Wahrheit als Beistand 1. Lesung: Apg 8,5-8.14-17 | 2. Lesung: 1 Petr 3,15-18 | Evangelium: Joh 14,15-21
Was ist Wahrheit? Nicht nur Pilatus stellt diese Frage in der Passion im Angesicht Jesu (Joh 18,38), sondern sie stellt sich immer wieder und wird heute oft im Zusammenhang mit dem Virus COVID-19 gestellt. Die Fragen: Wem kann ich trauen? Was stimmt? Wie gefährlich ist das Virus? Was sind seine Eigenschaften? Ist er beherrschbar? Welche Schutzmaßnahmen sind wirklich notwendig oder welche überzogen? Die Antworten haben eine große Bandbreite selbst unter Experten. Manche Stellungnahmen oder Auskünfte hinterlassen mehr Verwirrung als Klarheit. Was ist die Wahrheit? Es gehört zur Wahrheit dazu, dass bei jedem Erkennen und Wissen Anteile des Zweifelns dabei sind. Gerade in den Osterberichten ist das ein sich wiederholendes Thema.
Beim Abschied verheißt Jesus den Seinen, dass sie den Beistand erhalten werden, den Geist der Wahrheit. Es ist ein Geist, den die Welt nicht kennt und nicht empfangen kann. In einer Religion ist der Umgang mit Wahrheit ein Thema, das der besonderen Aufmerksamkeit bedarf, weil der Wahrheitsanspruch ein hoher ist, bei manchen sogar ein absoluter im Sinne: Wir haben doch die Wahrheit und damit Recht.
Je nach Umgang mit der Wahrheit kann eine Gemeinschaft gestärkt oder gespalten werden, kann die Gottesrede authentisch oder blasphemisch sein. Es ist die prophetische Tradition, die jeweils in ihrer Zeit die Wahrheit hochhält.
Beim Abschied verheißt Jesus den Jüngerinnen und Jüngern, dass er den Vater bitten wird, dass sie den Geist der Wahrheit empfangen. Es heißt weiter: Die Welt kann ihn nicht empfangen, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt.
Vordergründig mag uns das womöglich abstoßend und elitär begegnen. Glaubende hätten da etwas, was andere nicht haben. Es könnte zu einem arroganten Verhalten einladen: uns ist die Wahrheit gegeben und diese hat mit der Welt – den Heiden, Atheisten, Agnostikern und wie sie sonst noch genannt werden – keinen Diskurs notwendig. Diese haben auf die Glaubenden zu hören, weil sie ja im Besitz der Wahrheit sind. Johannes dagegen geht in der Hirtenrede davon aus, dass gerade der Dialog mit jenen der Weideplatz der Glaubenden ist (Vgl. Joh 10,9.16).
Ich versuche einige gedankliche Annäherungen zu beschreiben, die Johannes mit seinem Evangelium andeutet. Die Bitte Jesu steht im Zusammenhang mit Abschied. Er lässt die nächsten Weggefährtinnen und -gefährten zurück. Er weiß, da kommen schwierige Tage mit großen Fragen – vielleicht gegenseitigen Vorwürfen – auf sie zu. Es wird einerseits die Liebe, der Geist der Fußwaschung sein, der den Zusammenhalt ermöglichen wird. Es braucht aber ebenso einen besonderen Geist, der das gemeinsame Weitergehen ermöglichen kann: der Geist der Wahrheit. Dieser Geist der Wahrheit ist kein Besserwissen und keine Rechthaberei.
Der Geist der Wahrheit öffnet sich der Wirklichkeit. Er muss nichts Verschweigen, Verleumden oder in Abrede stellen. Er muss sich auch nicht profilieren und in der Meinungsbildung den Sieg davontragen. Der Geist der Wahrheit schaut der Wirklichkeit gemeinsam ins Auge, ist Werk und Ergebnis des gemeinsamen Hinsehens und ist der Versuch, eine gemeinsame Antwort zu finden. Der Geist der Wahrheit erbittet der Abschied nehmende Jesus nicht allein für Petrus, die Apostel oder eine andere Person. Es ist eine Bitte und Zusage, die alle angeht.
