Mitten unter euch 1. Lesung: Jes 49,3.5-6| 2. Lesung: 1 Kor 1,1-3| Evangelium: Joh 1,29-34
Beim Lesen der heutigen Textstellen macht sich am Anfang etwas Verwirrung breit. Sie sind aus dem Zusammenhang gerissen und sehr kurz. Der Abschnitt der zweiten Lesung umfasst lediglich die Begrüßungsformel des ersten Briefes des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth. Die Texte scheinen etwas in der Luft zu hängen und lassen vieles offen.
Johannes befindet sich irgendwo in der Gegend rund um den Jordan und tauft. Er wird von Priestern und Leviten aus Jerusalem in die Mangel genommen. Sie wollen wissen, wer er und in welchem Auftrag er tätig ist. Johannes bestreitet Elija, Christus oder ein Prophet zu sein. Er selbst bezeichnet sich als „Stimme eines Rufers aus der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn!“ und zitiert damit den Propheten Jesája. Johannes schildert zwei Sätze vor dem Beginn des heutigen Evangelientextes sein Tun ganz lapidar: „Ich taufe mit Wasser“. Johannes tut etwas, was damals im Judentum sehr üblich und in unterschiedlichen Situationen des Lebens von der Tora vorgeschrieben war – in Wasser einzutauchen, um rituell rein zu werden, damit wieder der Tempel betreten und am gesellschaftlichen Leben teilgenommen werden kann.
Dem Evangelisten Johannes scheint es sehr bedeutend zu sein, dass der Erlöser, der Messias, das Lamm Gottes, unerkannt auftritt und keine äußeren Merkmale aufweist. Seine Erkennungszeichen sind offensichtlich nicht schöne Gewänder, kein makelloses Äußeres und auch kein Heiligenschein. Dass er für die notorischen Gesetzesreiter aus der religiösen Machtzentrale nicht erkennbar ist, verwundert wenig. ER ist allerdings auch für Johannes – seinen Bezeuger – nicht erkennbar. Johannes spürt aber, dass ER bereits an diesem Tag unter ihnen weilt: „Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt“.
Wir erleben vielleicht derzeit ebenfalls so eine Situation. Wir spüren, dass Veränderungen platzgreifen, dass etwas anders wird. Allerdings können wir diese Empfindungen noch nicht ein- und zuordnen, können die Zusammenhänge nicht nachvollziehen, noch ihre konkreten Konsequenzen für uns und unser Umfeld ausmalen.
Keiner, weder Johannes noch die Leute aus Jerusalem, erkannten ihn an besagtem Tag. Erstmalig am Tag darauf erhält ER seinen Namen im Johannes-Evangelium – Jesus – das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Zum ersten Mal im Johannesevangelium ist Jesus Teil der Szene. Die Bezeichnung „Lamm Gottes“ wird im ersten Kapitel eingeführt und gleich zwei Mal hervorgehoben. Er steht für das grundlegende Befreiungsgeschehen des auserwählten Volkes Israel, dem Exodus, der auf Jesus übertragen wird. Das Blut des Paschalammes wehrte todbringendes Unheil ab. Im Johannes-Evangelium spielt der Verfasser bei der Kreuzigung Jesu mehrmals auf die Paschatraditionen an. So stirbt Jesus zeitgleich mit der Schlachtung der Paschalämmer auf dem Tempelplatz, einen Tag früher als bei den Synoptikern. Der Gedanke, dass ein Tier die „Sünde der Welt“ hinwegnimmt, ist sehr alt. Am Fest „Jom Kippur“, dem Tag der Sündenvergebung im Judentum, machte der Hohepriester die Sünden des Volkes Israel bekannt und übertrug sie durch Handauflegen symbolisch auf einen Ziegenbock. Mit dem Vertreiben des Bocks in die Wüste wurden diese Sünden mitverjagt. Jom Kippur ist im Judentum der höchste Feiertag des Jahreskreises und der große Versöhnungstag zwischen Menschen und Gott. Nach dieser Betrachtung der Sündenvergebung im Judentum wird deutlich, dass Jesus diese „Einmaligkeit“ im Jahreslauf ausweiten wollte. Diese Tatsache spiegelt sich auch in unserer Liturgie wider – im „Agnus Dei“: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme dich unser. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme dich unser. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, gib uns deinen Frieden“. Wann immer wir es beten, wissen wir darum.
Johannes sah den Geist vom Himmel herabkommen – wie eine Taube. Wie eine Taube, nicht als Taube. Der Evangelist versucht etwas zu beschreiben, was eigentlich nicht beschreibbar ist. Die Taube ist Symbol des Lebens, für jenes Leben, das dem ersten Menschen – Adam, dem Erdling – durch Gott eingehaucht wurde. Die Taube steht für den Atem Gottes, der über Jesus kam und auf ihm blieb. Dies ist das Zeugnis des Johannes-Evangeliums. Ganz im Unterschied zu den synoptischen Evangelienschreibern – dort sind es Engel, die die frohe Botschaft verkünden, Hirten und Weise, die das Ereignis bezeugen. Erwachsene, die die Geburt eines Kindes verkünden, wie wir es an den Festtagen in unterschiedlichen Versionen gehört haben.
