Zweckfreie Verkündigung 1. Lesung: Apg 2,14a.36-41 | 2. Lesung: 1 Petr 2,20b-25 | Evangelium: Joh 10,1-11a
Auf zwei Gedanken möchte ich näher eingehen: Der erste betrifft das Bild des Hirten und im zweiten befasse ich mich kurz mit dem Satz: „Alle die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber“.
Jesus stellt sich vor als der Hirte der Schafe. Er geht durch die Tür hinein. Die Schafe hören auf den Hirten. Er führt sie auf die Weide. Zum Schluss der Höhepunkt der Aussagen: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. Ich bin der gute Hirte (Joh 10,11a).
Dieses Bild vom Hirten hat mehrere Rückbindungen in das Erste Testament, zu den Propheten Jesaia, Jeremia, Sacharja, Zefanja und ebenso zu den Psalmen, insbesondere zu Psalm 23. Das Bild vom Hirten wird in der Bibel – hier im Besonderen von Jesus – als Gegenbild zum König gezeichnet. Vielleicht wird es anschaulicher, wenn wir von Mentalitäten sprechen: der „Königsmentalität“ und der „Hirtenmentalität“. Jesus lässt sich erst in der Passion König nennen, in einer Situation, in der er für viele nichts mehr als ein Spottkönig ist, als Verurteilter ohnmächtig und beinahe von allen verlassen.
Was ist unter Königsmentalität gemeint? Für mich kommt es sehr eindrücklich zum Ausdruck beim Besuch der Palastanlage von Herodes auf Masada. Sie steht am oberen Ende eines Felskegels. Wer zum König wollte, stand zunächst vor einer wuchtigen Mauer. Die Tür von Soldaten bewacht. Dann kam man durch verwinkelte Wege, die durch große Speicher von Korn führten, zu einem weiteren, bewachten Tor. Über Stiegen ging es dann zum Sprechzimmer des Königs hinauf. Natürlich immer an Wachen vorbei. Als kleiner Bittsteller stand man vor dem König.
Der König sitzt hinter Mauern, von Soldaten geschützt in einer Festung. Die Frage: Kennt ein solcher König die Leiden, den Druck, die Arbeit, den Alltag der kleinen Leute?
Der Hirt lebt mit den Schafen. Er kennt sie, führt sie hinaus auf die Weide und wieder in den Stall. Achtet auf die schwachen Tiere, behütet die Muttertiere. Er lässt sich nicht beschützen, sondern übernachtet gewöhnlich an jenem Platz, der am gefährlichsten ist, nämlich an der Tür, um die Schafe vor wilden Tieren schützen zu können.
Johannes zeichnet uns dieses Gottesbild vom Hirten. Hier klingt zugleich sein Verständnis vom Amt in der werdenden Kirche durch. Es beschreibt zugleich das Verständnis von Christsein: Wir sind berufen, einander solche Hirten, Hirtinnen zu sein.
Unter dem Thema „eine Kirche im Aufbruch“ schreibt Papst Franziskus in seinem für ihn und die Kirche bedeutenden Schreiben „Evangelii gaudium“: Die evangelisierende Gemeinde stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt. So haben die Evangelisierenden den „Geruch der Schafe“, und diese hören auf ihre Stimme. Die evangelisierende Gemeinde stellt sich also darauf ein, zu „begleiten“. Sie begleitet die Menschheit in all ihren Vorgängen, so hart und langwierig sie auch sein mögen. Sie kennt das lange Warten und die apostolische Ausdauer. Die Evangelisierung hat viel Geduld und vermeidet, die Grenzen nicht zu berücksichtigen. … Und schließlich versteht die fröhliche evangelisierende Gemeinde immer zu „feiern“ (EG 24).
Von der Mentalität her ist in meinen Augen die Kirche in den letzten Jahren eher in der Königsmentalität verhaftet gewesen. Die Leute sollten doch zu uns herkommen. Es fehlt ihr die „Hirtenmentalität“, das zu den Menschen hinauszugehen, an ihrem Leben Anteil zu nehmen. Vor der Coronakrise lebten bereits 18% unserer Bevölkerung in Vorarlberg im oder am Existenzminimum. Kenne ich, kennen wir Betroffene? Ich selbst muss gestehen, dass ich nur vereinzelt darum weiß. Da ist Umkehr – ein neues Denken – notwendig gerade im Hinblick auf das, was auf die Coronakrise folgen wird. Nicht wir als Volk Gottes sind einfach die „Schafe“, die der Versorgung bedürfen und auch keine Verantwortung zu tragen haben, sondern es sind die Wehrlosen, die Gefährdeten, die in Not Geratenen. Diese gilt es zu weiden. Wir alle sind gerufen, ihnen Hirtin oder Hirte zu sein.
Der zweite Gedanke: „Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber“, sagt Jesus. Wir würden den Evangelisten Johannes falsch verstehen, wenn wir diesen Satz allein auf die zeitliche Dimension beziehen, d.h. auf jene Menschen, die vor Jesus gelebt haben. Es schwingen hier andere Themen mit: Was geht Jesus vor? Was wird ihm vorgezogen? Was ihm vorangestellt? Es gibt z.B. in der Verkündigung die Möglichkeit, zwar von Jesus zu reden, nicht um Menschen mit Jesus in Berührung zu bringen, sondern um eigene Ziele und Zwecke zu verfolgen, bzw. im Namen Gottes Menschen zu bevormunden und klein zu halten. Jesus nennt sie Diebe und Räuber.
Die wirklich evangelisierende Verkündigung ist absichtslos und zweckfrei. Sie ist nicht auf Erfolg aus – auch nicht auf Menschenfang, sondern lebt die Zuwendung Gottes, teilt den „Geruch der Schafe“, hört aufmerksam zu und weiß um die Geduld, die lebendige, tragfähige Beziehungen brauchen.
Mit einem Bild möchte ich die Gedanken zum Evangelium schließen: Die Schafe und der gute Hirt. Wenn wir es in unsere Zeit übertragen, dann dürfen wir im Bild der (wehrlosen) Schafe Flüchtlingslager (in Griechenland) oder Elendsviertel der Megastädte sehen. Für sie schreibt der Evangelist von Jesus: Ich bin der gute Hirt. Und weiter: Für sie gilt das Wort: Ich bin gekommen, damit ihr Leben habt und es in Fülle habt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten: