicht zu verlieren, seine Botschaft weiterzuleben. Johannes macht uns mit seinen zwei Seligpreisungen deutlich, dass die Zeichen der Erinnerung an den Auferstandenen nicht die Wundmale sind. Geistgesandt sind jene Menschen, die sich nicht wegsperren und auf seine Wiederkunft warten, sondern jene, die Jesu Handeln fortführen – in Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Sie dürfen Momente der Seligkeit verkosten. Die Seligpreisungen bei Matthäus und Johannes lesen sich sehr unterschiedlich, sind aber eindeutig aus demselben Holz geschnitzt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Petrus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Trotz allem oder allem zum Trotz 1. Lesung: Apg 2,42-47| 2. Lesung: 1 Petr 1,3-9| Evangelium: Joh 20,19-31”
Liebe Katharina,
Vielen Dank für Deine Ausführungen. Die “Seligpreisungen des Johannes” sind mir zwar ganz neu, doch sie öffnen mir ganz neu die Augen.
“Selig, die Diener/ Dienerin sind” und “Selig, die das Unsichtbare sehen” – das gefällt mir.
Übrigens: Unser Wort “Bischof” kommt von “episkopoi”. Das bedeutet: “Aufsehen, Aufschauen”.
Zahlreiche Bischöfe in Geschichte und Gegenwart verstanden sich als “Aufseher” und prangerten jede kleine Sünde der Gläubigen an. Richtig verstanden ist ein Bischof aber einer, der auf sein Volk schaut, der ein Auge auf sein Volk wirft, wie ein Liebender, der dient und das Unsichtbare in jedem Menschen sieht.
Und: Jeder Mensch, Frau oder Mann, geweiht oder ohne Weihe, der dienend auf andere schaut, das Unsichtbare und Gute im anderen sieht, ist – nach den Seligpreisungen des Johannes – allumfassender Bischof, allumfassende Bischöfin.