Loslassen – Grundgestalt des Glaubens 1. Lesung: Gen 12,1-4a| 2. Lesung: 2 Tim 1,8b-10| Evangelium: Mt 17,1-9
Auf die erste Lesung gehe ich näher ein. Dazu eine Vorbemerkung: Die ersten elf Kapitel der Bibel, angefangen von den Schöpfungserzählungen bis hin zur Erzählung vom Turmbau zu Babel richten sich an alle Menschen bzw. haben für alle Gültigkeit. Da geht es noch nicht um eine Religion oder um Konfessionen. Die Religion beginnt mit dem zwölften Kapitel, mit der Berufung Abrams, wie er zunächst heißt. Er wird aus den Menschen heraus in besonderer Weise von Gott angesprochen und gerufen. Auf ihn gehen das Judentum, Christentum und der Islam zurück. Er ist der Glaubens-Vater dieser drei Weltreligionen.
Vielen mag es nicht bewusst sein, dass die Berufung Abrams in eine große Notsituation hinein erfolgt. Im vorausgehenden Kapitel wird uns die Geschichte vom Turmbau zu Babel erzählt. Viele kennen sie und ich muss sie nicht erzählen. Doch in unserem Zusammenhang gilt es das Ende zu beachten. Da heißt es: Die Sprache der ganzen Erde war verwirrt und die Menschen waren über die ganze Erde zerstreut (Gen 11,9). Verwirrte Sprache und die Menschen über die Erde zerstreut. Das Gemeinsame und Verbindende ist verloren gegangen. Wo und wann immer solches geschieht, können wir von einer Katastrophe oder zumindest Krise sprechen.
In dieser Not beruft Gott den Abram und fängt mit ihm eine neue Geschichte an. Abram ist ein Hörender und wird zum Begründer neuen Verstehens und einer neuen Gemeinschaft.
Situationen von Not oder Katastrophen sind in der Bibel immer auch Berufungssituationen. Wo Not auftritt, ruft Gott Menschen, sie zu bearbeiten oder gegen sie anzugehen. So gibt es viele Menschen, jung und alt, Wissenschaftler, Kulturschaffende, ja viele Menschen rund um die Welt, die heute z.B. Initiativen setzen, um der Klimakrise entgegen zu wirken. Das Auftreten des Coronavirus ruft weltweit Wissenschaftler auf den Plan, um einen Impfstoff zu finden. Not oder Krisen sind in der Bibel jeweils mit Berufungen verbunden.
Wenn wir nun auf die Berufung des Abram schauen, so ist zu fragen: Was macht seinen Glauben aus? Was ist bei ihm die Gestalt des Glaubens? Er wird weggerufen vom Vaterhaus, von der Verwandtschaft, vom Vaterland in ein Land, das Gott ihm zeigen wird. Zum Segen soll er sein. Es ist nicht die Rede davon, dass Abram beten oder die zehn Gebote halten soll. Das Glauben des Abram ist vor allem ein Loslassen. Er soll gerade jene Dinge loslassen, die damals Sicherheit boten: Vaterland, Verwandtschaft und Vaterhaus.
Abram wird vom Vaterhaus weggerufen. Der Vater nach außen und die Mutter nach innen bestimmten das Leben eines Menschen. Abram wird weggerufen. Er darf und soll ein eigenständiges Leben leben. Ein Kind Gottes sein, nicht Besitz der Eltern. Er hat das Recht und die Berufung von Gott, seinen Weg zu gehen.
Abram wird von der Verwandtschaft weggerufen. Jeder Mensch ist Abbild Gottes. In jedem Menschen begegnet mir eine Schwester oder ein Bruder. Gott ruft uns in eine größere Familie hinein. Jesus hebt verstärkt diesen Aspekt hervor, wenn er zu seinen Verwandten sagt: „Wer den Willen meines himmlischen Vaters tut, ist mir Schwester, Bruder und Mutter“ (Mt 12,50). Wenn wir ein Kind taufen, ist das mehr als ein Familienfest. Die Taufe ist jenes Ritual, in dem zum Ausdruck kommt, dass wir nicht nur auf die Liebe der eigenen Familie bauen und auch nicht nur die eigene Familie lieben wollen.
