Weinstock und Weinreben 1. Lesung: Apg 9,26-31 | 2. Lesung: 1 Joh 3,18-24 | Evangelium: Joh 15,1-8
Es ist ein Evangelium, das Fragen, vielleicht sogar Widerstand hervorruft: Ist es für den modernen Menschen nicht zu eng? Kommt man wirklich nicht an Jesus vorbei, um ins Heil zu kommen, bzw. fruchtbar zu werden? Reben, die ins Feuer geworfen werden – ist das eine Drohung, die uns Angst machen will?
Es ist eine jener Stellen, bei der wir genau hinsehen müssen, woher sie kommt und in welches Umfeld sie gesprochen ist. Das Bild vom Weinberg und Weinstock begegnet uns bereits im I. Testament. Da wird Israel zum Einen im Bild des Weinbergs erfasst. Im Buch Jesaja wird ein Lied vom Weinberg des Herrn gesungen (Jes 5). Gott hofft auf Frucht vom Weinberg, der Israel ist, doch er brachte nur „faule Beeren“. Es ist also eine bekannte Erfahrung, dass die erhoffte reiche Frucht ausbleibt. Häufiger kommt das Bild vom Weinstock vor, Israel als Weinstock. So lesen wir beim Propheten Hosea: Israel war ein üppiger Weinstock, der seine Frucht brachte. (Hos 10) Im Ezechiel-Buch werden ganz andere Töne angeschlagen: das wertlose Holz des Weinstocks wird dem Feuer zum Fraß vorgeworfen.
Das I. Testament und die jüdische Tradition beschreiben Gott als den, der Israel als Pflanzung angelegt und gegründet, umsorgt und gepflegt, aber auch die Pflanzung ausreißen und verbrennen kann. Denn die Kritik der Propheten lautet, dass Israel die Frucht verweigert, was das Gericht zur Folge haben wird. Diese Bilder sind dem Verfasser des Evangeliums bekannt. Er greift sie auf, deutet sie aber um, nicht mehr auf Israel hin, sondern auf Jesus. Er stellt drei Gleichungen auf: Jesus ist der wahre Weinstock, der Vater ist der Winzer und die Jünger sind die Reben. Der Vater, der den Weinstock Israel angelegt hat, hat seinen Sohn gesandt, um dem Volk das Heil zu bringen. Er ist der wahre Weinstock. Und das Hören auf sein Wort und die Nachfolge sind die Frucht der Reben.
Soweit der Hintergrund des I. Testaments. Zum Verständnis hinzu kommt, dass diese Worte von Jesus beim letzten Abendmahl gesprochen werden, nach der Fußwaschung, nach dem Judas den Raum verlassen hat, nach dem Jesus angekündigt hat, er werde von Petrus verraten. Es ist eine angespannte Atmosphäre der Rat- und Sprachlosigkeit. Es ist Teil des geistlichen Testaments Jesu an seine Jünger, wie es weiter gehen kann, wie in Zukunft das Fruchtbringen möglich sein wird. Johannes hat zusätzlich eine Gemeinde vor sich, die im Innern und von Außen bedrängt ist und mit der Frage konfrontiert ist: Wie kann es weitergehen?
Wir können hier Antworten finden, wie wir als Christen eine bedrängende – eine äußerst bedrängende – Situation meistern können. Und: Was Johannes in der Passion und in den Auferstehungserzählungen im Weiteren erzählt, kommt dem Reinigen der Reben gleich, damit sie – die Jünger – mehr Frucht bringen.
Wenn Jesus hier sagt, ich bin der wahre Weinstock, dann ist in dieser Situation nicht das Ziel, sich über das Judentum zu erheben, oder diese Religion abzulösen, vielmehr ist es der Weg dem JüngerInnen-Kreis Zukunft zu ermöglichen. Dieser Kreis versagt am Karfreitag kläglich. Nur noch Johannes und wenige Frauen gehen bis unters Kreuz mit. Die anderen haben das Weite gesucht, sind Enttäuschte, Verräter, Verleugner … Es hat das Potential und viel Grund, einander Vorwürfe zu machen, Schuldige und Versager ausfindig zu machen. Es hat das Potential, jedes Fruchtbringen zu verunmöglichen.
Dem steht das Bild entgegen: Der Vater ist der Winzer. Er reinigt die Reben. Mit anderen Worten: Es ist nicht eure Aufgabe, euch gegenseitig mit Vorwürfen und Vorhaltungen am Zeug zu flicken. Es ist der Vater, dem diese Aufgabe zukommt. Wie dieses Reinigen des Vaters geschieht, das dürfen wir vor allem in den verschiedenen Ostererzählungen erkennen. Sie, die Jünger – die Reben am Weinstock – werden gereinigt, damit der Osterglaube als Frucht reift, damit österliches Leben, ein neues, angstfreies, liebendes Miteinander und Füreinander wächst. Thomas, der die Auferstehung nicht glauben kann, ehe er die Wunden gesehen und berührt hat. Petrus, der Jesus dreimal verleugnete wird dreimal nach der Liebe gefragt. Die Jünger, die ängstlich sich im Abendmahlssaal versteckt halten, werden mit Hl. Geist und dem Frieden angehaucht. Sie sollen beginnen Sünden zu vergeben. Es meint: alles das auf die Seite zu schaffen, was das Leben behindert.