Im Johannes-Evangelium stehen sich zwei erwachsene Menschen gegenüber, die offensichtlich große Ähnlichkeiten aufweisen – so sehr, dass Verwechslungsgefahr besteht. Jesus also ein Mensch unter Menschen – ihnen gleich.
Ob Jesus selbst getauft wurde, wird uns nicht erzählt. Johannes tauft, „damit ER Israel offenbart wird“. Jesus spendet beim Evangelisten Johannes keine Wassertaufe, sondern eine Taufe, indem er den Heiligen Geist, der auf ihm ruht zu teilen beginnt.
Hier wird nochmals die Bedeutung des Lammes Gottes deutlich, wie wir es auch bei der Eucharistie feiern. Das „Agnus Dei“ wird während der Eucharistie beim Brechen des Brotes gebetet. Der Ausdruck „Lamm Gottes“ hat damit eine wichtige Bedeutung in Verbindung mit dem Brot brechen – dem Teilen unter uns ChristInnen bzw. mit allen Menschen. Unser Bitten um Sündenvergebung und dem daraus resultierendem Frieden ist damit kein einmaljährliches Geschenk, sondern Gottesgegenwart in unserem Alltag. Diese alle Menschen umfassende Versöhnung Gottes mit den Menschen wird Jesus bei seinen Heilungen und Dämonenaustreibungen nicht nur in Israel, sondern auch im Land der Heiden und an Heiden spenden. Diese Form der Sündenvergebung ist nicht mehr auf eine einmaljährliche Handlung des Priesters zu Jom Kippur beschränkt, sondern zielt darauf ab, auch nach dem Tod Jesu allzeit gegenwärtig zu bleiben. Dies alles schwingt bereits bei der heutigen Vorstellung Jesu durch Johannes mit.
Der heutige Text, der die Einleitung zur Wirkungsgeschichte Jesu darstellt, entlässt uns nach den Festtagen in unser eigenes Leben. Wir dürfen eingetaucht in die Freude der Festtage der Geburt des Herrn gestärkt und hoffnungsfroh unseren Alltag fortsetzen. Allerdings nicht dort, wo wir aufgehört haben, sondern aufmerksamer, offener, geweitet – wissend, dass die Gegenwart Gottes in unserem Leben mit Überraschungen verbunden ist, dass ER vielleicht nicht immer auf’s Erste zu erkennen ist und uns sich vielleicht im Antlitz von Menschen zeigt, bei denen wir es anfänglich nicht vermuten würden. So betrachtet hängt der Text des heutigen Evangeliums nicht mehr in der Luft. Er lässt immer noch vieles offen, wie auch das neue Jahr und die Frage, was es mit sich bringen wird. Wie setzt der Evangelist fort? Es folgen die Berufungen der ersten JüngerInnen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Gemeine in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
3 Kommentare zu “Mitten unter euch 1. Lesung: Jes 49,3.5-6| 2. Lesung: 1 Kor 1,1-3| Evangelium: Joh 1,29-34”
Da muss ich etwas falsch verstanden haben: Am vergangenen Sonntag hieß es bei Matthäus 3,16: Als Jesus getauft war, …
Heute lese ich im Kommentar:
Ob Jesus selbst getauft wurde, wird uns nicht erzählt.
Das ist für mich widersprüchlich. Danke im Voraus für eine Erklärung dazu.
Gertrud Geser
Liebe Frau Geser, ja sie haben recht es klingt widersprüchlich. Alle drei synoptischen Evangelien berichten uns von der Taufe Jesu durch Johannes am Jordan. Am Fest der Taufe des Herrn wurde der Text aus dem Matthäusevangelium vorgelesen. Der Schreiber des Johannesevangeliums hat seine eigene Schwerpunktsetzungen vorgenommen. Vieles, wovon uns die anderen Evangelien berichten, wird bei Johannes nicht erzählt. Dafür berichtet er uns von anderen Begebenheiten wie etwa der Begegnung am Jakobsbrunnen. Die Textstelle des Johannesevangeliums berichtet tatsächlich nichts von einer Taufe von Jesus durch Johannes. Dies bedeutet aber nicht, dass sie nicht stattgefunden hätte.
Ebenso berichten die anderen drei Evangelien vom letzten Abendmahl, vom gemeinsamen Essen von Brot und vom Trinken des Weines. Der Evangelist Johannes erzählt auch davon nichts bzw. lediglich davon, dass Jesus dem Judas einen Bissen Brot reicht. Er erzählt dafür ausführlich von der Fußwaschung am Abend vor dem Paschafest. Für mich sind die unterschiedlichen Erzählungen und Erzählweisen keine Widersprüche, sondern sie zeigen uns, dass unterschiedliche Individuen Ereignisse nicht auf die gleiche Weise wahrnehmen. Jeder Evangelist hatte eine andere Gemeinde vor Augen, hatte andere Lebenserfahrungen gemacht und wurde religiös auf seine je eigene Weise sozialisiert. Auch unsere Leseweisen der biblischen Texte fallen in eine bestimmte Lebenszeit, in eine unterschiedliche Verfasstheit von Gesellschaft und so werden wir auch je unterschiedlich und sehr individuell von den Texten angesprochen.
Danke, ja es ist für uns Laien schwierig. Gerade darum bin ich dankbar für das Bibellabor – macht weiter so!
Schöne Grüße
Gertrud