Abram wird vom Vaterland weggerufen mit dem Zusatz in ein Land, das ICH – GOTT – dir zeigen werde. Das Land, in dem später Israel lebte, war begrenzt mit den Angaben von DAN bis BEERSCHEBA (1 Kön 5,5; 1 Chr 21,2). Dan war der Stamm der Richter und Beerscheba heißt zu Deutsch: „Siebenquell“. Das Land, das Gott zeigt oder in das Gott führt, ist ein Land, in dem Recht und Gerechtigkeit herrschen, ein Land, das aus den Quellen der Wahrheit, der Solidarität, der Gastfreundschaft, des dankbaren Teilens lebt. Abram wird weggerufen vom Vaterland und Gott zeigt ihm ein anderes Land, das keine Mauern oder Grenzzäune kennt.
Für Glaubende gibt es kein Vaterland, das uns einfach als Besitz gegeben wäre. Jedes Land – auch unsere Heimat – ist uns von Gott anvertraut, das von Dan bis Beerscheba reicht, ein Land, in dem Recht und Gerechtigkeit herrschen, in dem Solidarität, Gastfreundschaft, Würde allen Menschen zukommt, gleich welchen Geschlechts, welchen Soseins, welchen Alters, welcher Volkszugehörigkeit, welcher Kultur und Religion.
Wir leben in einem schönen Land, in Hard an einem besonders schönen Ort. Es ist nicht unser Besitz. Es ist uns von Gott anvertraut. Werden Mauern und Grenzen aufgezogen – seien es äußere oder innere im Herzen –, oder wenn man die Augen vor dem Elend und der Not verschließt, dann ist es nicht mehr jenes Land, das Gott einem Abram gezeigt hat.
Zu Abram sagt Gott: Ein Segen sollst du sein. Ich werde segnen, die dich segnen. Vielleicht kann man es so übersetzen: Abram, du sollst anderen gut tun, anderen gut sein. Um anderen zum Segen sein zu können, braucht es immer wieder das Loslassen. Wer nur noch auf Sicherheiten setzt, dessen Welt wird immer kleiner und enger. Wer nur auf Vertrautes und Gewohntes setzt, verliert den Anschluss zum Leben. Da ist Neues nicht möglich. Das Leben wird banal und fad.
Loslassen – von Abram lernen wir, das es die Grundgestalt des Glaubens ist. Vermutlich kennen es Eltern, wie schwer das Loslassen sein kann, wenn es die Kinder betrifft. Ich kann ihnen aber nur zum Segen sein, wenn ich sie loslasse – ins eigene Leben.
Die Kirche als solches oder auch eine Pfarrgemeinde ist heute gefordert, Dinge loszulassen, vielleicht auch solche Dinge, die uns einmal in ihr Heimat und Sicherheit boten. Lasse los, damit du zum Segen sein kannst.
3 Kommentare zu “Loslassen – Grundgestalt des Glaubens 1. Lesung: Gen 12,1-4a| 2. Lesung: 2 Tim 1,8b-10| Evangelium: Mt 17,1-9”
Vielen Dank, Erich, für diese Worte. Ein Gedanke dazu: “Berufung ist, wenn meine Talente und das, was die Welt braucht, zusammen fallen”, sagte schon der weise Aristoteles.
Die Welt heute braucht, wie die Welt zu Abrams Zeiten : Frieden, Gerechtigkeit, Gastfreundschaft und Solidarität – mit den Menschen und der gesamten Schöpfung!
Nutzen wir also gemeinsam unsere Talente für das, was die Welt heute braucht, damit auch wir ein Segen werden.
Erich
ich wünsche dir alles Gute und Gottes Segen bei deiner neuen Aufgabe in Hard. Ich bin mit Hard ein wenig vertraut, da dein Vorgänger Hubert von meiner Heimatgemeinde Nenzing nach Hard gewechselt ist und wir ihn dort manchmal besucht haben.
Ich hoffe du kannst das Bibellabor weiterhin so gestalten, dass es für die Leser ein Segen ist.
PS: Was mir fehlt, ist eine Stellungnahme der Kirche zur Haltung der EU und besonders Österreichs zur Flüchtlingssituation in der Türkei – Griechenland.
Ist die EU noch ein Land in dem Recht und Gerechtigkeit, Solidarität, Gastfreundschaft und Menschenwürde herrschen?
lieber Erich!
Ich sitze an einem neuen Computer und habe das Bibellabor gefunden und deine Predigt vom 6. März. Für mich ist es immer ein wunderbarer Impuls, für den ich dir danke. In Hard hast du nun begonnen mit Gottes Hilfe. Werde im Gebet dich begleiten und wünsche viel Erfolg und Freunde. Herzliche Grüße von Sr. Hildegardis vom Kettenbrücke Kloster in Innsbruck.