Weiter sehen als andere 1.Lesung: Apg 6,8-10;7,54-60| Evangelium: Mt 10,17-22
Kann die Kirche nicht feiern? Da ist das Hochfest der Geburt des Herrn und am Tag darauf gedenkt sie des ersten Märtyrers, dem Heiligen Stephanus. Geschichtlich ist zu sagen, dass das Fest des Heiligen Stephanus älter ist. Die Feier der Geburt kam später hinzu, die Feier, dass in die tiefste Nacht Gott geboren wird. Nicht zuletzt wirft diese Feier des Heiligen Stephanus ein besonderes Licht auf Weihnachten, auf das Menschsein und Menschwerden des Menschen.
Wir dürfen uns dabei von Stephanus inspirieren lassen:
Stephanus leuchtet. Die Apostelgeschichte berichtet, dass mitten im Verhör das Gesicht des Stephanus wie das Gesicht eines Engels zu leuchten beginnt (Vgl. Apg 6,15). Es ist die Botschaft der Weihnacht, dass Christus als Licht leuchtet. Er bringt Licht in die Nacht. Er ist Licht für alle Völker. Er leuchtet in Stephanus auf. Liebende leuchten. Fanatiker und Fundamentalisten tun es nicht.
Es ist oft leichter Räume und Häuser weihnachtlich, lichterfüllt zu beleuchten, als vielleicht selbst leuchten zu können. Jede und jeder trägt Sorge um sich, um die Lieben oder andere. Jede und jeder ist mit Unsicherheiten oder gar Verletzendem konfrontiert, von Erfahrungen der Nacht. „Der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht“, schreibt die Lyrikerin Hilde Domin. Verschont zu bleiben – vielleicht ein weihnachtlicher Wunsch? Stephanus leuchtet im Verhör. Er lässt sich nicht einschüchtern von Geschrei, Drohungen und Ängsten.
Stephanus spricht frei. Er lässt sich nicht zum Schweigen bringen oder das Wort verbieten. Wir hören heute noch, was Stephanus zu sagen hat. Das Licht, das in ihm leuchtet, ist das Licht des Lebens. Licht ins Leben und in die Welt bringen: Die dunklen Machenschaften ans Licht bringen. Unrecht, Ausgrenzung, Menschenverachtendes ansprechen. „Der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.“ Die freimütige Rede können wir nicht einfach anderen überlassen. Der Geist Gottes will in uns reden, im Kleinen wie im Großen. Ein Beispiel dafür ist der in russischer Gefangenschaft verstorbene Alexej Nawalny. Er, der nach dem Überleben eines Giftanschlages wieder nach Russland zurückgekehrt ist, hat es sich nicht nehmen lassen zu reden. Der Glaube an die Kraft der Gerechtigkeit und Liebe hat er mit seinem Leben bezahlt. Er macht Mut, sich nicht von der Angst klein halten zu lassen.
Stephanus sah weit. Er sah weiter als seine Verfolger. Er sah mitten in seiner Gefährdung den Himmel offenstehen, seine Gegner nur bis zum Tod. Er sieht, dass der Tempel von allen betreten werden darf, auch von den Heiden. Er glaubt, dass Gottes Erbarmen auch ihm, dem Hellenisten gilt und er der Auferstehung trauen kann – Jesus folgend. In diesem Sinn sieht er weiter als die bestehenden Traditionen und religiösen Führer seiner Zeit.
Vielleicht steht sich die Kirche manchmal selbst im Weg, wie das Beispiel von Ludmila Jovorová aufzeigt. Sie ist in der damaligen Tschechoslowakei eine Christin in der Untergrundkirche gewesen. Wäre sie vom kommunistischen System entdeckt worden, wäre sie für viele Jahre ins Gefängnis gekommen. Es ist bei ihr auch jener Mut zu sehen, der weiter als das persönlich Wohlergehen sieht. Sie wurde in der Nacht vom 28. auf den 29. Dez. 1970 in der Untergrundkirche zur Priesterin geweiht, damit sie Menschen die Sakramente spenden kann.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wurden alle im Untergrund gespendeten Priesterweihen überprüft und dabei die Weihe von Frauen als kirchenrechtlich nicht gültig deklariert. Es spielte in der Beurteilung keine Rolle, dass die Menschen unter Einsatz ihres Lebens gewirkt haben. Vielleicht ist sie keine gültig geweihte Priesterin, aber sicher ist in ihr Christus aufgeleuchtet. Mit ihm und in ihm hat sie den geöffneten Himmel gesehen, auch im verschlossenen kommunistischen System. Und: Vielleicht auch in dem manchmal verschlossenen System Kirche?
Wir feiern an Weihnachten, dass Gott Mensch wird. In Stephanus leuchtet dieses Licht der Menschlichkeit, des Menschwerdens auf. Er nimmt nicht die Rolle eines Herrschers oder Despoten ein, auch nicht die Rolle eines unterwürfig, gefügigen Menschen, der keinen Selbststand hätte. Menschen wie Stephanus, in denen Recht und Liebe aufleuchtet, die freimütig sprechen und die weit sehen, sind Garanten der Menschlichkeit, werden es auch in Zukunft sein.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichteh anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.