Passion und Ostern werden für die Jünger zu Erfahrungen des „Reinigens“ und führt sie zu einem neuen Fruchtbringen. Bleibt in meiner Liebe!, so sagt es Jesus den Jüngern. Wir erleben als Kirche gegenwärtig große Veränderungen. Wenn wir in der Liebe bleiben, dann haben diese Veränderungen die Chance, dass es dem reichen Frucht bringen dient.
Mit dem Bild „der Vater ist der Winzer“ wird uns ebenso vermittelt, dass wir nicht die Besitzer des Glaubens sind. Was Gott aus dem Weinstock und den Reben macht, und wie dieser Weinstock aussieht, bleibt in der Letzt-Verantwortung des Winzers selber.
Die Gestalt der Kirche kann sich in der Geschichte immer wieder verändern, vielleicht sogar sehr verändern. Die Untergrundkirche der ersten Jahrhunderte in den Katakomben Roms hat anders ausgesehen als die Kirche heute. Wenn sich die Gestalt der Kirche verändert, mag das schmerzen, aber bleibe vom Glauben getragen, dass der Vater der Winzer ist, der heute die Reben reinigt, damit sie mehr Frucht bringen.
Was unsere wichtigste und für Christen unaufgebare Aufgabe ist, nämlich zu bezeugen, dass die Menschen – ausnahmslos – vom Vater und von Jesus Geliebte sind. Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe. Es braucht keine Besserwisserei, keine Unterstellungen und Verdächtigungen.
Bleibt in der Liebe. Das ist das Vermächtnis dessen, der uns in den Tod und die Auferstehung voraus gegangen ist. Und: dann werden auch die Früchte nicht ausbleiben.
2 Kommentare zu “Weinstock und Weinreben 1. Lesung: Apg 9,26-31 | 2. Lesung: 1 Joh 3,18-24 | Evangelium: Joh 15,1-8”
Zum tieferen Verständnis der Weinstockgleichnisse möchte ich eigene Erfahrungen von der Arbeit in Weinbergen hinzustellen bzw. Informationen von erfahrenen Winzern:
Zu Beginn steht einmal die Tatsache, dass das Hebräische bzw. Aramäische nur das Wort “géphen” kennen und dieses bezeichnet im allgemeinen die „Weinrebe“ oder den „Weinstock“. Damit lösst das aktuelle Gleichnis gleich etwas Verwirrung aus. Vermutlich muss man das Gleichnis so verstehen, dass Jesus der Weinstock an sich ist und die Jünger die Abzweigungen (die Rhizomorphen) sind.
Zunächst ist die Arbeit eines Winzers körperlich ziemlich anstrengend. Er muss seine Pflanzen immer gut im Auge haben, lediglich der Winter bietet eine längere Pause von der Wachsamkeit. Die meisten Arbeiten im Weingarten erfolgen in einer gebückten Stellung. Der Winzer muss sich seinen Reben zubeugen – insbesondere bei der Ernte. Die Weinreben müssen zuerst einmal geschnitten werden d.h. Triebe, die abgestorben sind, müssen abgeschnitten werden. Allerdings nicht nur das. Soll der Weinstock gute Früchte hervorbringen, muss er grundsätzlich ge(be-)schnitten werden. Damit die kleinen Trauben in den Genuss von ausreichend Sonnenlicht kommen, müssen zeitig einige Weinblätter entfernt werden. Hängen in weiterer Folge viele Trauben an einer Verästelung müssen einige davon entfernt werden, damit es zu einer qualitativ guten Ernte kommen kann. Ich habe mehrmals bei der Weinernte mitgeholfen. Etwas entsetzt hat mich bei der ersten Mithilfe, dass für die Weinpressung nicht nur reine edle perfekte Trauben verwendet werden, sondern auch schon schimmlige Weintrauben. Weit weniger verwendet werden noch nicht ausgereifte Trauben. Die bereits angeschimmelten Trauben stauben richtig, wenn man sie in den Erntetrog wirft. Auf meine Nachfrage, warum man denn auch diese Trauben hinzunimmt, war die Antwort: damit es einen guten (Rot-)Wein gibt, benötigt man für die Gährung diese überreifen Trauben, allerdings sollte ein bestimmte Menge nicht überschritten werden. Das genaue Verhältnis bestimmt der Winzer. Nach der Ernte muss dann das restliche Blattwerk entfernt werden. In der Regel wurde es früher verbrannt. Ja und dann beginnt der Kreislauf von neuem. Der Weinstock bleibt derselbe, aber im nächsten Jahr werden sich von den gesunden Trieben, die Verzweigungen weiter ausbilden und es wird neue Trauben geben. Die neuen Verästelungen sind fein und zerbrechlich, Jahr für Jahr werden aber die Vorjahrestriebe fester und robuster und somit wächst der Weinstock Jahr für Jahr. Übrigens auch der Wein blüht. Im Vergleich zur Frucht, die groß, dicht und farbenfroh sein wird, ist die Blüte zart, kaum sichtbar und relativ winzig.
Vielleicht kann es spannend sein, das Evangelium angereichert um dieses Winzerwissen, nochmals zu lesen.
Vielen Dank für dieses Winzerwissen. Besonders beeindruckend fand ich den Aspekt, das der Winzer sich zu den Reben bücken muss und viel Sorge und Arbeit hat. Es ist unfassbar, dass Jesus so eng an mir dran ist. Und die überreifen Trauben geben dem (Rot)wein das Spezielle. Das arbeitet noch in mir. 😉 Vielen vielen Dank für diese Gedanken.