Wechselspiele von Gefühlen 1. Lesung: Ijob 38,1.8-11| 2. Lesung: 2 Kor 5,14-17| Evangelium: Mk 4,35-41
Unserem heutigen Evangelientext gehen Gleichniserzählungen Jesu voraus: z.B. von der Saat, die ganz von selbst wächst, und vom Senfkorn, dem kleinsten aller Samen. Mit diesen Gleichnissen will Jesus seinen JüngerInnen das Reich Gottes anschaulich machen. Trotz aller Bemühungen bleiben die Gleichnisse auch für seine Jünger unverständlich. Darum ist Jesus genötigt, für sie das Gleichnis vom Säen auf verschiedenen Böden auszulegen – mit dem Kommentar: „Wenn ihr dieses Gleichnis schon nicht versteht, wie wollt ihr dann all die anderen Gleichnisse verstehen?“ (Mk 4,13). Hierauf folgt unser heutiger Textabschnitt.
Jesus beabsichtigt die Seeseite zu wechseln. Das liest sich so nebensächlich: „Wir wollen ans andere Ufer fahren“. Dahinter verbirgt sich ein Kulturwechsel. Jesus verlässt das vertraute Gebiet seiner Heimat Galiäa und fährt in die Dekapolis nach Gerasa ins nördliche Ostjordanland. Die zehn Städte gelten als Inbegriff des nicht-jüdischen Heidentums. Die Bewohner der städtischen Gemeinden bezeichneten sich selbst als „Griechen“. Hier wird Jesus später einen Mann, der in Grabkammern lebt und von Dämonen geplagt wird, heilen.
Wir wissen nicht, ob der Sturm auf der Überfahrt real stattgefunden hat oder ob er nur sinnbildlich für die Angst der Jünger steht – jene Angst, die uns überkommt, wenn wir Vertrautes verlassen und uns aufmachen ins Unbekannte. Es geht um Angst, Vertrauen und Glauben. Jesus hat zuvor versucht, den Jüngern das Reich Gotte darzulegen und meinte, damit Vertrauen in ihn und den Glauben an Gott gefestigt zu haben. Kaum auf die Probe gestellt, kommen aber das Vertrauen und der Glaube ins Wanken.
Ein Neurowissenschafter und Psychologe meint, dass Menschen, die keine Angst spüren, auch kein Vertrauen fassen könnten. Es sei also ein Minimum an Angst notwendig, um überhaupt Vertrauen suchen zu können. „Vertrauen führt Menschen zusammen. Es ist, als wohne diesem Gefühl eine segnende, Frieden stiftende Kraft inne. Aber: Wer vertraut, der entscheidet sich auch bewusst dafür, sich verletzbar zu machen“ (Prof. Dr. Niels Birbaumer). Der Glaube an Gott und das Vertrauen in Jesus hat die bunte und unterschiedliche Jüngerschaft zusammengeführt. Sie haben ihr vertrautes Leben hinter sich gelassen und haben sich auf Wanderschaft – auf die Suche nach ihrer Lebensaufgabe begeben.
Vertrauen „ist nur notwendig, entsteht also nur dann, wenn Informationen über die Absichten oder Möglichkeiten des Gegenübers fehlen“. Beim Vertrauen und beim Glauben entscheidet man sich dafür, anzunehmen was da kommen wird. Wir sind bereit ein Risiko einzugehen. Auch Angst entzieht sich unserer Kontrolle. Angst, Glaube und Vertrauen stehen im Wechselspiel. Beim Sturm auf dem See bewegen sich die Jünger eben in diesem Wechselspiel – trotz dem gestärkten Vertrauen in Jesus packt sie die Angst. Sie fühlen sich durch Wind und Wogen hin und her gebeutelt. Wer kennt sie nicht, diese Wechselspiele von Gefühlen.
Jesus wird von Wind und Wellen nicht gebeutelt, er schläft. Er wählt nun Worte, wie wir sie von unseren Müttern kennen, wenn ein Alptraum uns als Kinder aus dem Schlaf gerissen hat: „Werde ruhig! Sei still! Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still“. Das Grundvertrauen ist wieder hergestellt. Das Leben mit allen Wagnissen kann fortgesetzt werden. Es geht weiter. Die Jünger sind offenbar in ihren Ängsten gefangen, denn schon gleich folgte wieder Furcht: „Wer ist er eigentlich? Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm!“.
Jesus hätte auch anders reagieren können. Er hätte auch sagen können, kommt lasst und umkehren, das Unterfangen scheint zu gefährlich oder der Moment ist ungünstig. Vermutlich haben die Jünger darauf gehofft. Der angehaltene Sturm war vermutlich nicht das, was sie erwartet haben. Jesus verändert die Rahmenbedingungen so, dass einer Anlandung am anderen Ufer – dem Fremden – nichts mehr im Wege steht.
Im Volksmund sagt man: „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt“. Eine Erfahrung, die viele Prophetinnen und biblische Personen gemacht haben. So auch Hiob. Er lebt das Leben eines Gerechten, wird aber dann von einem Unglücksschlag nach dem anderen hart getroffen. Er verliert alles. Seinem Leid geht die Streitfrage des Satans voraus, dass Menschen nur aus Berechnung und nicht aus Liebe an Gott glauben würden. Hiob hadert und schimpft mit Gott, sein Glaube und sein Vertrauen bleiben aber aufrecht.
Jesus ist bereit, etwas zu riskieren und hat keine Angst, sich auf Unbekanntes einzulassen. Ihn dabei zu begleiten, ist die Glaubensprüfung für seine Jünger. Was kann das nun für uns heute bedeuten? Unser Glaube an Gott bewirkt nicht, dass das Leben mühelos verläuft. Glauben heißt, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass sich Rahmenbedingungen so gestalten, dass uns ein Übersetzen ans andere Ufer – an das Unbekannte, Fremde, Neue – möglich ist. Wir stehen in Umbruchszeiten, wir wissen, dass wir das schützende Ufer der Vergangenheit hinter uns lassen werden (müssen). Das, was kommen wird, kennen wir nicht. Wir meinen es mit einer Hydra, einem vielköpfigen Ungeheuer der griechischen Mythologie zu tun zu bekommen. Kaum schlägt man einem Problem den Kopf ab, wachsen zwei neue nach. Rattenfänger unterschiedlicher politischer und religiöser Ausrichtungen machen sich auf die Suche nach den Ängstlichen.
Der Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte hat uns den Eindruck vermittelt, als würde uns alles gelingen. Nun schleicht sich nach Zeiten des Wohlstands und des Friedens wieder Angst ein. Auch bei uns stehen Angst, Glaube und Vertrauen im Wechselspiel. Wir können aber darauf vertrauen, dass sich der Wind wieder legen wird.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Íjob anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.