Beziehungsarbeit 1. Lesung: Sir 3,2-6.12-14 | 2. Lesung: Kol 3,12-21| Evangelium: Mt 2,13-15.19-23
Die Gedanken orientieren sich heute am Weisheitsbuch Jesus Sirach. Es ist eine relativ späte Schrift des I. Testamentes, entstanden so am Ende des 3. bzw. Anfang des 2. Jht. v. Chr. Seit der Eroberung durch Alexander den Großen gewinnt die hellenistische Kultur in Palästina mehr und mehr an Einfluss. Es ist die sogenannte Weisheitsliteratur, die sich mit großem Gespür und differenziertem Denken verschiedenen Themen stellt.
Der Auszug, den wir als Lesung hörten, ist ein Rückgriff auf das vierte Gebot: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie es dir der Herr, dein Gott, geboten hat, damit du lange lebst und es dir gut geht in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt!“ (Dt 5,16).
Eine erste Bemerkung dazu: Die Bibel verlangt von den Kindern nicht, dass sie die Eltern lieben, sondern achten und ehren. Die Eltern achten und ehren ist eine besondere Form einer Beziehung. Ich verdanke ihnen das Leben. Es ist eine Beziehung mit einem unauflöslichen Gefälle, das es sowohl von den Kindern als auch von den Eltern zu achten gilt. Eltern haben einem Kind „etwas“ (das Leben) gegeben, das es ihnen nie zurückgeben kann, mag es noch so viel für sie tun. Zugleich gilt es festzuhalten, dass Kinder nicht der Besitz der Eltern sind. Bereits Abraham muss es lernen, nämlich als er von Gott wegen Isaak auf die Probe gestellt wird (Gen 22,19). Ein Aspekt der Erzählung ist eben, dass Abraham lernt, den Isaak in sein eigenes Leben zu entlassen.
Ein zweite Bemerkung: Bei den zehn Geboten gibt es einige, die sind kurz und bündig formuliert, z.B. das fünfte: Du sollst nicht morden (Dt 5,17). Es gibt andere, denen ist eine ausdrückliche Begründung beigefügt, wie eben beim 4. Gebot: (…) damit du lange lebst und es dir gut geht in dem Land.
Wenn wir nun zur Lesung aus dem Buch Jesus Sirach zurückkommen, da wird die Begründung des Gebotes gegenüber dem Sinai noch umfangreicher. Es bedeutet, dass das Gebot durch den hellenistischen Einfluss massiv in Frage gestellt wird. Es fällt dabei auf, dass vor allem das Gebot dann tragen soll, wenn die Eltern alt und gebrechlich werden: „Kind, nimm dich deines Vaters im Alter an und kränke ihn nicht, solange er lebt! Wenn der Verstand nachlässt, übe Nachsicht und verachte ihn nicht in deiner Kraft! Denn die dem Vater erwiesene Liebestat wird nicht vergessen; und statt der Sünden wird sie dir zur Erbauung dienen“ (Sir 3,13f). Übrigens gilt Gleiches für die Mutter, leider unterschlägt die Leseordnung jene Sätze, die sie betreffen.
Was ist der Hintergrund? Die Hellenisten haben in ihrem Umgang mit Tod und kranken Menschen Mühe. Es zählt der gesunde, kräftige Mensch. Dafür werden Gymnasien errichtet. Israel mit seiner Weisheitsliteratur tritt in dieser Angelegenheit für mehr Menschlichkeit ein. Es liegt Segen auf der Sorge um die Eltern, selbst dann wenn sie alt und gebrechlich sind.
Nebenbei sei erwähnt, dass die Weisheitsliteratur die Väter (Eltern) anweist, ihre Kinder nicht zu vernachlässigen, was genauso nicht selbstverständlich war und vielleicht ist. Die Weisheit lobt sogar an erster Stelle jene Männer, die Freude an ihren Kindern haben (Sir 25,7). Und es gilt für Eltern im Umgang mit Kindern auch alles das, was einen weisen Menschen ausmacht: Wahrhaftigkeit, Lauterkeit, Besonnenheit und sich nicht vom Zorn, Hass oder der Verachtung leiten zu lassen.
Die Sorge um Menschlichkeit im Umgang mit den Eltern: Durch die Konfrontation mit einer neuen Kultur wurde das Gebot der Bibel in Frage gestellt. Es gab Diskussionen. Israel in der Form der Weisheitsliteratur stellt sich dem Thema und begründet es noch vertiefter als es ursprünglich am Berg Sinai der Fall war.
Der Umgang der Kinder mit den Eltern und umgekehrt der Eltern mit den Kindern sind und bleiben aktuelle Themen. Es geht da um Traditionen, Erwartungen, Wünsche, die gegenseitig bestehen, die erfüllt werden soll(t)en oder nicht, bzw. erfüllt werden können oder nicht, vielleicht auch nicht müssen.
Wenn wir Leitlinien für die Gegenwart ableiten wollen, dann ist zu bedenken, dass sich die Umstände zur damaligen Zeit nochmals völlig verändert haben. Damals waren Kinder praktisch die Lebensversicherung der Eltern. Heute sind wir gesellschaftlich, wirtschaftlich anders organisiert. Die Menschen werden älter. Solches ist bei allfälligen Diskussionen mit zu bedenken.
Ich will da einige Überlegungen festhalten, weniger als Festlegungen, sondern zum Weiterdenken und Weiterdiskutieren, wie es in der Weisheitsliteratur vorexerziert wird:
Die Eltern achten und ehren. Es muss nicht Liebe sein.
Die Kinder sind nicht Besitz der Eltern. Ich habe kein Recht als Elternteil über ihr Leben zu bestimmen. Sie dürfen und müssen ihre Wege gehen.
Es ist weise, Freude an den Kindern zu haben. Kinder mögen ein Schatz sein, aber ich soll sie nicht so nennen, bzw. einer Ehepartnerin oder einem Ehepartner gleichstellen. Es gilt für Eltern Kindern gegenüber den Unterschied zu respektieren und das Gefälle zu achten.
Und Vorsicht vor traditionellen Vorstellungen wie z.B. bei der Pflege zu Hause. Es kann gut passen, aber es kann auch sein, dass damit ein Kind oder Kinder überfordert sind. Die berufliche Situation oder dievBelastbarkeit eines Menschen sind in die Entscheidungen (auch die eigene) einzubeziehen. Es kann die Pflege in einem Altersheim oder Krankenhaus der Menschlichkeit gerechter werden als bei der häuslichen.
Wir feiern heute das Fest der Heiligen Familie. Eine Familie prägt wesentlich das Leben eines Menschen. Sie kann es in beide Richtungen tun, zum Unheil oder zum Segen. Die biblischen Texte des heutigen Tages haben das Grundanliegen, dass der einzelnen oder dem einzelnen Segen erwachsen möge, selbst dann wenn die Umstände schwierig und vertrackt sind.
Ein Kommentar zu “Beziehungsarbeit 1. Lesung: Sir 3,2-6.12-14 | 2. Lesung: Kol 3,12-21| Evangelium: Mt 2,13-15.19-23”
“Wenn wir Leitlinien für die Gegenwart ableiten wollen, dann ist zu bedenken, dass sich die Umstände zur damaligen Zeit nochmals völlig verändert haben….”
Ist es heute nicht oft so, dass Kinder von den Eltern leben… ? – ich denke, dass dieser Aspekt unseren Kindern und Kindeskindern nicht mehr bewusst ist und dieser Faktor als fast selbstverständlich und ohne großen Dank (mit welcher Achtung?) “angenommen” wird. Auch mein Lebensweg hat sich durch meine Eltern positiv verändert und ich bin “viel zu spät” – darauf gekommen mich bei deren Lebzeiten dafür zu bedanken.
Mit lieben Grüßen
Hans