Gipfelerlebnisse und Täler 1. Lesung: Jer 17,5-8|2. Lesung: 1 Kor 15,12.16-20|Evangelium: Lk 6,17-18a.20-26
Der heutigen Erzählung des Evangelisten Lukas geht voraus, dass sich Jesus auf einen Berg begeben hat: „Er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus; sie nannte er auch Apostel“ (Lk 6,12-13). Anschließend stieg er mit ihnen den Berg hinab.“ Diese Beschreibung verdeutlich für mich in eindrücklicher Weise, wie sehr Jesus in das Leben der Menschen eingetaucht ist.
Wir kennen solche Erlebnisse – wir sind ganz versunken, ja vielleicht sogar etwas entrückt von dieser Welt. Es macht sich eine Gelassenheit und Ruhe breit, wir erleben das intensive Gefühl eines Grundvertrauens, eines inneren Friedens. Wir erleben ein schönes Familienfest, dürfen einen gelassenen Urlaub oder eine gemeinsame Wanderung mit Freunden erleben und spüren eine Geborgenheit, ein Gefühl von Geschwisterlichkeit, die uns trägt und stärkt. Über all diesen Momenten der Ruhe und Gelassenheit liegt bereits der Schatten des Bewusstseins, dass uns bald der Alltag und die Mühen der Ebene einholen werden. Vermutlich ganz besonders jetzt in Zeiten der Pandemie. Man kann nie so genau wissen, ob nicht auf Zeichen einer Entspannung der Lage wieder eine Mutation des Virus in seinen Anfängen steckt.
So erlebten es auch Jesus und seine Jünger. Dem gemeinsamen Gipfelerlebnis folgen die Mühen der Ebene. Man wird vom Alltag eingeholt – allerdings auch bereichert um diese Erlebnisse, die uns spüren lassen, dass es auch anders sein könnte. Manchmal kehrt man aus solchen Höhepunkten mit Vorsätzen zurück im Alltag etwas ändern zu wollen, damit man auch im Tal des täglichen Lebens Momente dieser Freude, Ruhe, Gelassenheit und inneren Friedens erleben kann. Wir spüren, dass wir die Gegebenheiten in der Welt nicht losgelöst von unserem Verhalten sehen können.
Erste Umfragen, die sich mit Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise beschäftigen, zeigen, dass diese Zeit Menschen einiges gelehrt hat. Wir wurden gezwungen, Abstand zu nehmen zu Bisherigem, zu hinterfragen, neu zu orientieren. Es hat die Zahl jener Menschen stark zugenommen, die einen Berufswechsel angestrebt haben. Einige haben neue Hobbies, Sport und Interessen entdeckt. Andere wiederum haben sich entschieden nachhaltiger zu leben und ihre work life balance (die bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben) neu auszutarieren. Wir sind gezwungen worden, anders zu leben und einige Menschen haben die Chance genutzt, neu leben zu lernen. Wissend dass, auch wenn die Corona-Pandemie vorüber sein wird, es ein Leben wie davor nicht mehr geben wird.
Auch Jesus lebte in einer krisengebeutelten Welt, einer Welt der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spaltungen. Sein Nachtgebet hat ihm verdeutlicht, wo die Wurzel des Übels liegt und wo es Not tut, Missstände klar zu benennen.
Viele Jahrhunderte lang wurden die „Seligpreisungen“ insbesondere von Mächtigen so ausgelegt, dass für Arme und Beladene das Leben hier ja quasi eine Chance sei und ihnen einen besseren Platz im Jenseits reservieren würde. Eine Fehlinterpretation, die auch die Kirche viele Jahre mitunterstützt hat.
Jesus geht es um eine Umgestaltung der Gesellschaft, um die Errichtung des Reiches Gottes bereits hier auf Erden. An zahlreichen Stellen im Zweiten Testament lesen wir, dass es dafür als Grundvoraussetzung zweier Haltungen bedarf – Hören und Sehen.
Der französischen Königin Marie Antoinette wird folgender Satz zugeschrieben: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen“. Dieser Satz ist zum Sinnbild für das Unverständnis der Eliten gegenüber den sozialen Problemen der Zeit geworden. Auch wir erleben eine abgekoppelte Welt der Reichen und Eliten, die den Blick auf das Wesentliche, die Ungerechtigkeiten und das Elend verstellt. Viele, die im Jetset (eine internationale Gesellschaftsschicht, die über genügend Geld verfügt, um sich per Flugzeug an exklusiven Orten zu treffen, zu denen die meisten Menschen keinen Zugang haben) leben, haben die Augen und Ohren verstellt, zugeklappt, haben sich in ihre eigene Welt zurückgezogen und leben in einer Parallelwelt. Für sie kann und soll alles so bleiben wie es ist. Eine Rücksichtnahme auf soziale Spannungen oder auf den Umweltschutz ist nicht notwendig, denn mit ausreichend finanziellen Mitteln wird man auch in Zukunft ein kühles Ecklein finden, abgeschottet in „Gated Communities“ (ihren geschlossenen Wohnanlagen). Der Wunsch etwas verändern zu wollen, spüren sie nicht mehr, sie können ihn gar nicht mehr spüren. Sie haben ihr Himmelreich auf Erden. Ein Hinterfragen ist für sie gar nicht mehr notwendig. „Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen.“
Selig sind jene, die mitten im Volk leben, den Ruf der Armen hören und das Elend sehen. Denn in ihnen bleibt der Wunsch nach Veränderung aufrecht, die Wahrnehmung, dass es so nicht weitergehen kann und darf. Erst die klare Sicht auf die Ungerechtigkeiten ergeben den Wunsch, im Leben und auf dieser Welt noch Großes vor haben zu wollen. Das Erkennen, dass wir vom Reich Gottes noch weit entfernt sind, fordert uns auf, die Ärmel hochzukrempeln und Hand anzulegen. Selig sind jene Menschen, die die Hoffnung nach einem Reich Gottes spüren, die ihnen die Stärke gibt, dass es so wie es ist, nicht bleiben muss und darf.
Das abgeschiedene Leben in der Corona-Pandemie haben zahlreiche Menschen auch zu nutzen gewusst. Sie haben sich und ihre Lebensweise hinterfragt. Sie haben ihr Leben im Kontext ihres Umfeldes betrachtet und dabei erkannt, dass wir in Mitteleuropa sehr stark auf Kosten unserer Umwelt und anderer Teile der Welt gelebt haben und leben. Sie haben gelernt wieder ganz anders hinzuhören und hinzusehen auf das Leid und das Stöhnen unseres Planeten und seiner Bewohner. Die frühere Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, meinte in einem ihrer Abschiedsinterviews: Kernmotivation für sie sei gewesen, beizutragen, dass die Welt ein Stückchen besser wird und das Leid im Umfeld zu sehen. Wenn jemand vom Schicksal so viel Kraft bekommen habe, sei es auch die verdammte Pflicht, sich mehr einzubringen.
Wir werden derzeit eingeladen, anders leben zu lernen und diese Chance zu nutzen. Wir haben die Rückbindung an viele Höhenerlebnisse der Vergangenheit, von denen wir zehren dürfen und die uns stark machen. Ein Vorarlberger Heimatlied besingt sogar den Weg von der Höhe in das Tal und beider Schönheiten. Auch Jesus kannte diese Wege und wir dürfen darauf vertrauen, dass er sie mit uns geht. Den Blick ausgerichtet auf das Reich Gottes, indem wir den Blick auf die Wurzeln des Übels bewahren, Missstände klar benennen und versuchen an ihrer Behebung zu arbeiten.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jeremía anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten: