Und weiß nicht wie … Gedanken über das verborgene Wirken Gottes von Willi Lambert
Lebenshaltiges Nichtwissen?
Wie ist es mit dem Reich Gottes? Dies zu wissen, ist doch wohl – zumindest für Christen – eine bedeutsame Frage. Als Antwort Jesu erzählt Markus: „Er sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie.“ (Mk 4,26f) Ja, er weiß schon, dass er ackern und säen muss, dass der Samen Erde und Sonne und Wasser braucht und mancher Pflege bedarf. Aber er weiß nicht wie. Der Samen weiß es anscheinend. Er selber ist das Geheimnis seines eigenen Lebens. Seine Gestalt und sein Lebenswille ruhen in seinem Kern; die ganze Logistik und die Phasen des Wachsens; der Umgang mit günstigen und widrigen Bedingungen, mit Krankheitsbefall, Verletzungen. Und der Bauer – weiß nicht wie?!
Dieses Nichtwissen zu akzeptieren, ist vielleicht eine nicht alles befriedigende Antwort. Aber zum Leben genügt es gut und gerne. So ist es auch mit dem Essen: Ich muß nicht Nahrungsmittelchemie studiert haben und die Verdauungsprozesse verstehen, um essen zu können. Bei Jesus scheint dies ein Erklärungsmodell für das Reich Gottes zu sein. Zugleich auch ein gutes Schlafmittel, auf dem im Beipackzettel steht: einnehmen, ruhen und wirken lassen. Auf ein Wort gebracht: Alles Leben ist Geheimnis, so groß, dass es Staunen und Ehrfurcht für wache Menschen wecken muss. Der Mensch ist Geheimnis und Gott ist als Liebe das absolute Geheimnis des Menschen.
Gegenwärtig im Geist
Wie ist das Gottesgeheimnis präsent und in gewissem Sinn erkennbar, wahrnehmbar? Wie ist Jesus, der Christus, gegenwärtig, erkennbar? Das war die Frage der Christen und in besonderer Weise jener auch, die Jesus nicht „dem Fleisch nach gekannt haben“. Die Antwort von Paulus ist eindeutig. Im „Geist“ gegenwärtig. Dies legt die Frage nahe: Und wer und was ist „Geist“? Zur Antwort wird den Galatern gesagt, was die Früchte des Geistes seien: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal 5,22–23). Und hinzugefügt werden kann noch Freiheit und Mut und Demut und Lebendigkeit, alle Tugenden, Seligpreisungen, Talente … Dies alles ist das Medium der Gegenwärtigkeit Gottes und Jesu Christi. Und darum wohl sagt Jesus das zunächst unverständliche Wort: „Es ist gut für Euch, dass ich gehe, sonst kann der Geist nicht kommen.“ Das will wohl sagen: Sonst fragt ihr immer, wo ist er gerade? Er ist gegenwärtig im Geist: „Durch den Geist ist die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen.“ (Röm 5,5) – Wir singen lateinisch „Ubi caritas et amor ibi Deus est“ und übersetzen es auf Deutsch: „Wo die Güte und die Liebe ist, dort nur ist der Herr.“ In diesem Sinn kann Ignatius von Loyola schreiben, dass Gott „in allem“ gegenwärtig ist durch sein Sein und Wirken – im Gehen und Schmecken, Reden und Tun – in allem!
Jesus – das Inkognito Gottes
Der Religionsphilosoph Franz von Baader (1765–1841) schreibt einmal, dass Gott inkognito gegenwärtig sei. Christus ist das Inkognito Gottes. In ihm „ist die Güte und Menschenliebe Gottes erschienen“ (Tit 3,4). Baader gebraucht dabei das Bild von der Sonne und ihrer universalen Wirkung: „Wenn die Sonne am Himmel mit ihrem Licht und Wärme die Pflanzen speist, segnet und kommuniziert – denn was die Sonne nicht gesegnet oder konsekriert hat, das gibt kein Gedeihen –, so sagt sie gleichsam zu ihnen: ‚Nehmet und esset, das bin ich.‘ Sie zerreißt sich aber in diesen unzähligen Hostien nicht und bleibt am Himmel dieselbe.“ Dieses Bildwort legt den Verweis auf die eucharistische Gegenwärtigkeit Christi nahe: Nehmt und esst, das bin ich für Euch und mit Euch und in Euch! Er ist das „Brot vom Himmel“ und so gilt auf die Frage, wo Gott und sein Reich sei, die Antwort: Schau auf Jesus Christus, sein Leben, sein Wirken, sein Reden, sein Heilen, sein Sterben, seine Auferstehung und seine Gegenwärtigkeit im Geist!
Willi Lambert SJ, Schriftsteller, Seelsorger und Begleiter im Exerzitienhaus HohenEichen, Dresden
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 4/19 publiziert worden.