Jesus erbittet vom Vater den Geist der Wahrheit, bzw. sagt ihn den Versammelten zu. Johannes schreibt sein Evangelium in einer Situation, in der vieles unklar und in Schwebe ist. Der Tempel, in dem Jesus diskutiert, gelehrt und gebetet hat, ist zerstört. Den Anhängern des neuen Weges – wie Christen genannt werden – wird der Zutritt in die Synagogen verwehrt. Es gibt größere theologische Differenzen zwischen den judenchristlichen und heidenchristlichen Gemeinden. Es hat noch keine Dogmatik – festgelegte Lehre – gegeben. Zudem war der Druck von außen, die Armut, die Unterdrückung, die existentielle Not vieler Waisen und Witwen … groß.
Da besteht die Gefahr – selbst unter Gläubigen – in die Welt der Rache, der Vergeltung, des Hasses, der Lüge und des Diebstahls abzurutschen. Diese Welt ist blind für den Geist der Wahrheit und kennt ihn nicht.
Der Geist der Wahrheit ist eine dynamische Größe. Es ist dem Geist der Wahrheit zu verdanken, dass sich in diesem Drunter und Drüber des 1. Jahrhunderts eine Glaubensgemeinschaft, wie jene der Christen, entwickelt hat. Der Geist der Wahrheit steht in Beziehung zur Realität, zu den gesellschaftlichen, politischen, kirchlichen u.a. Veränderungen, zu Herausforderungen, die durch Umstände entstehen. Der Geist der Wahrheit baut weder Luftschlösser noch unterliegt er den – die Gesellschaft – spaltenden Verschwörungstheorien. Er verliert sich nicht in der Magie, in Utopien oder in einem frommen Getue. Er ist in der Gegenwart verwurzelt, sieht die Möglichkeiten im Gegenwärtigen, nützt die Chancen, die sich in jeder Zeit bieten, geht die notwendigen Kompromisse ein, zieht Grenzen, wo der Mensch und die Menschlichkeit auf dem Spiel steht und sucht Antworten auf jene Fragen, die anstehen oder gar überfällig sind.
Der Geist der Wahrheit steht immer in Beziehung zur Liebe, steht in Beziehung zu Jesus Christus, der in die Nachfolge einlädt. Jesus erbittet den Geist der Wahrheit für die Seinen. Es ist das Geschenk des Vaters an die Gemeinschaft, damit Gemeinschaft wächst und sie der Welt zum Segen ist. Wahrheit wächst im aufmerksamen, in Liebe aufeinander Hören und im Hören auf den Willen Gottes. Alles zusammen kann als betendes Hören bezeichnet werden.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem 1. Brief des Apostel Petrus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Wahrheit als Beistand 1. Lesung: Apg 8,5-8.14-17 | 2. Lesung: 1 Petr 3,15-18 | Evangelium: Joh 14,15-21”
Lieber Herr Pfarrer Baldauf, von obigen Beitrag bin ich sehr angetan. Ich spüre, dass für Sie Gottes Geist alle Wirklichkeit durchdringt und keine abstrakte Begrifflichkeit ist sondern die Fülle der Leben schenkenden Präsenz Gottes. Dies zu vermitteln ist nicht einfach. So freue ich mich schon auf Pfingsten, wenn wir unter Bild-Namen wie Ruach, Paraklet, Tröster ect. überall Gaben und Früchte dieses Geistes erkennen und feiern dürfen – das betende Hören zum betenden Sehen werden darf. Es macht mich traurig, wenn es dann oft nur zu einem “Hymnus auf die Gründung der Kirche” reicht statt zu einem sehnsuchtsvollem und dankbarem “Veni Sancte Spiritus…” in all seinen Variationen, Über- und Umsetzungen.
In diesem Sinne verbunden grüße ich Sie herzlich und “erwartugsvoll”
Antonie Chibesakunda