Tragende Säulen 1. Lesung: Jes 40,1-5.9-11| 2. Lesung: 2 Petr 3,8-14| Evangelium: Mk 1,1-8
Beim Lesen der ersten Lesung hat man fast das Bedürfnis, in das Wehklagen einzustimmen: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott“. Eine Region liegt in Trümmern und großes Leid liegt wie ein dunkler Schatten über ihr. Es ist jene Region, die Christen als Heiliges Land bezeichnen. Unheilige Zustände herrschen dort. Auf der ganzen Welt wächst die Sehnsucht nach Frieden. Jerusalem ist die einzige Stadt der Welt, die von drei Religionen als Heilige Stadt bezeichnet wird. Es sind jene drei Weltreligionen, die sich als abrahamitisch bezeichnen und Abraham ihren Stammvater nennen.
Um die Menschen im Nahen Osten hat sich Wüste breit gemacht. Die Terrororganisation Hamas hat in Dörfern Israels ein Gemetzel angerichtet und verpflichtet laut Aussagen eines Hamasführers das Palästinensische Volk zum Märtyrertum. Wie löst man eine derart verworrenen Konflikt? Hier Frieden zu schaffen, scheint übermenschliche Fähigkeiten zu fordern. Wir haben Sehnsucht nach einer machtvollen und mächtigen Stimme, die uns alle zur Besinnung ruft und die Kriegsparteien zur Räson bringt. Gleichzeitig hören wir aber verzweifelt, leise und sanft von immer mehr Seiten: Bahnt den Weg, ebnet in der Steppe eine Straße für den Frieden! Alle menschlichen Abgründe sollen sich hinwegheben, alle Hindernisse sich senken. Was krumm gelaufen ist, soll begradigt werden, und was unüberwindbar scheint, werde eben.
Ohne Phasen der Besinnung geht es nicht. Auch am Anfang der Frohen Botschaft Jesu steht die Stimme eines Rufers. Johannes der Täufer stand mitten in der Wüste, als er „eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“ anbot.
Ohne Schuldbekenntnis und ohne Umkehr auf allen Seiten – auch in den Staaten der westlichen Welt – wird es keinen Frieden geben können. „Die Stimme des Rufers in der Wüste“ klingt wie ein Witz. Wer schon einmal in der Wüste war, weiß wie unrealistisch es ist, dass in dieser Weite und Leere eine Stimme vernommen werden kann. Sie verhallt. Es scheint geradezu sinnlos zu sein, sich in der Wüste durch einen Ruf Gehör verschaffen zu wollen. Der Wind wird ihn hinwegtragen. Aber gerade hier gelingt Johannes das Unmögliche. Er findet Anhänger und Zulauf. Es mag derzeit sinnlos erscheinen, zum Frieden aufzurufen. Aber wenn es immer mehr Stimmen gibt, wird der Ruf eines Einzelnen zu einem unaufhörlichen Chor, der auch für Mächtige unüberhörbar wird. Nun kann man natürlich argumentieren, dass wir, die wir in Bezug auf den Nahostkonflikt „in the middle of nowhere“ (im Niemandsland) leben, den Frieden nicht herbeiführen können. Wir wissen, dass nach unseren Rufen andere kommen müssen, die die Macht haben, verfeindete Parteien an einen Tisch zu bringen. Es wird sie geben. Auf jeden Krieg folgte irgendwann Waffenruhe – je lauter die Stimmen nach Frieden erschallen, je eindrücklicher ihre Zahl wird, desto größer wird der Druck auf die Verantwortlichen aller Konfliktparteien, dass aus bloßer Waffenruhe tatsächlich Frieden wird.
Das Heilige Land wird nach diesem durch Terror verursachten Krieg nicht mehr das gleiche sein. Es steht wieder die Zweistaatenlösung im Raum und der Sonderstatus für Jerusalem, jener Stadt, die den drei Religionen heilig ist – jenen drei Religionen, die genau im Zeitraum einer Veränderung, eines Umbruchs, einer Wesens- und Namensveränderung ihren Ursprung haben. Die entsprechende Erzählung darüber wird uns im Buch Genesis geschildert: „Da sagte Gott zu ihm: ‚Siehe, das ist mein Bund mit dir: Du wirst der Stammvater vieler Völker sein. Darum sollst du nicht mehr Abram heißen, sondern dein Name soll Abraham sein. Denn ich habe dich dazu bestimmt, Stammvater vieler Völker zu sein. Ich mache dich über alle Maßen fruchtbar. Ganze Völker werden aus dir hervorgehen und Könige von dir abstammen. Ich schließe meinen Bund mit dir und mit den Generationen nach dir. Dieser Bund besteht für immer. So werde ich dein Gott sein und der Gott deiner Nachkommen. Dir und deinen Nachkommen werde ich das Land geben, in dem du als Fremder lebst. Das ganze Land Kanaan soll für immer ihr Erbbesitz sein, und ich will ihr Gott sein‘“ (Gen 17, 3-8).
In all dem Dickicht unserer Unterschiede, den Auseinandersetzungen, dem Hass, dem Antisemitismus und Rassismus sind wir Völker eines Stammvaters. Vielleicht sollen uns die vielen Erzählungen der Bibel über Familienstreit und -fehden nicht mutlos machen. Es gibt fast keine menschliche Schwäche oder Gewalt, über die die Bibel nicht berichtet. Sie erzählt uns aber auch vom Zusammenfinden und Zusammenkommen. Auch da ist sie sehr realistisch. Es erfolgt nicht die große Verbrüderung, aber ein Friedensschlag, bei Josef und seinen Brüdern, bei Lot und Abraham, bei Esau und Jakob. Es wird nichts darüber berichtet, dass die große Vergeschwisterung stattfindet, aber es gibt Versöhnung und zumindest ein Leben nebeneinander wird wieder möglich.
Für die Stadt Jerusalem – die Botin der Freude – wird ein Nebeneinander nicht ausreichen und vielleicht ist das bezeichnend. Jerusalem – die Heilige Stadt, jener Stadt, auf dem Berg – kommt in der ganzen Bibel immer ein Sonderstatus zu. Um sie und in ihr findet das große Ringen statt. In ihr will Gott seine Herrlichkeit ruhen lassen und auch da werden in der Bibel Zeiten eines leeren und zerstörten Tempels geschildert.
Gott schloss seinen ewigen Bund mit Abraham und allen Generationen nach ihm. Wir mögen uns manchmal fragen, was ER sich dabei gedacht hat, warum diese Aufsplitterung in unterschiedliche Völker bzw. Religionen erfolgt ist, und wir mögen manches Unverständnis für die unterschiedlichen Wege hegen, aber die Worte sind unmissverständlich: „So werde ich dein Gott sein und der Gott deiner Nachkommen“. Wenn wir an den Segen dieses Bundes glauben, gelingt uns vielleicht nicht das große Miteinander und auch nicht die große Völkerversöhnung, aber vielleicht schaffen es die drei Religionen, dass Jerusalem als gemeinsames Dach auf diesen drei tragenden Säulen ruhen kann.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Petrus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.