Für alle ist der Retter da 1.Lesung: Jes 62,1-5| 2.Lesung: Apg 13,16-17.22.25| Evangelium: Mt 1,1-25
„Stille Nacht! Heilige Nacht! … Jesus, der Retter ist da.“ Vermutlich haben sie heute dieses Lied bereits gehört und gesungen. Wir werden es am Ende des Gottesdienstes singen. Es ist ein Lied mit Emotionen. Die Urheber des Liedes versuchten damals theologische und spirituelle Antworten auf gesellschaftliche und politische Herausforderungen zu geben, die meines Erachtens nach wie vor beachtenswert sind. Die Gedanken knüpfen an einen Vortrag von dem inzwischen emeritierten Univ. Prof. Roman Siebenrock aus Innsbruck an.
Das Lied feierte 2018 sein 200-jähriges Bestehen. Im Jahre 1818 wurde es in Oberdorf bei Salzburg zum ersten Mal gesungen, nicht im Gottesdienst, sondern vermutlich beim anschließenden Gang zur Krippe. Es wurde vom Priester Joseph Mohr (1792-1848) verfasst. Er war ein lediges Kind, ein sogenanntes „Kind der Sünde“. Seine Mutter lebte im Armenviertel Salzburgs und hatte für vier ledige Kinder zu sorgen. Der Taufpate war Scharfrichter. Er fehlte bei der Taufe.
Joseph Mohr erfuhr dann doch später auch Unterstützung. Der Salzburger Domvikar Johann Nepomuk Hiernle förderte sein musikalisches Talent. So konnte er die Gymnasien in Salzburg und Kremsmünster besuchen und ab 1811 in Salzburg Theologie studieren. Damit Joseph Mohr als lediges Kind im Jahre 1815 zum Priester werden konnte, bedurfte es einer bischöflichen Sondergenehmigung.
Als Priester vergaß Joseph Mohr nie seine Herkunft. Er setzte sich für die Armen, Kranken und Notleidenden ein. Er tat alles, um Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. An einem seiner Einsatzorte (Wagrein) baute er eine Schule. 1848 starb er an einer Lungenlähmung, ausgelöst durch den Besuch kranker Menschen.
Nicht weniger bedeutsam für das Verständnis des Liedes ist der geschichtliche Hintergrund: Es war die Zeit unmittelbar nach der französischen Revolution mit dem gewichtigen Slogan: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. In der Folge kam es in Europa zu einem langjährigen Krieg, der 1815 in der Schlacht von Waterloo zu Ende ging und die politische Landkarte nachhaltig veränderte. 1818 wurde Salzburg von Bayern abgespalten und ein Teil Österreichs.
Auch ein neues Rechtsverständnis erfasste die Gesellschaften, das sogenannte „Bürgerliche Gesetzbuch“. 1812 erlangte es in Österreich Gültigkeit.
Die Französische Revolution bewirkte für die Kirche eine turbulente Zeit. 1803 wurde die Säkularisation im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ in Salzburg vollzogen. Die politische Herrschaft der Erzbischöfe war zu Ende. Das kirchliche Leben wanderte von den Kapellen und Kirchen der Paläste und Höfe in die Pfarren, eine Kirchenreform die Kaiser Josef II. in besonderer Weise förderte.
Die Kirche büßte an Macht ein, d.h. das Evangelium konnte nicht mehr mit gesellschaftlichem Zwang verbreitet werden. Die apostolische Majestät war dahin. Allerdings bleibt der HERR Israels – so das Lied – die bestimmende Wirklichkeit der Geschichte.
Zum Hintergrund des Liedes zählen ferner außergewöhnliche Naturereignisse dieser Zeit: 1815 brach in Indonesien der Vulkan Tambora aus, der in Amerika und in Teilen Süd- und Westeuropas zu einem „Sommer ohne Sonne“ führte. Missernten waren die Folge. 1816 war ein ausgesprochen kaltes Jahr, in dem allein in Deutschland achtzehnhundert Menschen erfroren. In mehreren Gebieten kam es zu Hungerkatastrophen. Im Jahr 1818 erlebte Salzburg Hochwasser und einen Großbrand in der Stadt.
Mit diesen Hintergründen nun Gedanken zum Text des Liedes, wobei ich nur auf einige Wenige eingehen kann:
„Stille Nacht! Heilige Nacht!“ – Mit dem Wort Nacht umfasst Joseph Mohr nicht allein die Nacht in Betlehem, sondern ebenso diese Erfahrungen von Not, Elend, Angst, Ungewissheit und Hunger. Wir können fragen: Was lässt Menschen still, stumm werden? Was hat mich einmal still werden lassen?
„Stille Nacht“ Heilige Nacht!“ – Es ist ein Glaubensstatement des Joseph Mohr: Diese Erfahrung von Nacht, die viele Menschen still (stumm) werden ließ, ist zugleich auch Heilige Nacht. In ihr ist Gott zugegen; kommt ER uns entgegen. Das Kind von Betlehem bringt Kunde davon. In den Nächten, die uns nicht schlafen lassen, ist ER zugegen; sucht ER uns. Heilige Nacht.
Ein Kennzeichen der damaligen Verkündigung war das Drohen mit Gott. Man deutete die Turbulenzen und Katastrophen der Zeit als Strafe Gottes. Joseph Mohr stellt Gott in ein anderes Licht. Wir kennen den Text der 2. Strophe: „Gottes Sohn! O wie lacht Lieb‘ aus deinem göttlichen Mund, Da uns schlägt die rettende Stund‘.
Er zeichnet Gott nicht als einen, vor dem man Angst haben muss, sondern als Kind, das uns anlächelt und jede Angst unangebracht ist. ER ist ein Gott, der in unsere Gesichter Licht, ein Lächeln und Freude bringen will wie ein Kind, das uns aus dem Kinderwagen anstrahlt.
Das Lied ist stark vom Gedanken geprägt: Der Retter ist da. Er ist heute da, jetzt, wenn du singst und anbetetest. Der Retter ist da – in deiner Nacht, in jeder erlebten Nacht. Lass es dir zusingen. Künde anderen diese Botschaft mit deinem Singen.
Joseph Mohr hat das Lied so verfasst, dass es ein Lied für alle Völker und alle Menschen ist, nicht allein für Christen, Glaubende oder gar Fromme allein. Für alle ist der Retter da.
Würden wir den Text aller sechs Strophen betrachten, würden wir entdecken, dass Joseph Mohr die Gedanken der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – ins Lied aufgenommen und verarbeitet hat. Die Kirche und Welt erlebten große Umwälzungen. Trotzdem finden wir in diesem Lied kein Wettern gegen die Moderne oder ein Klagen über den Glaubensverlust der Menschen, vielmehr zeugt es von einem tiefen Glauben an Gottes Gegenwart und Mitgehen in all den Herausforderungen.
Stille Nacht! Heilige Nacht! … Der Retter ist da.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus der Apostelgeschichte
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Für alle ist der Retter da 1.Lesung: Jes 62,1-5| 2.Lesung: Apg 13,16-17.22.25| Evangelium: Mt 1,1-25”
Lieber Erich!
Danke für die Gedanken zum Lied Stille Nacht! In der Zeitschrift Furche habe gelesen, dass Franz Gruber,er schrieb die Melodie zum Lied ein leidvolles Leben hatte. Von seinen 12 Kindern überlebten nur 4!
Dir gesegnete Festtage und danke für die vielen guten Auslegungen!
Liebe Grüße Maria