Ruhe und Stille 1. Lesung: 1 Kön 19,9ab.11b-13| 2. Lesung: Röm 9,1-5| Evangelium: Mt 14,22-33
Während der Corona-Pandemie haben wir oft gelesen, dass Menschen zu vereinsamen drohen, speziell ins Auge gefasst wurden zwei Gruppen: Kinder bzw. Jugendliche und Singles. In der Onlineversion einer Tageszeitung gab es einen Chat, in dem Single‘s aufgerufen wurden, über ihr Einsamkeitsgefühl zu berichten. Unisono wurde zurückgemeldet, dass man nicht zu bemitleiden wäre und man konnte den Eindruck gewinnen, dass gerade jene Gruppe mit der vermeintlichen Abgeschiedenheit im HomeOffice besser zurande kam als gedacht, andere belustigte die plötzliche Fürsorge. Kindern und Jugendlichen wurden während der Zeit des intensiveren Zusammenlebens mit ihren Familien mangelnde Sozialkontakte attestiert und das Fehlen Gleichaltriger.
Stille Sonntage, schlaflose Nächte und traurige Urlaubstage – Einsamkeit, innere Leere und ein Gefühl von Unverstanden sein kennen wir alle. Die Einsamkeit wird manchmal schmerzhaft empfunden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass sie Anzeichen einer depressiven Erkrankung sein kann. Einsam sein ist nicht dasselbe wie allein sein. Einsam können Menschen sein, auch wenn sie scheinbar gut vernetzt sind, beliebt und in Gesellschaft. Viele Menschen suchen ständig die Gesellschaft anderer, bei Partys und Seitenblicke-Events. Menschen switchen am Handy oder surfen im Netz, nur um sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen. So haben sie nie gelernt, Alleinsein zu üben und dessen Wert zu erkennen. Dabei könnte man meinen, dass in unserem Zeitalter Einsamkeit aussterben müsste, da man über WhatsApp, Facebook, Snapchat ua. ständig mit der ganzen Welt in Kontakt treten kann. Hinter dem Gefühl der Einsamkeit steckt aber oft eine hohe Erwartung an sich selbst und eine große Unzufriedenheit. Einsame Menschen fühlen sich auch im größten Trubel allein.
Viele Menschen fürchten sich vor dem Alleinsein, während andere bewusst danach streben. So führt das Alleinsein nicht zwangsläufig zu Einsamkeit und verheiratet und beliebt sein nicht immer zu glücklicher Zweisamkeit. Es scheint kein wirkliches Rezept zu geben.
Allein sein ist heute kein Zustand, der von der Gesellschaft als positiv wahrgenommen wird. Wer allein ist, gilt als Langweiler, Eigenbrötler oder es wird als Umstand des Alterns wahrgenommen. Dennoch nimmt die Zahl der Single-Haushalte konsequent zu. Die unbeantworteten Fragen bleiben: Ob sich Menschen früher in Großfamilien wohler gefühlt haben, ob das Einsamsein wirklich ein Phänomen unserer Zeit ist oder aber ob uns nicht die Ablenkungen des Alltags so überfordern, dass wir den Umstand des Alleinseins gar nicht mehr pflegen und üben können. Es scheint, als sei das solide Wechselspiel von Gemeinschaft und Alleinsein aus dem Ruder gelaufen. Haben heute Kinder bei all ihrem Freizeitstress noch die Chance, allein zu spielen oder sich mit sich selbst beschäftigen zu müssen? Vielleicht kennen wir deshalb das Gefühl von Einsamkeit eher als jenes des Alleinseins. Kommt uns mit der mangelnden Möglichkeit, das Alleinsein zu üben, nicht ein Kulturgut abhanden?
Auf einschlägigen Beratungsseiten finden sich Tipps gegen die Einsamkeit:
- Sich selbst gut behandeln – man soll sich selbst etwas gönnen und sich selbst etwas wert sein.
- Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen. Es werden Gespräche im kleinen Umkreis empfohlen und Gespräche über Dinge des Alltags.
- Dem Leben einen Sinn geben. Dabei werden ehrenamtliche Tätigkeiten mit Menschen, die Interessen teilen, nahegelegt.
