Die Heiligkeit Gottes provoziert 1. Lesung: Neh 8,2-4a.5-6.8-10 | 2. Lesung: 1Kor 1,12-31a | Evangelium: Lk 1,1-4;4,14-21
Das Predigen hat eine lange Tradition. Die erste Lesung ist Beleg. Am Beginn will ich die Umstände schildern, warum es dazu kam: Die Babylonische Gefangenschaft ist zu Ende. Kyros gestattet es Israel, in ihre Heimat zurückzukehren. Doch es sind nur wenige, die sich tatsächlich aufmachen. Viele haben sich in Babylon etabliert und eine Existenz aufgebaut. Der Reiz zur Heimkehr ist auch deshalb gering, weil die Heimat mehr oder weniger in Trümmern lag, im Besonderen Jerusalem. Es sind die prophetischen Gestalten Esra und Nehemia, die zur Heimkehr und zum Wiederaufbau motivieren. Es werden Häuser gebaut. Es bedarf aber ebenso des geistig-geistlichen Aufbaus, sonst bleiben der Barbarei, der Korruption und Willkür Tor und Tür geöffnet.
Was uns die Lesung schildert ist die Wiederentdeckung der Thora, der Heiligen Schrift. Sie wird dem Volk – allen, die es verstehen konnten – vorgelesen, erklärt und gedeutet. D.h. viele der Israeliten verstanden sie nicht mehr. Es gab einen massiven Traditionsbruch, vielleicht ähnlich wie wir es in der Kirche erleben. Die Israeliten erleben die Schrift nicht als altes, verstaubtes Buch, sondern sie sind zutiefst bewegt und angerührt von der Botschaft. Alle Leute weinten, so heißt es. Es mag mitschwingen, dass die Last der Vergangenheit vorbei ist und sie nun frei von Unterdrückung und Fronarbeit sind.
Mich persönlich erinnert es an den 10. Nov. 1989. Durch glückliche Umstände weilte ich in der Woche des Mauerfalls in der ehemaligen DDR. Wir fuhren an jenem Morgen – es war ein Freitag – zurück. Der erste Tag mit offener Grenze. Es staute sich eine kilometerlange Schlange von Trabis. Viele der Menschen fuhren nur deshalb zur Grenze, weil sie prüfen wollten, ob sie wirklich offen ist. An der Grenze angekommen, stiegen die meisten aus und weinten, oft Herz zerreißend. In unserem Bus war es ganz still. Diese Menschen drehten um und fuhren zurück.
Jeder Aufbau – vor allem wenn er nachhaltig und tragfähig sein will – braucht Orientierung. Das Problem unserer Demokratien ist, dass nur wenig über die nächste Wahl hinaus gedacht wird. Handelnde Personen wegen des Machterhalts dringende Maßnahmen oder Vorhaben nur halbherzig angehen. Dadurch spitzen sich manche Herausforderungen zu, bzw. echte Lösungen werden nächsten Generationen aufgeladen.
Mag sein, dass es die Verkündigung in unserer Zeit zu wenig schafft, diese nachhaltig befreienden, lösungsorientierten „Lebensgesetze“ der Bibel zu vermitteln: eine Verkündigung, die Menschen anrührt; hilft Lasten abzunehmen oder wie es Jesus im Evangelium sagt, für alle Menschen ein Jobeljahr ausbricht. Das Jobeljahr ist ein Gesetz der Bibel, das alle 50 Jahre durchgeführt werden soll. In diesem Jobeljahr soll jeder Mensch die Chance zum Neuanfang haben. Wurde jemand zum Sklaven oder zur Sklavin, dann soll er oder sie wieder frei sein. Sollte jemand den Besitz verloren haben, dann bekam er einen Grund zum Neustart. Ein Neustart für alle, d.h. das natürlich die Besitzenden ihr Hab und Gut teilen mussten. Wie gesagt, das Jobeljahr war eine feste Einrichtung, ein Gesetz Gottes. Ob es in der Geschichte tatsächlich zum Tragen kam ist ungewiss. Stattgefunden hat es bei der Landnahme.
Beim ersten Auftritt in Nazaret erklärt Jesus: Heute hat sich das Schriftwort erfüllt, heute ist die Zeit für dieses Jobeljahr. Heute ist die Zeit, diesen Neubeginn jeder und jedem zu ermöglichen. Das weckte massivste Widerstände gegen Jesus. Davon hören wir nächsten Sonntag.
Nun zurück zum Text von Nehemia: Die (vernunftbegabten) Menschen waren zutiefst angerührt vom Wort Gottes und sie stimmten dem Wort voll und ganz zu. Diese Zustimmung erfolgte mit dem doppelten Amen, Amen. Im Anschluss fordern Esra und Nehemia die Menschen auf: Heute ist ein heiliger Tag zu Ehren des Herrn, eures Gottes. …haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein!
Und es folgt zusätzlich die Aufforderung: Schickt auch denen etwas, die nichts haben, denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn.
Gott ist heilig, d.h. seine Zuwendung gilt allen Menschen. Er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte (Mt 5,45). Oder wenn wir das Gebot hören: Du sollst den Sabbat heilig halten, dann sind alle Menschen mit einzubeziehen, ja nicht nur die Menschen um dich, eingeschlossen sind auch die Sklaven, ebenso die Tiere und die Schöpfung (Dt 4,12f).
Der biblische Begriff „heilig“ schließt ein, nicht aus. Er umfasst alle und steht dem Ausgrenzen völlig entgegen. Man möge die Nuance des Textes hören: Nehemia und Esra fordern auf, dass jenen, die nichts haben, etwas gebracht wird. Es ist nicht die narzisstische Haltung, wir haben es schön und feiern jetzt unter uns, sondern es ist der Auftrag, den Armen nachzugehen, ihnen etwas hinaus zu bringen.
Es ist Aufbau einer menschlichen Gesellschaft. Dafür steht der Herr. Er ist heilig. Heilig ist ein Gegenbegriff zu all jenen Versuchungen, die vertreten: Ich zuerst. Mein oder unser Land zuerst. Meine oder unsere Stadt zuerst. Meine oder unsere Pfarre zuerst. Meine oder unsere Familie zuerst.
Der Aufbau einer menschlichen Gesellschaft ist Anliegen von Nehemia und Esra. Sie bauen nicht nur Häuser, sie bauen die Gesellschaft auch geistig-geistlich auf. Es gilt die verschiedenen Aspekte zu beachten. Wenn ein Politiker durch die Lande zieht und verkündet, um den Menschen Sicherheit zu gewähren, wird die Polizei mit neuen, modernen Waffen bestückt. Natürlich braucht die Polizei Waffen, aber Sicherheit wächst in einer Gesellschaft in der z.B. Vertrauen, Respekt und Achtung gegeben sind. Mit Waffen wird solches wohl kaum geschaffen.
Es wurde zuerst das Wort gelesen und dann ein Festmahl gefeiert. Wir sind an die Eucharistie erinnert. Im Sinne von „heilig“ führt es uns dazu, dass wir auch jenen geben, die nichts haben. Eucharistie verstanden als Befriedigung eines privaten Bedürfnisses, ohne diese mitsorgende Komponente für Arme oder Notleidende, verfehlt einen Grundsatz des Glaubens, nämlich dass Gott „heilig“ ist.
Ein Kommentar zu “Die Heiligkeit Gottes provoziert 1. Lesung: Neh 8,2-4a.5-6.8-10 | 2. Lesung: 1Kor 1,12-31a | Evangelium: Lk 1,1-4;4,14-21”
Die erste Lesung nimmt Bezug auf die Feier des Laubhüttenfestes, das im siebten Monat gefeiert wird. Die Bestimmungen der Tora zum Laubhüttenfest sehen eine Besonderheit vor und zwar den Toragottesdienst , die Wurzel aller späteren Wortgottesfeiern in Synagogen und Kirchen.
Im Judentum hatte und hat das Studium religiöser Texte gottesdienstlichen Charakter. Die Bestimmungen zu einem außerhalb des Tempels stattfindenden Gottesdienstes überliefert die Bibel selbst (Dtn 31, 9-13). Die Opferlosigkeit dieser Gottesdienstform war für den damaligen Alten Orient einmalig, denn bis dahin wurde jeder Kontakt zu Gott von einer Kulthandlung begleitet.
Im Buch Nehemia wird nun das erste Sukkotfest nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil beschrieben. Das babylonische Exil war in Ermangelung des Tempels, die Grundlage zur Entwicklung des synagogalen Wortgottesdienstes.
Die Voraussetzung für diese Form des Gottesdienstes ist laut Dtn aber auch Neh, dass sich das Volk versammelt und zwar Männer, Frauen, Kinder, Greise, dazu die Fremden (Dtn 31,12). Die Menschen kommen zusammen, weil sie das Wort Gottes hören wollen. Der Gottesdienst findet also nicht statt, weil man das schon immer so gemacht hat oder weil der Priester das möchte, sondern weil das Volk darum bittet! Im Buch Neh wird eine ganze Personengruppe geschildert, die dem Volk die Weisungen verkündet und erklärt, damit die Leute das Vorgelesene verstehen können. Es war also keine One-Man-Handlung. Der Auftrag des Volkes war zu hören und zu lernen. Nicht umsonst wird im Jiddischen die Synagoge als „schul“ bezeichnet.
Die Verkündigung des Wortes war nicht mehr an die Heiligkeit des Tempels gebunden, sondern fand an einem profanen Ort vor dem Wassertor statt. Es geht auch nicht um eine privilegierte Gruppe, sondern die Worte Esra‘s richten sich an alle, die mit Verstand zuhören. Im Zentrum steht kein Ritual und kein Kult, sondern des Verständnis der Weisungen Gottes für ein gelingendes Leben.
Im Evangelium wird dann beschrieben, wie Jesus so einen Wortgottesdienst in der Synagoge mitfeiert und –gestaltet.
Nehemia beschreibt auch, worin so ein Wortgottesdienst münden soll: „Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre unseres Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke … Da gingen alle Leute weg, um zu essen und zu trinken und auch andern davon zu geben und um ein großes Freudenfest zu begehen; denn sie hatten die Worte verstanden, die man ihnen verkündet hatte.“ Jesus selbst wird in weiterer Folge noch mehrmals diese Vorgabe umsetzen und Verkündigung in einem gemeinsamen Mahl enden lassen.
Jesus ruft in der Synagoge das Gnadenjahr des Herrn aus und bezieht sich dabei auf das Buch Jesaja und seine Erläuterungen zum Gnadenjahr. Diese besagen, dass die Mitglieder des Volkes Israel Priester des HERRN genannt und als Diener unseres Gottes bezeichnet werden (Jes 61,6). Damit sind wir alle aufgerufen VerkündigerInnen des Wortes und DienerInnen bei der Gestaltung von Freudenfesten zu sein.