Habakuk der Umarmer 1. Lesung: Hab 1,2-3;2,2-4| 2. Lesung: 2 Tim 1,6-8.13-14| Evangelium: Lk 17,5-10
Sein italienischer Spitzname klingt nicht gerade charmant, „Lo Zuccone“, „Kahlkopf“ oder „Kürbiskopf“. Doch damit wird ein wichtiges Werk der Frührenaissance bezeichnet, das der Bildhauer Donatello für die Kathedrale in Florenz schuf. Die Skulptur zeigte einen hageren Mann in demütig-bescheidener Haltung. Seine Rechte umklammert eine Buchrolle. Seine Augen blicken traurig und scheinbar leer, doch bei näherem Hinsehen vermitteln sie eine subtile Botschaft und durchschauen den Betrachter. Die Figur des Habakuk war das Lieblingswerk des Künstlers. Wichtige Aussagen bekräftigte er mit dem Satz „beim Vertrauen, das ich in meinen Zuccone setze!“ Der Prophet Habakuk hatte für den Bildhauer eine große Aussagekraft. Er war eine Symbolfigur des Warten Könnens, der unablässigen Geduld, des Mitgefühls und des Gottvertrauens.
Habakuk ist ein „kleiner Prophet“ aus dem 7. Jht. v. Chr., nicht wegen seiner Körpergröße, sondern wegen des geringen Umfangs seiner Schrift. In der Einheitsübersetzung sind es gerade dreieinhalb Seiten. Nur am heutigen Sonntag wird im Dreijahreszyklus ein Fragment vorgelesen. Habakuk hat ein besonderes Gottesverhältnis. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Er äußert sehr direkt seine Fragen, Klagen und Anklagen. Wohin er auch blickt, er sieht nur Gewalt und Unrecht.
Ja, er sieht Misshandlung, Unterdrückung, Zwietracht und Streit. Es ist zum Verzweifeln. Er schreit laut um Hilfe, aber sie kommt nicht. Der massive Vorwurf an Gott: Du hörst nicht! Du hilfst nicht!
Habakuk könnte heute ein Bewohner des Gazastreifens sein. Er könnte ein Bewohner der Länder – wie Ukraine oder Syrien – mit Krieg oder Bürgerkrieg sein. Er könnte in der Haut eines Flüchtlings stecken. Vielleicht teilt Habakuk die Stimme mit jemandem von uns, der/die konfrontiert ist mit Mobbing, mit häuslicher Gewalt, mit Unrecht oder Verleumdung. Wie oft scheinen die Hilferufe völlig ins Leere zu gehen.
Im Ringen des Habakuk zeigen sich mehrere Aspekte:
Ein erster betrifft die Zusage: Das Böse hat ein Ablaufdatum. Es ist nicht das Böse, das siegt, sondern die Rechtschaffenheit. Mit dem Evangelium können wir fragen: Tragen wir diesen Glauben, den senfkorngroßen Glauben in uns, dass das Recht, das Gute stärker als das Böse ist? Die Geschichte zeigt es immer wieder: Jedes System, das Gewalt anwendet, hat ein Ablaufdatum.
Es gilt auch für Firmen, Einrichtungen oder Institutionen. Gewalt hat keine Zukunft. Gott trägt dem Habakuk auf, Geduld zu haben. Er soll Warten, Abwarten. „Erst zur bestimmten Zeit trifft ein, was du siehst, aber es drängt zum Ende und ist keine Täuschung.“ Das soll er gut leserlich festhalten, beziehungsweise aufschreiben. Es ist göttliche Zusage und gleichzeitig eine große Zumutung. Die Menschen sollen warten, bis Gott zu seiner Zeit eingreift, wann immer das ist.
Es ist und bleibt eine herausfordernde Frage: Wie begegnen wir der Gewalt vor allem dann, wenn sie übermächtig wird? In den letzten Monaten sind meine Zugänge zu Gewaltlosigkeit ins Wanken geraten. Es ist gegenwärtig auch für politisch Verantwortliche schwer, die richtige Antwort zu finden, um das menschliche Desaster möglichst zu verhindern. Habakuk nimmt die Gewalt nicht einfach hin. Er ringt mit Gott, hadert mit ihm. Ruft nach einer Antwort. Er wird aber in seiner Geduld und in seinem Ausharren nicht selbst zum Gewalttäter.
Ein zweites: Habakuk bleibt nicht einfach tatenlos. Er ist geleitet vom Wort: „Wer nicht rechtschaffen ist, schwindet dahin, der Gerechte aber bleibt wegen seiner Treue am Leben.“
Rechtschaffen leben, Gerechtigkeit tun:
Es ist die Sorge um die Menschen am Rande, um die Notleidenden.
Es ist das Wahrnehmen jener Möglichkeiten von Hilfe, die nicht mehr als wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheinen mögen.
Es ist die Sorge vor allem um jene Menschen, die durch die Gewalt ihrer Würde und Menschlichkeit beraubt werden. Da stellt sich die Frage: Können wir die Hilfen an die Ukraine, um sich verteidigen zu können, auch als Teil dieser Sorge sehen?
Der Name Habakuk sei der Name einer Gewürz- oder Gartenpflanze, meinen manche Ausleger. Andere deuten ihn als „Umarmer“. Dieser Prophet nimmt sozusagen sein Volk in seine Arme und an sein Herz, weil er mit ihnen zutiefst verbunden ist. Zugleich lässt er nicht davon ab, seinen Herrn „zu umarmen“, seine Nähe zu suchen. Er ringt mit seinem „schweigenden“ Gott, beklagt die Zustände, stellt Fragen, macht ihm Vorwürfe.
Er lässt aber nicht von ihm ab und wird zum Sprachrohr dieses scheinbar „stummen“ Gottes mit der Botschaft: Das Böse wird über ihn nicht triumphieren.
Im Evangelium haben wir die zweite Bitte der Jünger an Jesus gehört. Die erste lautete: Lehre uns beten. Die zweite: Stärke unseren Glauben.
Wenn wir eine menschliche Gesellschaft wollen, können wir nur Jesus bitten, dass er den Glauben, das Vertrauen in unserer Mitte stärke. Habakuk zeigt dabei einen Weg auf, wie wir wirksam und nachhaltig dem Bösen begegnen können.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem zweiten Buch Hábakuk anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus
an Timótheus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Habakuk der Umarmer 1. Lesung: Hab 1,2-3;2,2-4| 2. Lesung: 2 Tim 1,6-8.13-14| Evangelium: Lk 17,5-10”
“In den letzten Monaten sind meine Zugänge zu Gewaltlosigkeit ins Wanken geraten.”
Dem Mörder und Unterdrücker mich ergeben? Das kann ich höchstens für mich selbst so entscheiden. Pazifismus und die Bereitschaft zum Martyrium sind sehr persönliche Entscheidungen, die in anderen nicht auferlegen darf.
Wenn ich für andere verantwortlich bin – als Vater, Mutter, Politiker:in usw. – muss ich der zerstörerischen Gewalt widerstehen. Gewaltfrei, solange ich die mir Anvertrauten nicht “opfern” muss – und ansonsten möglichst gewaltminimiert, wenn Verteidigung und Abwehr das Gebot der Stunde sind.
In der Praxis, also in Unterdrückungssituationen und insbesondere in Kriegen, ist dies ein kaum lösbares Dilemma – wie wir derzeit leidvoll mitansehen müssen.