Im Überfluss leben 1. Lesung: Apg 2,14.22-33| 2. Lesung: 1 Kor 15,1-8.11| Evangelium: Lk 24,13-25
Das heutige Evangelium ist einer meiner biblischen Lieblingstexte. Man kann die handelnden Personen und ihre Gespräche aus so vielen unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten.
In den vergangenen Tagen hat es intensive Diskussionen rund um die Entscheidung der Bischofskonferenz gegeben, dass an den Kartagen und an Ostern Priester in der versperrten Kirche oder zu Hause stellvertretend für die Gemeinde ganz alleine Eucharistie feiern sollen. Das Schreiben der Bischofskonferenz beginnt mit einem Zitat aus dem Philipperbrief: „Ich habe gelernt, mich in jeder Lage zurechtzufinden: Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben“ (Phil 4,11-12). Auf ganzen zehn Seiten werden die liturgischen Details für diese stellvertretenden Eucharistiefeiern ausgefaltet. Lediglich fünf Zeilen werden für den Hinweis auf die Feier zu Hause aufgewendet, mit einem Verweis, dass weitere Details von den Liturgiereferaten zur Verfügung gestellt werden. Im Sinn des Zitates aus dem Philipperbrief stellt sich die Frage, von welchem Überfluss da gesprochen wird bzw. für wen er gilt und bestimmt sein soll?
Wenn wir auf das heutige Evangelium blicken, dürfen wir erleben, in welch vielfältigen Formen Gemeinschaft mit dem Auferstandenen erfahren werden kann. Der Kirchenvater Augustinus hat gemeint: „Es ist völlig offen, wie viele Sakramente es gibt. Es können zwei oder sieben oder auch hundert sein“.
Zuerst einmal ist es der Austausch über gemeinsam Erlebtes. Die beiden Jünger haben viel erlebt, waren am Boden zerstört, unendlich traurig, deprimiert und enttäuscht. Vermutlich reflektierten sie manche unerfüllten Hoffnungen. Sie hatten gehofft, dass Jesus der sei, der Israel erlösen werde – der Traum war zerplatzt. Es sind Jünger in der Glaubenskrise, die da unterwegs sind.
„Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte (…) Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus selbst hinzu und ging mit ihnen.“ Wenn wir uns also mit Mitmenschen, Weggefährten und Freunden – in Zeiten wie diesen am Telefon mit Whats-up oder Skype – darüber austauschen, wie wir unsere derzeitige Situation erleben, wo wir uns sorgen, Ängste mit uns tragen oder aber auch Chancen sehen und Hoffnungsschimmer erleben, dürfen wir davon ausgehen, dass der Auferstandene selbst hinzukommt. Wir dürfen durch dieses gemeinsame auf dem Weg sein Stärkung und Kraft erfahren.
Ein weiterer Aspekt ist die Beschäftigung mit dem biblischen Wort. In der Bibel werden unzählige verstörende Biographien geschildert. David, Mose, Kain – sie alle haben Menschenleben auf dem Gewissen, Prostituierte finden sich im Stammbaum Jesu, Lug und Trug werden geschildert. Aber genau in solche Biographien greifen Gott und in den Heilungserzählungen auch Jesus ein. Jesus trifft auf die Emmaus-Jünger und „er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht“. Sie lassen sich von einem vermeintlich Fremden die Ereignisse neu deuten. Auch wir dürfen immer wieder neu die Bibel zur Hand nehmen und darüber nachsinnen, inwiefern wir dort Inspirationen für unerwartete Wegstrecken finden, mutvollen Zuspruch erfahren oder auch in den Klagerufen der Psalmen Zuflucht finden dürfen.
Jesus hat während seines ganzen Wirkens immer wieder bei Menschen Hoffnung und Heilung bewirkt. Er hat unzählige Male die Schrift ausgelegt und er war oftmals Gastgeber. An jedem Schabbat wird bei den Juden in der Familie das Brot gebrochen. In dieser Tradition des jüdischen Hausvaters stand Jesus. Er hat gerne und auffallend zahlreich mit Menschen gefeiert, die auf irgendeine Weise zu kurz gekommen waren – nicht mit den Reichen, mit den Mächtigen oder der religiösen Elite. Er wird in fremden Häusern oder in der freien Natur zum Gastgeber. Er aß bei den Zöllnern von Karpharnaum, dem Brautpaar in Kana, bei Zachäus, mit Maria und Martha, mit den fünftausend auf dem Golan und in heidnischem Gebiet mit den viertausend. Sehr im Gegensatz zum letzten Abendmahl sind es die normalen Mahlzeiten, denen Jesus ihren eigenen Rang als Feierlichkeiten der Gemeinsamkeit mit allen verleiht, ganz gleichgültig wie fromm oder gesetztestreu die einzelnen waren.
Die Emmaus-Jünger erkannten ihn an der Geste des Brotbrechens. An jener Art, wie es Jesus oft und oft getan hatte, in der Rolle des jüdischen Hausvaters und Gastgebers. Das bedeutet: Diese Geste geht nicht auf das letzte Abendmahl zurück, sondern auf die Weise, mit der Jesus die vielen festlichen Mahlzeiten in Galiläa zu eröffnen pflegte. Das Johannes Evangelium kennt überhaupt „nur“ das einfache Brotbrechen Jesu.
Bemerkenswert ist, dass Jesus gerade diesen beiden Jüngern die Augen aufgetan hat und nicht Jüngern aus dem auserwählten 12er Kreis. Es dürften zwei Jünger aus dem Jüngerkreis der 72 gewesen sein, die Jesus „zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte“ (Lk 10, 1) ausgesandt hatte. Nach der Rückkehr ihrer ersten Missionsreise wandte sich damals Jesus „an die Jünger und sagte zu ihnen allein: Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht. Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben nicht gesehen, und wollten hören, war ihr hört, und haben es nicht gehört“(Lk 10,23-24). Warum erkannten sie den Auferstandenen? Sie haben von Jesu Aufgeschlossenheit gelernt. Sie öffneten ihr Herz einem Fremden und waren bereit, seinen Schriftauslegungen zuzuhören. Sie lernten von Jesu Gastfreundschaft. Sie luden den Fremden ein: „Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt!“. Sie hatten also gelernt in Jesu Sinn zu hören und zu sehen, auch dann, wenn Umstände eine Begegnung mit dem Auferstandenen nicht erwarten lassen. „Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn, und er entschwand ihren Blicken. Und sie sagten zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete?“ Diese zwei Erfahrungen, das gemeinsame Teilen von Brot und Bibel, gehören zusammen.
Im jüdischen Haus sind Vater und Mutter „Priester“, aber nicht um die Macht der Kleriker zu teilen und endlich ein „Amt“ zu bekleiden, sondern weil sie die Glieder eines „heiligen Volkes von Priestern“ sind, in dem die Verheißung auf allen liegen. Wir alle sind bei unserer Taufe zu KönigInnen, ProphetInnen und PriesterInnen gesalbt worden. Der Dominikaner Kardinal Yves Congar meinte, der Laie ist „nicht mehr nur der Nicht-Kleriker, er ist der Berufene“. Wie anders kann da der Zuruf der Bischofskonferenz „Ich habe gelernt, mich in jeder Lage zurechtzufinden: Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben“ (Phil 4,11-12) gelesen werden.
Wir alle sind derzeit auf dem Weg in eine veränderte Zukunft. Straßen sind Verbindungslinien zwischen verschiedenen Orten des Lebens. Wir werden neue Ziele und Schwerpunkte finden, andere Wege einschlagen müssen, auch in unserer Kirche. Wenn uns der Auferstandene unterwegs begegnet, kann jeder Ort der Welt zu einer Verbindung zum Leben werden.
Niemand ändert sich selbst, aber es kann ihm widerfahren, dass eine Begegnung ihn ändert. Es war bei den Emmaus-Jüngern die Begegnung mit einem Fremden. Es gibt neben äußeren Bekehrungen, also die Fähigkeit eine neue Wirklichkeit zu sehen, auch eine innere. Das heißt, sich selbst zu fragen: Wer bin ich angesichts dieser Auferstehungserfahrung? Wie kann ich in der derzeitigen Situation Spuren eines neuen Weges erkennen? Lassen wir uns unsere gehaltenen Augen vom Auferstandenen öffnen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Korinther anhören möchten:
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