Wege aus der Lebenskrise 1. Lesung: Jer 20,10-13 | 2. Lesung: Röm 5,12-15| Evangelium: Mt 10,26-33
Der Prophet Jeremia lebt am Ende des 7. Jht. und am Beginn des 6. Jht. v. Chr. Er stammt aus einer Priesterfamilie und tritt in Jerusalem auf. Vom Mutterleib an weiß er sich berufen: „Noch ehe er aus dem Mutterleib hervorkam, hat ihn Gott zum Propheten für die Völker bestimmt“ (Jer 1,4f). Er kritisiert auf massiv Weise die antibabylonische Bündnispolitik des Königs und tritt leidenschaftlich für den Jahwe-Glauben ein. Unter dem neuen König werden wieder heidnische Bräuche, heidnische Opferstätten und Kultstätten zugelassen. Bei der Errichtung solcher religiöser Zentren ging es um Macht und Einfluss und immer auch um das liebe Geld. Jeremia erinnert an Jahwe, der das Volk aus Ägypten geführt hat, der die Freiheit für den Menschen sucht und für die Würde steht. Er stellt sich gegen jene Götzen, die Menschen in eine willfährige Abhängigkeit bringen und sie gefügig machen.
Politisch plädiert er für das Wahrnehmen und Ernstnehmmeen der Realität und wirft dem König vor, dass er das neu erstarkte babylonische Reich unterschätzt. Er warnt vor dem drohenden Unheil, das der falschen Bündnispolitik folgen wird.
Jeremia erleidet das Schicksal vieler prophetischer Menschen. Er ist Störenfried. Er wird verfolgt. Besonders die religiöse und politische Führungsschicht, das Establishment versucht ihm mit allen Mitteln beizukommen. Auf Schritt und Tritt wird er beobachtet und in Fallen gelockt. Einmal wird er bei Jerusalem in eine Zisterne geworfen und eingekerkert. Wir hören Jeremia klagen: „Grauen ringsum! Zeigt ihn an! Wir wollen ihn anzeigen. Meine nächsten Bekannten warten alle darauf, dass ich stürze“.
Die Verfolgung hinterlässt bei Jeremia Spuren. Er fällt in eine tiefe Depression. Ich zitiere nochmals die Lesung: „Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet“ (V 14). Jeremia mag nicht mehr. Er ist am Ende und wünscht, er wäre nicht geboren.
Eine furchtbare Lebenskrise. Gott wirft er vor: „Du hast mich betört und ich ließ mich betören, du hast mich gepackt und überwältigt“. Sinngemäß: Gott, du hast mich hineingelegt, überfahren oder umgangssprachlich: „Du hoscht mi ‘umeglupft’“. Jeremia kommt sich von Gott betrogen vor. In seinem Namen tritt er auf, aber die Gegner können triumphieren. Er steht da: verachtet, gedemütigt, allein gelassen. „Gott, du hast mich betört“.
Er sucht in seiner Verzweiflung eine Ausweg und entscheidet sich für’s Schweigen, Stillsein, Mundhalten. Mit aller Kraft hegt er diesen Vorsatz. Eine Zeit lang gelingt es ihm, aber dann kann er doch nicht. Es zerreißt ihn innerlich. Es brennt in seiner Brust. Jeremia im Originalton: „Ich will nicht mehr an ihn (den Herrn) denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, so war es mir, als brenne in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinem Innern. Ich quälte mich, es auszuhalten, und konnte nicht …“
Er hat es sich allen Ernstes vorgenommen, nichts mehr zu sagen und dann kommt doch die Situation, in der das Schweigen plötzlich unmöglich ist. Das Aushalten des Schweigens und damit das Zulassen von Unrecht und Unterdrückung wären noch schwerer zu ertragen, als die Nachteile und der anschließende Konflikt.
Jeremia wünschte, er wäre nicht geboren. Die Frage: Wie geht Jeremia mit dieser Situation um? Welchen Weg wählt er?
Ein erstes: Jeremia betet. Allerdings ist dieses Beten kein frommer Überguss. Es sind keine zensurierten Gedanken. Er klagt! Er klagt Gott, den Herrn, an. Er ruft ihn zur Verantwortung. Er hadert mit ihm und seinem Schicksal. Dieses Gebet spart nichts aus: weder Vorwürfe, Ängste, noch den Schrei um Hilfe. In einem solchen Gebet wächst Hoffnung.
Ein zweites: Natürlich kämpft Jeremia mit Rachegelüsten. Es den Gegnern richtig heimzahlen, davon träumt auch er. Wie groß und wie gefährlich das Rachedenken werden kann, zeigen uns oft Nachrichten und vermutlich kennen wir es auch im eigenen Herzen.
Wie Jeremia mit seinen Rachegefühlen umgeht, hörten wir ebenso in der Lesung: „Aber der Herr der Heere prüft den Gerechten, er sieht Herz und Nieren. Ich werde deine Rache (– er meint damit die Rache des Herrn –) an ihnen erleben; denn dir habe ich meine Sache anvertraut“ (V 12).
Der Prophet Jeremia greift nicht selbst zur Rache. Er weiß sich vor dem Herrn, der den Gerechten auf Herz und Nieren prüft. Jeremia weiß weiter, dass Rache neues Unrecht produziert. Die Rache überlässt er Gott – dir, dem Herrn, habe ich die Sache anvertraut.
Der biblische Mensch überlässt Gott die Rache im Vertrauen, dass sein Tun dem Feind zum Heile, zum Segen werden kann. Wenn Menschen sich rächen, droht es Gewalt oder sogar eine Blutspur nach sich zu ziehen. Die Rache Gott überlassen – ihm die Sache anvertrauen – ist das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit. Es ist das zweite Element, das Jeremia für seinen weiteren Weg wählt.
Im Evangelium hörten wir einen Abschnitt aus der Aussendungsrede Jesu. Jesus versteht die Sendung der Jünger in der prophetischen Diktion eines Jeremia. Fürchtet euch nicht und stellt euch gegen dunkle Machenschaften, Ungerechtigkeit, Gewalt, Korruption …. Verkündet es von den Dächern und lasst euch von keiner Macht einschüchtern. Ich bekenne mich zu euch!
Es gibt auch heute Menschen und Bewegungen, die sich in der Rolle eines Jeremia befinden: Aktivisten gegen Rassismus, Frauen der „Me-too Bewegung“, Journalisten in der Türkei, in China oder Hongkong u.v.a. Ländern und auch viele Christen in unterschiedlichen Regionen der Welt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jeremia anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Römer anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten: