Zwei Welten 1. Lesung: Jes 9,1-6| 2. Lesung: Titus 2,11-14| Evangelium: Lk 2,1-14
Zwei Welten, die gegensätzlicher nicht sein könnten, treffen im Evangelium aufeinander. Da ist die Rede vom römischen Imperium, mit einem ausgeklügelten Informationsnetz, mit repräsentativen Herrschergebäuden, mit vielen beeindruckenden Tempelanlagen, mit einem als Gott angebeteten Kaiser Augustus. Wann und wo er auftritt, haben ihm die Menschen die Ehrentitel zugerufen: „Retter“ und „Herr“.
Dann ist die Rede von Betlehem, ein unscheinbarer Fleck auf der Landkarte einer Provinz. Es ist Ausgangspunkt einer ganz anderen Macht: der Macht des Reiches Gottes, das seinen Beginn in einem kleinen Kind in einer Futterkrippe für Tiere nimmt. Das Kind wirkt peinlich verloren. Stallgeruch haftet ihm an. Kann dieses Kind Grund einer wirklichen Hoffnung sein? In der Welt der Mächtigen löste dieser Ort und diese Familie höchstens ein Achselzucken aus.
Die Welt und die Machtverhältnisse mit den Augen Gottes zu sehen, erfordert selbst von Christen immer wieder Lernbereitschaft. Zumindest haben Hochglanzbroschüren mit den Geschichten von Königshäusern, Adeligen und Honoratioren weit größere Konjunktur als Zeitschriften mit Berichten über Menschen in den Elendsvierteln, Gefängnissen oder Lagern, welcher Art auch immer. Die Bibel, die Weihnachtsgeschichte schaut mit einem besonderen Blick auf die Menschen. Sie nimmt in besonderer Weise jene in den Blick, die wenig Beachtung erfahren und als Außenseiter gelten.
Augustus gab den Befehl, dass sich die Bewohner in Steuerlisten einzutragen haben. Die Volkszählung ist hier ein Herrschaftsinstrument, das zur Besteuerung dient und was vielleicht noch schwerer wiegt, die Menschen werden dadurch zu inventarisierten Objekten. Interessant an den Menschen ist, was sie bringen, was aus ihnen heraus zu holen ist. Die Zählung interessiert sich nicht für die Menschen in ihrer Lebenssituation, für die Fragen, Ängste und Sorgen, auch nicht für die Freuden und Hoffnungen.
Gott hat Interesse an der Welt und ihren Menschen. Das ist die Botschaft und Geheimnis der Weihnacht. Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die ernsthaft fragen: Interessiert sich denn jemand für mich?
+ Wer schon länger einen Arbeitsplatz sucht oder seinen Arbeitsplatz verloren hat, kann ein Lied von Desinteresse am Schicksal singen.
+ Junge Menschen, die ins Leben aufbrechen möchten, aber keine Chance bekommen, sind oft versucht mit außergewöhnlichen Aktionen Interesse zu wecken: „Sonst interessiert sich doch niemand für mich.“
+ Es gibt Länder, Regionen der Welt, die für uns als Billiglohnländer günstige Produkte ermöglichen. Das Interesse an den Menschen, an den Familien, in besonderer Weise an den Frauen und Kindern kommt kaum ins Blickfeld.
+ Wer interessiert sich für mich? Mich braucht niemand. Ich störe. Wer freut sich über mein Dasein? Diese Fragen hegen oft ältere Menschen.
+ Kinder: Sind sie interessant? Sind sie willkommen oder sind sie Störenfriede?
+ Es gibt Menschen, die fühlen sich verloren, weil niemand an ihnen Interesse zeigt. Manchmal mag die Frage berechtigt sein: Haben sie selbst ein Interesse an ihren Mitmenschen gepflegt und gelebt?
Gott wird Mensch. Der Mensch und diese Welt werden ganz und gar zu seinem Interesse, zu seiner Wohnung. Er wird selbst Mensch. Er teilt das Leben, liefert sich der Unbill und den Brüchen des Lebens aus. Ja, er solidarisiert sich mit jenen, an denen das Interesse gering oder geschwunden ist. Die Krippe als Bild dafür.
Die Botschaft der Weihnacht strahlt in das Leben eines jeden Menschen: Gott hat Interesse an dir, selbst wenn du ihm nichts mehr zu geben, nichts mehr zu bieten hast. Vielleicht können wir im täglichen Umgang mit Menschen, etwas von dieser Botschaft weitergeben? Mit meinem Interesse an Menschen, mit meiner Aufmerksamkeit beginnt das weihnachtliche Wunder zu leuchten – heute und an jedem Tag des Jahres.
Weihnachten – ein Fest, das wie kein anderes kündet, Gott hat Interesse am Menschen und für den Menschen. Er kommt nicht schreiend und polternd als starker Mann, er kommt als Kind, sich lieben lassend und liebend. Und: Er scheut nicht die Kleinarbeit der menschlichen Begegnungen.
Ein letzter Gedanke im Blick darauf, dass im Evangelium zwei Welten aufeinanderstoßen: Der Evangelist Markus, der uns durch dieses Kirchenjahr begleitet, hat keine Kindheitsgeschichte. Er hat vermutlich als Vorlage für sein Evangelium die Aufstiegserzählung des Kaisers Vespasian. Er hat die steile Karriere vom Feldherrn zum römischen Kaiser geschafft. Die Jesuserzählung bietet ein Gegenmodell. Sie ist eine Abstiegsgeschichte. Jesus endet am Kreuz – verlassen und verspottet. Wir feiern heute Weihnachten, weil wir die Rettung der Welt mit dieser Abstiegsgeschichte verbinden. Es ist ein Zugang, den selbst die Jünger erst allmählich begreifen lernten.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an Titus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Zwei Welten 1. Lesung: Jes 9,1-6| 2. Lesung: Titus 2,11-14| Evangelium: Lk 2,1-14”
Jeden Sonntag lese ich die guten Gedanken. Sie sind Nahrung für meine Seele. Ich teile sie mit Freunden.
Ich bedanke mich sehr herzlich bei euch!
Seid behütet und gesegnet!
Franz Lummer