Österliche Augen 1. Lesung: Apg 5,12-16 |2. Lesung: Offb 1,9-11a12-13.17-19|Evangelium: Joh 20,19-31
„Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen und hörte hinter mir eine Stimme … Sie sprach: Schreib das, was du siehst, in ein Buch, und schick es an die sieben Gemeinden in Kleinasien. Da wandte ich mich um, weil ich sehen wollte, wer zu mir sprach.“ Noch öfter ist in der Lesung die Rede vom Sehen und Sehen wollen und das Gesehene anderen zu künden und verkünden.
Auch Thomas will im Evangelium sehen. Er will die Wunden sehen, sonst glaubt er nicht. Und sein Wunsch geht – vielleicht sogar gegen seine Erwartung – in Erfüllung. Acht Tage danach sieht er die Wunden. Er begegnet dem Verwundeten, dem Auferstandenen.
Es fällt auf, dass das Sehen im Zusammenhang mit österlichen Erfahrungen eine wichtige Rolle spielt, dass das Sehen und der österliche Auferstehungsglaube eng miteinander verknüpft sind. Es ist im Johannesevangelium das letzte Wort Jesu: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!“. Es gibt dann noch weitere Aussagen von Jesus, die kamen aber erst später hinzu.
Die Schrifttexte dieses Sonntags helfen, manchen Missverständnissen vorzubeugen, etwa dem Missverständnis: Glauben heißt nicht wissen. Doch: Glauben deutet Wissen. Glauben setzt Wissen voraus und manches Wissen erschließt sich erst durch den Glauben.
Zurück aber zu diesem Sehen, das mit Ostern, dem österlichen Glauben so eng verbunden ist:
Ein erstes: Österlicher Glaube braucht das Sehen, das Sehen wollen. Wer glauben mit blindem Vertrauen gleichsetzt, ist auf einem einseitigen, fast schon gefährlichen Weg. Das heutige Evangelium hat nicht das Glaubensmotto „Augen zu und durch“, sondern gerade umgekehrt, es steht die Einladung: „Augen auf!“
Der Wunsch des Thomas, mehr zu sehen, wird nicht abgeschmettert, sondern er wird erfüllt, ja sogar „über-erfüllt“. Thomas darf den Herrn sehen und berühren. Wenn es nur darum ginge, den Wunsch nach Sehen und Berührung abzuwerten, müsste er doch nicht erst erfüllt werden. Aber das heißt dann doch auch für uns: Wer glauben will, darf sehen. Und wer den Herrn berühren möchte, darf davon ausgehen, dass dieser Wunsch erfüllt wird. Die einzige Bedingung ist, sehen zu wollen.
Glaube ist nie ein fertiger Glaube. Glauben ist ein Prozess vom Kinder- zum Erwachsenenglauben oder wie der Theologe Eugen Biser es formuliert: vom „Gehorsamsglauben“ zum „Verstehensglauben“, vom „Leistungsglauben“ zum „Verantwortungsglauben“. Ein tragfähiger und tragender Glaube will immer wieder neu erarbeitet, meditiert und erbetet werden. Solcher Glaube wächst nicht ohne das Sehen wollen.
Ja, es braucht das Sehen und Sehen wollen im Glauben, sonst verliert er die Bodenhaftung. Es gibt eine Art und Weise des Glaubens, der die Zeichen der Zeit nicht sehen will: der sich gegen die Veränderungen in der Welt und Gesellschaft abschottet, der sich den Wunden unserer Zeit verweigert, sich als blind gegenüber der Gewalt an Kindern und Frauen erweist oder abgestumpft das moderne Sklaventum, das hinter vielen Billigprodukten steckt, hinnimmt u.a.m.
Die Ostererzählungen berichten uns, dass Menschen, die sehen wollen, dem Auferstandenen begegnen, mit dem Auferstandenen und seinen Wunden in Berührung kommen. Wir sollten uns nicht vor Menschen fürchten, die sehen wollen, die manchmal genau hinsehen, die vielleicht manchmal auch mehr als anderen lieb ist sehen.
Ein zweiter Aspekt des Sehens und Sehen wollen: Diese Osterberichte haben die Absicht eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie können oder dürfen wir uns das vorstellen, wenn er nicht mehr unter uns ist: „Den Herrn sehen“ bzw. „den Herrn berühren“?
Die biblischen Texte erzählen uns: Selbst dann, wenn er nicht mehr bei uns ist, können wir ihn sehen; selbst dann, wenn er uns nicht mehr berührt, kann er uns begegnen. Er schaut uns an in den Augen anderer Menschen. Er berührt uns durch andere: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen. Ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen“ (Mt 25).
Von einem solchen Sehen spricht Jesus, beziehungsweise um dieses Sehen geht es, wenn es auf dem Weg nach Emmaus heißt: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn“ (Lk 24). Macht diese österlichen „Augen auf!“ in euren Gesprächen, Begegnungen und Diskussionen.
Der scheinbar ungläubige Thomas macht es vor: Wer glauben will, darf sehen wollen, er wird und muss es sogar. Der Herr ist zu sehen: tagtäglich in den Menschen, die unsere Wege begleiten. Die Osteraugen schauen nicht nur oberflächlich, sie versuchen mehr zu sehen, sie versuchen Menschen in ihrer Situation zu verstehen bevor geurteilt und verurteilt wird, sie versuchen die Wunden zu sehen und anzuerkennen, ohne sie neu aufzureißen. Österliche Augen wollen sehen, damit die Mitmenschen und ebenso die Schöpfung heil werden können.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus der Offenbarung des Johannes anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Österliche Augen 1. Lesung: Apg 5,12-16 |2. Lesung: Offb 1,9-11a12-13.17-19|Evangelium: Joh 20,19-31”
Darf ich zu obigen tief schürfenden und anregenden Ausführungen noch einen Ausspruch des alternden J. W. v. Goethe hinzufügen, der mich in manchen Stunden auch hilfreich bewegt??
– Wenn der persönliche Gott der Bibel kollidieren möchte mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft im Makro-/Mikro-Kosmos
– Wenn die Erfahrungen in andere Religionen auch Spuren einer allumfassenden Wahrheit erkennen lassen
– Wenn in der Allgegenwärtigkeit des Bösen und Leidens keine Logik erkennbar ist und nur erdrückende Hoffnungslosigkeit aufkommen möchte (Theodizee-Frage)………………
Er sagt:
„ Der Glaube ist ein großes Gefühl von Sicherheit für die Gegenwart und Zukunft; und diese Sicherheit entspringt aus einem Zutrauen auf ein übergroßes und unerforschliches Wesen.
Auf die Unerschütterlichkeit des Zutrauens kommt es an.“
Möge unser ganzes Wesen in allen Dimensionen “sehend” werden!