Menschen sind keine Feinde 1. Lesung: Jer 33,14-16|2. Lesung: 1 These 3,12-4,2|Evangelium: Lk 21,25-28.34-36
Die Lesungen des ersten Adventsonntags befassen sich mit apokalyptischen Situationen. Es sind Situationen, in denen weder gesellschaftlich, politisch noch religiös ein Stein auf dem anderen bleibt, in denen für die Menschen jeder Halt verloren scheint. Jeremia erlebt die Belagerung und Zerstörung Jerusalems mit der Verschleppung des Volks nach Babylon im 7. Jht. v.Chr. Der Evangelist Lukas befasst sich mit der Zerstörung Jerusalems inklusive des Tempels und der damit verbundenen Vertreibung der Juden aus Jerusalem 70 n. Chr. Es sind Ereignisse mit jeweils katastrophalen Ausmaß. Ich möchte mich vor allem Jeremia und seiner Botschaft zuwenden.
Wir haben drei Verse aus dem 33. Kapitel des Propheten gehört. Um sie besser verstehen zu können, gilt es die Umstände zu kennen. Jeremia selbst sitzt im Gefängnis. Er hat den König in mehrfacher Hinsicht kritisiert. Außenpolitisch hat er ihm eine falsche Bündnispolitik vorgeworfen. Er verkennt die Machtverhältnisse und verbündet sich mit den Mächten im Süden. Er unterschätzt die Gefahr aus dem Osten. Innenpolitisch kritisiert er den König, weil er es erneut geduldet hat, dass die Reichen sich Sklavinnen und Sklaven aus dem eigenen Volk nehmen (Jer 34,16). Er erinnert: Gott hat euch doch aus dem Sklavenhaus aus Ägypten herausgeführt. Es verstößt gegen den Willen Gottes.
Durch die Eroberung der Stadt Jerusalem durch das Heer Nebukadnezzars steht dem Volk ein großes Elend bevor: zunächst der Tod vieler Angehöriger; zerstörte Häuser, zerstörte Äcker; jene, die überleben insbesondere die Führungsschicht, werden verschleppt und zu Sklaven gemacht. In diese Situation sind die Worte des Propheten gesprochen: „Siehe, Tage kommen – Spruch des Herrn -, da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe. In jenen Tagen und jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land. In jenen Tagen wird Juda gerettet werden, Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: der Herr ist unsere Gerechtigkeit“ (Jer 33,14-16).
Das Wort des Propheten steht im scheinbar völligen Widerspruch zur erlebten Situation. Natürlich die Frage: Worauf stützt sich seine Hoffnung? Und was steht hinter den Worten: „Spruch des Herrn?“
Es ist zunächst die Erinnerung an die Situation in Ägypten. Da hat sich Gott des Volkes Israel erbarmt. Er hat Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten herausgeführt, gerettet. Seit seiner Offenbarung am brennenden Dornbusch ist es Teil seiner Offenbarung geworden, dass er – Gott – die Menschen aus jeglicher Sklaverei herausführt. Jeremia weist darauf hin, dass das Herausführen aus der Sklaverei erneut zur Erfahrung werden wird. Es zählt zum Wesen Gottes. Und zum Wesen Gottes zählt ebenso, dass er wirkt, dass er weiter Heilsgeschichte schreiben wird.
Jeremia entfaltet weitere Bilder und Symbole, um den Menschen in ihrer katastrophalen Lage Hoffnung zu geben. Es lohnt sich, diese Bilder und Symbole selbst zu meditieren und darin Wahrheiten zu entdecken. Ich kann nur Spuren legen. In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Mit David ist auf einen neuen König, eine neue Leitgestalt, zugleich aber auf jede einzelne Person angespielt. Mit David ist zugleich die/der „Geliebte“ oder die/der „Liebende“ angesprochen. Setzt nicht auf Gewalt, oder antwortet nicht auf Gewalt mit Gegengewalt. Es wird ein gerechter Spross aufsprießen. Übersetzt vielleicht: Erwartet keine raschen Lösungen. Es wird klein beginnen: sprossenhaft. Das Neue wird erst allmählich wachsen.
Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land. Jeremia gibt ihnen zugleich das Programm mit auf den Weg. Achtet das Recht und sorgt für Gerechtigkeit. Das wird euch in Sicherheit wohnen lassen. Das Leben spielt sich immer in Beziehungen ab. Man wird nicht allein wirklich selig, glücklich. Mit Gerechtigkeit ist die Sorge füreinander angesprochen, gegenseitige Rücksichtnahme, gegenseitiger Respekt, Nachbarschaftshilfe, Gastfreundschaft.
Dem aufsprießenden Spross wird man den Namen geben: „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit“. Vermutlich lesen oder hören wir den Text so, dass wir ihn unmittelbar auf Jesus beziehen. Mit ihm ist die Gerechtigkeit gekommen. Jeremia hat aber nicht Jesus im Blick, sondern sein Volk, bzw. seine Leute, die verschleppt werden. Die Gerechtigkeit leben ist göttliches Tun. Wer gerecht handelt und agiert, in der oder dem kommt Göttliches zum Vorschein.
Man beachte, was der Prophet hier nicht anspricht. Die Eroberer werden von ihm nicht als Feinde beschrieben oder apostrophiert. Er spricht die Seinen an und wie sie den Weg nun weitergehen können, vielleicht auch sollen.
Jeremia schreibt in eine Zeit hinein, in der das Volk sich nicht nur zu spalten, sondern völlig auseinander zu fallen droht. Vielleicht können wir manches von ihm lernen. Zunächst einmal ganz wichtig: Gott wirkt. Er schreibt auch heute Geschichte und zwar – wie damals – mit dem Volk, mit den vielen „kleinen, einfachen Menschen“. Sein Ziel: aus der Sklaverei herausführen.
Recht und Gerechtigkeit gehören zum Wesen Gottes. Mit Recht und Gerechtigkeit ist die Sorge füreinander in jeglicher Hinsicht verbunden: die gegenseitige Achtung, das aufeinander Rücksicht nehmen – da zählt auch die Gesundheit dazu. Man lebt nicht für sich. Wir sind Teil der Gemeinschaft. Wir werden einander vor allem in der Zukunft noch brauchen.
Die Pandemie, die Klimakrise u.a. sind unsere Aufgaben, unsere Herausforderungen – oder wenn man so sagen will: unsere Feinde – und nicht Menschen. Es läuft dem Glauben völlig zuwider, wenn wir Menschen zu Feinden erklären.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jeremia anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalónich anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten: