Wachsamkeit und die Hoffnung auf Erlösung 1. Lesung: Jes 2,1-5| 2. Lesung: Röm 13,11-14a| Evangelium: Mt 24,29-44
Sind die heutigen Abschnitte aus der Bibel Texte, wie ich sie kenne und gerne lese? Es sind endzeitliche Themen. Bei genauerer Betrachtung entdeckte ich Gesprächsfetzen der vergangenen Monate wieder.
Viel Unerwartetes hat uns in den vergangenen Jahren ereilt, so eine Pandemie unglaublichen Ausmaßes. Seit vielen Jahrzehnten warnten Forscher davor, dass irgendwann der Tag X eintreffen und eine weltumfassende Krankheit Menschenleben ausrotten werde. Ein Umstand, den es historisch immer wieder gab, aber wir glaubten, alles im Griff zu haben. Wenn so etwas eintreten werde, dann wohl nicht mehr zu unseren Lebzeiten – so hofften und so lebten wir.
Seit den 60er Jahren warnt der Club of Rome vor klimatischen Veränderungen. Überschwemmungen, Stürme, Trockenheit, Versandung ganzer Landstriche nahmen in den vergangenen Jahren als unverkennbare Vorboten einer noch größeren Katastrophe zu. Beschwichtigter meinten, dass es solche Wetterphänomene immer mal wieder gegeben habe. Wir glaubten, mit ein paar kosmetischen Eingriffen alles im Griff behalten zu können. Wenn dramatische Klimaveränderungen eintreten werden, dann wohl nicht mehr zu unseren Lebzeiten – so hoffen und so leben wir.
In den vergangenen Jahrzehnten meinten wir, in friedlichen Zeiten zu leben. Wir konnten uns dies einreden, da die kriegerischen Auseinandersetzungen auf anderen Kontinenten stattfanden oder zumindest seit dem Jugoslawien-Krieg wieder weit weg waren – im Irak, in Syrien, in Afghanistan usw. Plötzlich haben wir nun Krieg in Europa. Ein Despot, den wir meinten mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit zähmen zu können, ist außer Rand und Band geraten. Es gab immer wieder mahnende Stimmen, die uns daran erinnerten, dass wir die herrschenden Kriege nicht einfach ignorieren könnten, zumal die politische, militärische und wirtschaftliche Mitverantwortung im Raum stand. Wir aber glaubten, alles im Griff zu haben. Wenn es jemals wieder einen Krieg in Europa geben werde, dann wohl nicht mehr zu unseren Lebzeiten – so hofften und so lebten wir.
Über viele Jahrzehnte sahen wir auf unseren Fernsehbildschirmen Bilder von Flüchtlingen – Menschen, die wegen Hunger, Menschenrechtsverletzungen oder Krieg ihre Länder verlassen mussten. Wir wussten von großen Flüchtlingsauffanglagern im Norden Afrikas, in Jordanien und Pakistan. Seit wenigen Jahren können wir nicht mehr wegschauen, weil sich auch bei uns die Flüchtlingslager füllen. Wir schlossen Abkommen, dass die Flüchtlinge an ihrer Weiterreise nach Europa gestoppt werden sollten. Seit wenigen Wochen wissen wir, dass die europäische Grenzagentur Frontex aktiv „pushbacks“ anwendet, also hilfesuchende Menschen zurück aufs offene Meer treibt. Seit vielen Jahren warnen Hilfsorganisationen davor, dass Flüchtlingsströme auf uns hereinbrechen werden. Mit menschenverachtenden Maßnahmen versuchen wir uns diese Menschen vom Hals zu halten. Wenn Massenflüchtlingsströme eintreffen werden, dann wohl nicht mehr zu unseren Lebzeiten – so hoffen und so leben wir.
Wir erlebten in den vergangenen Jahren, wie wichtige Erden in Afrika, strategische Infrastruktur wie z.B. der Hafen von Piraeus und ganze Häuserzeilen in Wien an Chinesen verkauft wurden. Aktuell wird darüber debattiert, dass ein Hafenterminal in Hamburg an chinesische Investoren verkauft wird. Welche strategische Wichtigkeit Häfen haben, konnten wir während der Pandemie erleben, als Containerladungen nicht mehr gelöscht werden konnten und einzelne Produkte monatelang nicht mehr zur Verfügung standen. Es störte uns bei den wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland nicht, dass es grobe demokratische Mängel gab und auch die massiven Menschenrechtsverletzungen in China schränken uns in unseren wirtschaftlichen Überlegungen nicht ein. Es gibt genügend Stimmen, die uns davor warnen, dass der chinesische Einfluss in Europa einmal so groß sein wird, dass wir nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch abhängig sein werden. Lange Zeit rollte der Rubel und der Yuan fließt, wir glauben alles im Griff zu haben. Sollten Menschenrechte auf Grund chinesischen Einflusses auch in Europa verletzt werden, dann wohl nicht mehr zu unseren Lebzeiten – so hoffen und so leben wir.
Wir erlebten in den vergangenen Jahren große politische Umwälzungen und markante Veränderungen – nicht zuletzt durch den Tod der Queen als verlässliche Konstante. Scheinbare politische Lichtgestalten, Demagogen, politische Rechte wie Viktor Orban, Donald Trump, Boris Johnson, Fratelli d‘Italia stürmen die politische Arena. Die vergangenen Wochen verdeutlichen, dass man hinsichtlich zweifelhafter politischer Machenschaften nicht mehr ins Ausland blicken muss, sondern nur vor die eigene Haustüre. Seit Jahren warnen Stimmen, dass radikale Rechte oder Populisten unser demokratisches System ins Wanken bringen werden. Durch politische Einbindung bis hin zu Regierungsbeteiligungen meinte man, die Kräfte in Schach halten zu können. Wenn es dramatischer würde, dann wohl nicht mehr zu unseren Lebzeiten – so hoffen und so wählen wir.
Wir machen derzeit Enttäuschungserfahrungen, die unserem Wunschbild von Zukunft zuwiderlaufen. Das verstört. Und viele teilen die Sorge, sie könnten sich auf die bisherigen Ordnungen nicht mehr verlassen. Mögliche Lösungsansätze scheinen sich auch noch zu widersprechen, wie z.B. die Unterstützung der Ukraine mit Waffen und den Aufforderungen, Frieden zu schließen, die wirtschaftlichen Russland-Sanktionen und der Ausstieg aus Kohle und Atomkraft.
Warum werden endzeitliche Texte gerade am ersten Adventsonntag gelesen? Vielleicht deshalb, weil wir uns auf die Ankunft des Erlösers vorbereiten. Jesus kam, um ein Umdenken auszulösen. Schon bei seiner Geburt führten die Engel – die Hirten – Menschen guten Willens zusammen. Ihnen galt der Zuruf – fürchtet euch nicht. Es geht nicht um Apokalypse oder Weltuntergang, sondern um Zuversicht und um Mut. Paulus formuliert dies im Römerbrief als das Anlegen der Waffen des Lichts. Die heutigen Texte vereint der Aufruf zu Wachsamkeit und die Hoffnung auf Erlösung dieser Welt. Sie sind ein dramatischer Appell, die Verantwortung nicht von sich zu schieben und einfach nur abzuwarten. Die Texte rufen auf, Selbstverantwortung wahrzunehmen, die Dinge nicht einfach schleifen zu lassen.
Die Rede über die Endzeit im Matthäus-Evangelium ist in Abschnitte geteilt. Am Anfang steht die Mahnung zur Wachsamkeit, dann geht es um kluge und böse Knechte, kluge und törichte Jungfrauen – also um die Verantwortung beider Geschlechter, weiters um die anvertrauten Talente. All dies mündet in das Gleichnis vom Gericht des Menschensohnes über die Völker mit den Worten: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben“ (Mt 25, 45-46).
