Erwählt sein 1. Lesung: Sir 24,1-2.8-12|2. Lesung: Eph 1,3-6.15-18|Evangelium: Joh 1,1-5.9-14
Ich will mich Paulus und seinem Brief an die Epheser widmen. Zunächst zu den Hintergründen des Briefes:
Die Adressaten des Briefes leben gegen Ende des 1. Jahrhunderts im kleinasiatischen Raum. In der Gemeinde bestehen latente Spannungen zwischen den beiden Gruppen von Heiden- und Judenchristen. Es gibt Meinungsverschiedenheiten im Zusammenhang mit der sich verfestigten Ämterstruktur. Ephesus bietet ein reiches Angebot an neuen Religionen, Bruderschaften und Mysterienvereinen. Es gibt synkretistische Tendenzen, d.h. eine Vermischung von verschiedenen religiösen Traditionen. Vielleicht ähnlich wie wir das heute erleben, wenn z.B. Christen auf esoterischen Praktiken und Riten, auf die Heilkraft von Steinen, Ölen, Düften und positivem Denken setzen und kirchlichen Riten an Bedeutung verlieren. In der Gemeinde zeigen sich Auflösungstendenzen. Es sei ebenso erwähnt, dass der Brief vermutlich nicht von Paulus, sondern von seinen Schülern stammt. Ich rede trotzdem im Weiteren von Paulus.
Nun einige erläuternde Gedanken zur Lesung:
Zunächst zum Geschichtsverständnis des Paulus und der Frage: Woher kommen und wohin gehen wir? Paulus schreibt: In Jesus Christus sind wir erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne u. Töchter zu werden durch Jesus Christus …“
Zwei besondere Aspekte sind angesprochen: a) der Gedanke der Erwählung und b) der Gedanke des Heilsplanes Gottes. Für Paulus ist die Geschichte weder das Ergebnis eines Zufalls oder von Zufällen noch das Produkt von Willkür irgendeiner Macht. Die Geschichte ist vielmehr Trägerin eines großen Geheimnisses, von der sie seit Anbeginn erfüllt ist. Sie zielt ab auf Jesus Christus. Mit ihm erlangt die Schöpfung ihren Höhepunkt. Mit ihm kommt die Schöpfung zurück in den Himmel. Und als Getaufte haben wir Gemeinschaft mit ihm.
Ja, wir – die an Christus Glaubenden – sind erwählt bereits vor der Erschaffung (Grundlegung) der Welt. Nicht nur die Geschichte, auch wir Menschen sind keine Zufallsprodukte. Wir sind in Christus Erwählte von jeher. Von Gott, von Jesus Christus erwählt sein, zeichnet das Grundverständnis des Paulus aus. Dieses Erwählt sein gibt jedem Menschen die besondere Würde. Du bist von Gott gewollt!, begründet den tiefen Sinn des Lebens, des Daseins. Du bist von Gott gewollt, nimm diese Zusage mit in jeden neuen Tag des Jahres.
Der zweite Aspekt: Das Erwählt sein vor der Erschaffung der Welt ist verbunden mit dem Heilsplan Gottes, nämlich dass wir heilig und untadelig leben vor Gott; ja um seine Söhne und Töchter zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen zum Lob seiner herrlichen Gnade.
Ich versuche den komplizierten Satz etwas zu entschlüsseln:
– heilig und untadelig leben vor Gott: Heilig zu leben heißt als Geheilte, als in jeder Hinsicht Befreite zu leben: geheilt von Angst, Eifersucht, Feindschaft, Konkurrenzdenken, Krankheiten; geheilt im Besonderen von der Angst vor Gott. Gott ist nicht der Konkurrent deines oder meines Lebens, auch nicht der Freiheit, sondern er will dich und mich als Original, als Mensch, wie ich es nur jede und jeder sein und leben kann.
– der Heilsplan Gottes ist verbunden mit der Erneuerung der Beziehung des Menschen zu Gott, wobei die Initiative nochmals bei Gott liegt. Er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne und Töchter zu werden durch Jesus Christus: Gott als Vater – Gott als Mutter. Eltern wollen das Beste und geben das Beste für ihre Kinder. Wir sind Kinder, die am Leben Gottes und an seiner Liebe teilhaben dürfen. Wir sind ihm keine Marionetten, Spielbälle oder willfährige Wesen.
Um die Bedeutung solcher Aussagen verstehen zu können, gilt es das Umfeld im Auge zu behalten mit den griechisch-römischen Göttern und Halbgöttern, aber auch mit den Kaisern, die sich als (Halb-)Götter verehren ließen, um sich von den normalen Menschen abzuheben. Der sich in Jesus Christus offenbarende Gott lässt sich auf die Ebene der Menschen herab und bildet mit ihnen eine Familie. Wir sind seine Familie.
– der Heilsplan Gottes hat sein letztes Ziel darin, dass wir zum Vater gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Der Heilsplan erfüllt sich erst in diesem Ziel: im Lob der eigenen Gnade. Da liegt kein Zwang dahinter, da geht es um ein freies Liebeswerben Gottes. Zwang oder Druck könnte kein echtes Lob hervorbringen.
Zwei Gedanken zum Schluss: Unsere Geschichte so zu sehen und zu verstehen lernen, wie Paulus sie sieht, braucht das Auge des Glaubens. Ich zitiere ihn nochmals: „Er (Gott) erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt.“ Gott der uns reich macht – dafür will Paulus die Augen öffnen, bzw. bittet er Gott, dass uns die Augen geöffnet werden.
Paulus spricht von den Getauften, von den an Gott Glaubenden. Was ist mit den anderen? Sie sind für ihn hier kein Thema, schon gar nicht, dass sie Verdammte wären. Er lässt es offen. So wie aber Paulus schreibt, gilt auch ihnen diese Liebe, die schon vor der Erschaffung der Welt da ist, durch die sie in Christus zu Söhnen und Töchter werden.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesus Sirach anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Ephesus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten: