Rechtes Handeln – ein Gottesdienst 1. Lesung: Dtn 30,10-14| 2. Lesung: Kol 1,15-20| Evangelium: Lk 10,25-37
Viele werden es vom vergangenen Sonntag noch im Ohr haben. Jesus macht sich auf den Weg nach Jerusalem. Er sendet gleichzeitig 72 Jüngerinnen und Jünger aus in Orte und Städte, in die er selbst gehen will. Sie sollen die Menschen von ihren Krankheiten heilen und verkünden, dass das Reich Gottes nahe ist (Lk 10,1-24).
Da mischt sich dieser Gesetzeslehrer in das Geschehen mit der Frage ein: Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus lässt den Schriftkundigen selber antworten. Es ist dabei bei seiner Antwort zu beachten, dass er als Jude und Gesetzeslehrer bereits die beiden Gebote verknüpft: Gott zu lieben mit ganzer Seele und ganzer Kraft und den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Es muss nicht verwundern, dass er als Gesetzeslehrer diese beiden Gebote miteinander nennt und verbindet.
Ersteres findet er im Buch Deuteronomium (Dtn 6,5) und das zweite steht in der Mitte der Thora, der fünf Bücher des Moses (Lev 19,18). Es ist das Herzstück der Thora: den Nächsten zu lieben wie sich selbst. In diesem Zusammenhang sei nochmals erwähnt: Sollte jemand die These vertreten, dass uns im I. Testament der Gott der Rache und Strafe begegnet und wir im Neuen Testament den Gott der Liebe finden, liegt er schlicht falsch. Es ist ein Verkennen und Verdrehen der biblischen Botschaft, näher hin des I. Testamentes. Zudem möge bewusst bleiben: Jesus hat den Glauben im I. Testament gelernt.
In dieser Frage stimmt Jesus mit dem Gesetzeslehrer, der ihm ja eine Falle stellen wollte, überein. Der Graben öffnet sich an der nächsten Frage: Wer ist mein Nächster? Da führt Jesus den Gesetzeslehrer in ein neues Denken beziehungsweise in ein Wahrnehmen aus einer besonderen Perspektive hinein. Nächste sind mir die Verwandten, Freunde, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Vereinskolleginnen und -kollegen, Mitchristen … Wir können uns selbst die Frage stellen: Wer sind mir die Nächsten?
Jesus lädt den Gesetzeslehrer ein, auf neue Weise an diese Frage heran zu gehen. Er erzählt eine Begebenheit: Ein Mann wurde überfallen und halbtot liegen gelassen. Ein Priester kam vorbei, sah ihn, aber ging weiter. Ein Levit kam vorbei, sah ihn und ging ebenso weiter. Sie gehen weiter, weil die Berührung mit Blut sie kultisch unrein gemacht hätte. Sie wollten weiter für den ehrenvollen (Gottes-)Dienst im Tempel bereit stehen.
Dann kommt ein Samariter, der sah ihn, hatte Mitleid. Behandelte ihn, lud den Verletzten auf seinen Esel und brachte ihn in eine Herberge zur weiteren Betreuung – mit der Absicht, diese ordentlich zu begleichen. Es war ein Samariter, kein Rechtgläubiger. Juden mieden möglichst den Kontakt mit ihnen und rümpften die Nase. Er ist dem Überfallenen zum Nächsten geworden, weil er barmherzig gehandelt hat.
Jesus lädt den Gesetzeslehrer zu einem Perspektivenwechsel ein. Betrachte das Leben nicht von dir selbst aus, sondern aus der Situation des Überfallenen, aus der Situation eines in Not geratenen Menschen. Wer ihm zum Nächsten oder ihr zur Nächsten wird, wird leben, beziehungsweise gewinnt das Leben.
Die Not eines Menschen rückt Jesus in die Mitte der Liebe. Er macht sie zum Maßstab des Handelns, wenn das Leben gewinnen soll, wenn du das Leben gewinnen willst. Verwandtschaft, Freunde, Volksgenossen, Mitchristen und ähnliche mögen lieb und nett sein, mögen vielleicht sogar wichtig sein, aber ins Leben bringt dich, wenn du an der Not von Menschen nicht vorbei gehst.
Vielleicht würde Jesus heute uns die Frage stellen: Wer wird jenen Menschen Nächste oder Nächster, die die 24-Stunden Pflege in Anspruch nehmen? Sie kommen überwiegend aus Tschechien, Slowakei und Rumänien. Viele von ihnen werden tatsächlich zu Nächsten.
Vor dem Hintergrund des Evangeliums eine weitere Anmerkung: Früher haben bei uns in den Altersheimen, Pflege- und Krankenhäusern überwiegend sogenannte geistliche Schwestern gearbeitet. Ihre Arbeit wurde als religiöse gesehen. Heute sind es viele Frauen und Männer, die in diesen Einrichtungen arbeiten, die mit viel Engagement und Hingabe ihr Bestes für Patienten und Klienten tun. Allerdings wird es von vielen nicht mehr als religiöse Tätigkeit geachtet. Meine Frage: Warum nicht mehr? Befinden wir uns nicht in einem Widerspruch zum Evangelium?
Viele von ihnen handeln zutiefst im Geist des Evangeliums. Mag sein, dass manche von ihnen das selbst nicht so sehen wollen und dennoch bleibt ihr tun religiös. Der Samariter wusste auch, dass er in den Augen der damaligen Juden nichts Recht machen konnte. Wir wissen, dass wir Priester gefährdet sind, an der Not von Menschen vorbei zu gehen. Wir wissen ebenso, dass auch Kirchgänger an der Not von Menschen vorbei gehen. Wir wissen, dass viele, die sich Christen nennen, sich gegen Menschen in Not auf unterschiedlichste Art und Weise abschotten.
Wenn barmherziges Handeln an Menschen geschieht, die in Not geraten sind und dies völlig unabhängig welcher Herkunft, welchen Alters, welcher Zugehörigkeit oder auch des Soseins, da gewinnt das Leben.
Ein letzter Gedanke: Er blickt bereits auf den nächsten Sonntag und dessen Evangelium voraus. Jesus ist zu Gast bei Martha und Maria. Maria sitzt zu Füßen Jesu und hört ihm zu. Martha bewirtet Jesus und fordert Jesus auf, er solle der Maria sagen, sie solle ihr helfen. Die Antwort Jesu: Maria hat den guten Teil gewählt (Lk 10,38-42).
Das heutige Evangelium und das vom nächsten Sonntag gehören zusammen gelesen: wie oft bei Lukas – je eine Männer- und Frauengeschichte. Für mich ein wichtiger Aspekt: Beim barmherzigen Samariter zeigt sich der Gottesdienst im rechten Handeln. Der Samariter, der barmherzig handelt, steht im Dienst Gottes und nicht der Priester und Levit, die wegen des Gottesdienstes im Tempel an der Not vorbei gehen.
In der Begegnung Jesu mit Martha und Maria wird deutlich, dass sich ein Mensch nicht in der Geschäftigkeit, im Aktionismus verlieren soll. Es braucht die Sammlung, die Ruhe, das Hören auf das Wort, das Gespräch und das Gebet.
Das rechte Reagieren auf Not und die Sammlung tragen den Gläubigen Menschen ins Leben.