In der Heiligen Schrift wird uns an zahlreichen Stellen darüber berichtet, dass sich Menschen in die Einsamkeit zurückziehen und die Abgeschiedenheit suchen oder aber wie z.B. der kleine David – auf Grund seiner Aufgabe als Hirte – allein mit der Herde unterwegs waren. Auch von Jesus wird immer wieder erzählt, dass er Zeiten des Alleinseins brauchte. Die oben genannten Vorschläge gegen die Einsamkeit erinnern mich an die Grundbotschaften der Evangelien.
- Liebe den Nächsten wie dich selbst. Die Voraussetzung, um auf andere Menschen zu gehen zu können ist eine gesunde Selbstliebe und -achtsamkeit. Dazu bedarf es, dass wir uns selbst kennenlernen und in gutem Kontakt zu uns selbst sind. Dies setzt Phasen des Alleinseins voraus, manchmal vielleicht sogar auch Einsamkeit. Im ständigen Trubel der Welt werden wir den Anschluss an uns selbst verlieren und letztlich auch an Gott.
- Kontakt zu Menschen im Alltag aufnehmen – eine wesentliche Eigenschaft, die Jesus gepflegt hat. Einerseits sprach er Menschen in ihrem Alltag direkt an, andererseits ließ er sich von Menschen mit ihren Anliegen ansprechen.
- Sich mit Menschen umgeben, die ein Anliegen teilen und aktiv werden. Jesus sprach Weggefährten an, und zwar auch Menschen, die zu ihm grundverschieden waren, man denke nur an Judas den Zeloten oder den temperamentvollen Petrus. Mit ihnen gemeinsam war er unterwegs und widmete sich den Wunden der Zeit.
Während der Lockdowns wurde als Ersatz zum sonntäglichen Gemeindegottesdienst der Fernseh- oder Radiogottesdienst propagiert. Nun ist gegen diese sehr gut gestalteten Angebote gar nichts einzuwenden, dennoch hat man vielleicht etwas übersehen. Gemeinschaft und Alleinsein sind zwei Seiten ein und derselben Glaubensmedaille. Elija erkennt, dass Gott nicht im Lauten und Dröhnenden zu finden ist, sondern im sanften Säuseln. Um Gott finden zu können, zog er sich zuerst in eine Höhle zurück, Jesus stieg auf einen Berg, um allein zu beten. Um Gott im Getümmel des Alltags nicht zu verlieren, bedarf es des guten Hinhörens und Hinschauens in Ruhe und Stille. Immer mehr Menschen fühlen sich von den sonntäglichen Gemeindegottesdiensten nicht mehr angesprochen. Vielleicht liegt darin auch eine Chance, der anderen Seite der Medaille nachzuspüren: dem bewussten Rückzug aus dem Lauten, dem Hinhören auf die eigene innere Stimme, dem Hinsehen auf die Bedürfnisse der Mitmenschen, dem Dialog mich sich selbst und mit Gott. Für den einen bedeutet es sich in eine Höhle zurückzuziehen, für einen anderen einen Gipfel zu erklimmen. Es wird vermutlich nicht gleich gelingen, Alleinsein will geübt werden. Vielleicht sprudelt aber auch aus dieser Quelle jenes Lebenswasser, aus der wir in turbulenten Zeiten unsere Kraft schöpfen können.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem ersten Buch der Könige anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Ruhe und Stille 1. Lesung: 1 Kön 19,9ab.11b-13| 2. Lesung: Röm 9,1-5| Evangelium: Mt 14,22-33”
Hallo,
zu Beginn der Lockdownzeit kam mir die Idee, mein Leben, beginnend im Kindergarten, soweit ich mich zurückzuerinnern vermochte, niederzuschreiben. Ich wusste, es klingelt keiner an der Haustür, da war niemand, der mein Vorhaben “zu stören” vermochte. Als ich über 32 D4 Seiten voll hatte, wurde mir dabei so richtig bewusst, dass all die Jahre ein Geschenk waren. Das “Alleinsein” habe ich oft so richtig als Schatz empfunden. Einsam war ich eigentlich selten, höchstens dann, wenn ich mich selbst bemitleidete und glaubte “der Ärmste” zu sein. Ich denke, dass dieser Gott im Säuseln, gerade während ich ungestört mein Leben zu Papier bringen durfte einfach nur DA war und mich durch all die Lebensjahre trug.
Hans