Maria von Magdala erzählt Katja Wißmiller
Meine Geschichte ist Geschichte, aber sie ist noch nicht zu Ende erzählt. In jedem Jahrhundert spiegelt die Erzählung meiner biblischen Figur etwas vom jeweils vorherrschenden Frauenbild.
Nachdem mich Papst Gregor der Große im 7. Jahrhundert zur sündigen Prostituierten erklärte, ließ ich mich „uhuereguet“ verkaufen. Hatte ich „Huereglück“, dass man mich so nicht vergessen konnte? Das Präfix „huere“ verstärkt in der Schweiz das unmittelbar folgende Wort. Doch als reuige Sünderin diente ich kontrastiert und karikiert eher zur Verstärkung der Männerfiguren. In Luzern rissen sich einst Männer darum, meine Rolle als Maria aus Magdala auf dem Markttheater einnehmen zu dürfen. Für Frauen war die Bühne nicht frei.
Seit zwei Jahrtausenden geistere ich nun als jüdische Frau durch die christliche Welt. Sexuell erotisch reduziert, bediente und bediene ich die patriarchale Phantasie von Herrschaft und Begnadigung im Kontext des Christentums. Das ist kein Phänomen der Vergangenheit. Selbst in der modernen Kirche in Migdal, im „Magdala Center“, die neben den Ausgrabungen der über 2000-jährigen Synagoge erbaut wurde, werden diese Strukturen unterschwellig weitergetragen. In der Eingangshalle zur Kirche sind große jüdische Frauennamen mit goldenen Lettern, die an Grabstein-Inschriften erinnern, auf den Marmorsäulen verewigt. Der Kirchenraum wird von 12 Männern an den Seiten dominiert und von einem Schiffsmodell, auf dem der 13. christlich geweihte Mann die Messe halten kann.
Ich – Apostelin Maria
Wie sähe die Kirche wohl aus, wenn ich als Apostelin dabei wäre? Wären es dann immer noch die symbolischen Zwölf und wer würde mir seinen Platz abgeben? Dass Papst Franziskus mir 2016 diese für die Kirche vielleicht wichtigste Rolle zurückgab, ist ein Schritt in die Richtung, die ich mir für die österliche Bewegung wünsche. Bisher blieb es ohne Folgen in der apostolischen Kirchengeschichte.
Gerade die Jesus-Messias-Bewegung ist für mich eine Gemeinschaft, die sich aus den hierarchischen Rollen befreit und die individuellen Charismen für das Gemeinwohl freisetzt, die den Frauen nicht das biologische „Charisma“ des Mütterlichen aufsetzt, sie nicht dämonisiert, sondern den Wert von Witwen, Ausländerinnen, Geschäftsfrauen und Geschiedenen hochhält.
Jesus und ich blieben jung. Doch das letzte Jahrhundert brach seine Rolle auf: Jesus durfte sich in jedem Menschen widerspiegeln, in der Kunst und der womanistischen Theologie – feministischer Frauen in den USA – sogar eine schwarze Frau sein. Im neuen Film „Mary Magdalene“ nach dem Drehbuch von Helen Edmundson und Philippa Goslett darf unter der Regie von Garth Davis die Jesusfigur ein etwa 50-Jähriger sein. Das gefällt mir. Eine Seele, die den Tod vor Augen hat, kann auf das Gebaren eines Jesus-Christ-Superstars verzichten. Doch ein alter Jesus ist eine bewusste Entscheidung gegen sein historisches Alter. Ich warte noch auf eine Tradition, die mich als ältere und weise Frau erzählt.
Ich – der Lieblingsjünger
Falsch und nochmals falsch, würden sich hier viele eifrige Follower wehren. Zum einen wird Johannes als Lieblingsjünger genannt und wenn schon so, dann bitte „die“ und „Lieblingsjüngerin“ – und *schwupps* sind wir sprachlich im Entweder-Oder gefangen. Dabei ist es so wohltuend, wenn unsere biblischen Rollen aufbrechen ins Offene.
Als Patronin der Bibelpastoral, zu der mich das Bibelwerk vor acht Jahren ernannte, bekam ich ein Facebook-Profil von Männern, die sich mit mir für die biblische Beseelung in unserer Gemeinschaft einsetzen. Die Aufgabe ist zentral, von dieser Jesus-Messias-Bewegung Zeugnis abzulegen. Dabei besetze ich als Patronin, Apostelin und Zeugin der Auferstehung keinen Platz, ich bereite ihn für jede Generation neu.
Auf twitter und facebook folgen etwa 900 Accounts Maria von Magdala.
Katja Wißmiller, Fachmitarbeiterin der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks, Zürich
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 3/18 publiziert worden.