Über Grenzen gehen 1. Lesung: Ex 3,1-10|Evangelium: Lk 2,22-40
Die Erzählung rund um den brennenden Dornbusch ist vielschichtig. Sie legt vieles, was die Beziehungen zwischen Gott, Mensch und Welt betreffen, offen. Sie ist eine Erzählung, die Hoffnung beim Übergang von einem alten in ein neues Jahr begründet.
Von Mose heißt es, dass er die Herde über den Rand der Steppe hinaustriebe. Er verlässt die gewohnten Pfade. Er betritt Neuland. Das Hinausgehen über das Gewohnte und Vertraute wird ihm zur Gotteserfahrung. Schritte über das Gewohnte hinaus ist immer ein Wagnis. Die Erzählung ermutigt in das kommende Jahr zu gehen. Es sind Schritte ins Unbekannte, vermutlich werden manche über das Gewohnte hinausgehen.
Mose entdeckt dann den brennenden Dornbusch, der aber nicht verbrennt. Ein eindrückliches Bild. Es mag hilfreich sein die Situation mit zu bedenken, in der Moses dem brennenden Dornbusch begegnet. Er lebt als Geflüchteter bei seinem Schwiegervater Jitro. Er weiß um die Not und das Elend seines Volkes. Sie sind versklavt. Der Frondienst ist schwer. Wenn er an sein Volk denkt, dann mag es auf ihn wie ein brennender Dornbusch wirken. Es sticht wie Dornen. Es brennt in seinem Herzen und lässt ihn nicht los, trotz der Entfernung und vielleicht trotz des Wunsches, sich nicht mehr erinnern zu wollen.
Mose ist allerdings auf der Flucht, weil er einen Ägypter erschlagen hatte. Man kann davon ausgehen, dass auch diese Erinnerungen an die Tat nachwirken. Es brennt in seinem Innern und hört nicht auf. Auf diesem Hintergrund bekommen die Worte eine besondere Bedeutung: Mose, Mose tritt nicht näher heran, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Der Boden auf dem Mose steht, ist unter anderem seine Lebensgeschichte, eingeschlossen seine Schuldgeschichte. Zieh deine Schuhe aus, so hört es Moses. Mit anderen Worten: Lass das Herumtrampeln auf der eigenen Seele, beende die Selbstvorwürfe und Gewissensbisse.
Der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Wir feiern am Ende eines Jahres Gottesdienst. Mag sein, dass wir ganz Unterschiedliches aus diesem Jahr mitbringen, viel Lobenswertes und Gutes, vielleicht aber auch Verwerfliches und Schuld. Gott gab Mose mit oder trotz seiner Geschichte nicht auf, sondern hat ihn neu in eine Aufgabe gerufen: Mit dir will ich das Volk Israel aus der Knechtschaft herausführen. Mit dir fange ich einen Weg in die Freiheit an. Geh deinem Volk ins gelobte Land voran.
Liebe Gläubige,
vielleicht haben wir im Moment das Gefühl, dass in der Welt nicht nur ein Dornbusch brennt, sondern mehrere. Wir erleben bewegte Zeiten. Es brennt an vielen Orten. Es gibt viele brennende Themen, die uns nicht so gleich loslassen werden.
Es sind große Themen, wie: Die Neuordnung der Welt – manche wollen sie mit Kriegen erreichen, andere mit gelebter Spiritualität. Oder ein anderes Thema: Die Erderwärmung und seine Folgen.
Es gibt vielleicht kleinere Themen, die uns als Gesellschaft in Österreich betreffen: Wie geht es mit dem sogenannten „Generationenvertrag“ weiter? Es ist ein verfänglicher Begriff, denn wer hat ihn geschlossen? Wer sind die Vertragspartner? Es ist zu fragen: Besteht er wirklich? Ferner die Frage: Wie sollte er in Österreich mit einer schwindenden Geburtenrate funktionieren?
Auch in unserer Kirche bleiben Fragen offen, die brennen und nicht aufhören zu brennen. Ich will sie heute nicht aufzählen.
Es mag auch persönliche Themen geben: Wie die Erkrankung eines Familienmitgliedes. Die Krise in einer Beziehung. Der Konflikt mit der Chefin oder dem Chef. Der Konflikt mit einer Mitarbeiterin, einem Mitarbeiter. Sorgen mit einem Kind oder Sorgen mit Eltern. Brennender Dornbusch – seine Erscheinungsform kann vielgestaltig sein.
Die Erzählung vom brennenden Dornbusch hebt hervor, dass Gott den Moses aus diesem Busch heraus anspricht. Er ist zugegen. Er sieht das leidende Volk. Er sieht die Leiden. Es heißt sogar, dass ihm die Not des Volkes an die Nieren gegangen ist (Ex 3,7). Er ruft Moses, um mit ihm einen Weg zu beginnen, um der Situation eine Wende zu geben. Wir wissen, dass es dauerte bis Israel von Ägypten loskam und sie dann vierzig Jahre auf dem Weg durch die Wüste waren. Es ist keine Lösung von heute auf morgen.
Wir stehen am Übergang von einem alten zu einem neuen Jahr. Wir dürfen mit dem Vertrauen gehen, dass jener Gott, der zu Mose gesprochen hat, in gleicher Weise heute spricht. Er ist Anwalt von Freiheit, Gerechtigkeit und Würde. Er ruft heute Menschen, um mit ihnen diesen neuen Weg zu beginnen, der ein Aufbruch in Richtung gelobtes Land ist. Er ruft auch dich und mich.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Éxodus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.