Jesus lehrt heute, dass man Endlichkeitsprobleme nur lösen kann, indem man mit bestimmten Dingen aufhört. Aufhören ist aber leider keine moderne Strategie. Wir kennen nur das Maximieren und verweigern die Wahrnehmung, wie viel Unglück diese Form von Endlichkeitsverweigerung gebracht hat und huldigen weiter den Götzen der Individualität und des vermeintlichen Fortschritts.
Emmanuel Macron, immerhin Präsident des laizistischen Frankreichs, meint: „Ich denke an unser Volk, das Seelenstärke braucht, um der kommenden Zeit entgegenzusehen, der Ungewissheit zu widerstehen, manchmal der Bequemlichkeit und der Widrigkeit und um gemeinsam zu akzeptieren, den Preis für unsere Freiheit und Wert zu bezahlen“.
Der Advent – das Warten auf die Ankunft des Messias – lehrt uns, dass ein Ende auch ein Anfang sein kann. Die heutigen Texte laden uns zur Reflexion ein: Waren wir achtsam? Sind wir wachsam? Wollen wir die Zeichen der Zeit erkennen? Sind wir bereit Verantwortung zu übernehmen?
Apokalypse beschreibt nicht das Ende der Welt, aber das Ende unseres „wir tun so weiter wie bisher”.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom anhören möchten:
Wenn Sie den Text des Evangeliums nach Matthäus anhören möchten:
2 Kommentare zu “Wachsamkeit und die Hoffnung auf Erlösung 1. Lesung: Jes 2,1-5| 2. Lesung: Röm 13,11-14a| Evangelium: Mt 24,29-44”
Lieber Erich, liebe Bibel-Labor-Leser*Innen!
Erich, Du hast einmal gesagt: “Das Jüngste Gericht ist immer JETZT!” Das bedeutet für mich: Die Apokalypse – wörtlich: die Enthüllung – ist immer JETZT, HIER und HEUTE.
Die WACHSAMEN werden gerettet, heißt es heute im Evangelium. Manchmal lese ich einen biblischen Text oder einen Kommentar im Bibellabor wachsam und bin voll dabei, ein anderes Mal lese ich, bzw. überfliege ich ihn und bin “körperlich anwesend, geistig abwesend”.
Die WACHSAME wird laut Mt. 24 mitgenommen, der UNAUFMERKSAME zurückgelassen. Das gilt nicht erst nach meinem Tod, sondern JETZT und HEUTE: Wenn ich den heutigen Bibeltext, oder den Kommentar von Erich oder Katharina wachsam lese, oder in einem persönlichen Gespräch wachsam und aufmerksam bin, werde ich mitgenommen.
Oder wenn ich die Apokalypsen, die Enthüllungen, von Pandemie, Klimaerwärmung, Flüchtlingskrise , die Zeichen der Zeit … achtsam lese, werde ich mitgenommen.
Wenn ich hingegen “ewig gestrig” und “retrotopisch” die “gute, alte und goldene Zeit” verherrliche, werde ich zurückgelassen.
WACHSAM SEIN – ist eine mahnende und wichtige Erinnerung in jedem Advent.
Freilich passiert es auch mir, dass ich bei einem wichtigen Gespräch nur “halbherzig” zuhöre. Dann werde ich eben im Gespräch (in der Beziehung) nicht mitgenommen.
Im ADVENT und mit der APOKALYPSE werde ich daran erinnert, dass ich mit “ganzem Herzen” dabei sein soll, egal ob beim persönlich Gespräch, bei der Klimakrise, der Kirchenkrise, oder der Corona-Pandemie.
Lieber Felix, herzlichen Dank für deine wertvollen Gedanken – sie sind eine wunderbare Ergänzung – und für dein Interesse am Bibellabor.