Du auf gleicher Augenhöhe 1.Lesung: Gen 2,18-24| 2.Lesung: Hebr 2,9-11| Evangelium: Mk 10,2-16
Die Lesung, die wir gehört haben, dürfte eine 3000-jährige Geschichte haben. Es ist ein brisanter Text: die Erschaffung der Frau aus der Seite des Mannes. Man müsste meinen, dass das Anliegen dieses Textes, der das Verhältnis von Mann-Frau oder Frau-Mann beschreibt, in dieser langen Geschichte in das Bewusstsein der Menschen, Gesellschaft und Kirche eingesickert ist. Leider ist festzustellen, dass das biblische Anliegen keinesfalls in allen Bereichen rezipiert (angenommen) wäre, leider auch nicht in der Kirche.
Diese Szene von der Erschaffung der Frau wurde von vielen Künstlern und Literaten bearbeitet. Sie ist Grundlage vieler Witze und G’stanzln. Von manchen wird sie nach wie vor herangezogen, um die Überlegenheit des Mannes und die Nachrangigkeit der Frau zu belegen. Sie ist für viele Anstoß und immer wieder Anlass für heftige Diskussionen.
Was der Text auf jeden Fall ist: ein uralter, mythischer Niederschlag einer der fundamentalsten menschlichen Erfahrungen überhaupt, nämlich, dass im Menschsein die Sehnsucht nach einem Du angelegt ist. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Der Mensch genügt sich nicht selbst. Er findet seine Ergänzung im Anderssein, in der Verschiedenheit, im Gegenüber: Die Frau im Mann und der Mann in der Frau mit all den Abstufungen dazwischen, die den einzelnen Menschen mitgegeben sind.
Diese unterschiedliche Ausformung des Menschseins ist etwas zutiefst Befriedigendes, zutiefst Hilfreiches, dem Menschen Gemäßes. Denn in der Erzählung wird das Menschenwesen trotz der Fülle der Schöpfung zunächst als einsam geschildert, ihm fehlt ein Gegenüber, ein Du auf gleicher Augenhöhe. Deswegen teilt Gott das Menschenwesen und bringt die Frau, die er aus der Rippe geformt hat, dem Rest des Menschenwesens, das nun auch „Mann“ genannt wird, zu.
Die Erzählung der Bibel hat als wesentliches Anliegen die Ebenbürtigkeit von „Isch“ (Mann) und der „Ischá“ (Frau) zu beschreiben. Die Worte sind praktisch gleich: „Isch“ und „Ischá“. Es gilt den Text in seiner Einbettung zu verstehen. Der Mensch genügt sich nicht selbst. Gott sucht diesen Mangel zu beheben und wendet dabei viel Fantasie auf. Er schafft für den Menschen Tiere, die diesen Mangel beheben sollen. Er formt sie aus dem Erdboden: die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels. Gott trägt dem Menschen auf, sie alle zu benennen. Dann wird allerdings festgestellt. Alle diese Tiere können den Mangel des Menschen nicht beheben. Es ist nicht gleichwertig. Es ist nicht ebenbürtig.
Gott geht nochmals daran den Mangel zu beheben. Er formt nicht mehr aus dem Erdboden ein nächstes Wesen, sondern er entnimmt dem „Adam“ im Tiefschlaf eine Rippe, aus der ersten mit Lebensatem begabten Schöpfung und formt die „Ischá“, einen ebenbürtigen Menschen. Es ist ferner ein Organ, das in der Nähe und auf der Höhe des Herzens liegt, ebenbürtig. Die Partnerin, der Partner ist nicht dem Kopf, dem Hintern oder einer Zehe entnommen, sondern einer herzensnahen Rippe.
Es ist die Ebenbürtigkeit, die die Frau oder die den Mann zur hilfreichen Ergänzung, zum befriedigenden Gegenüber werden lässt. Jede Beziehung, die diese Ebenbürtigkeit missachtet, wird mit Konflikten konfrontiert sein, wird den Mangel an Beziehung nicht beheben können und riskiert Verletzungen des Nächsten oder der Nächsten. Begegnungen von oben herab, aber auch Unterwürfigkeit haben eine verletzende Wirkung.
Im Evangelium kommen Pharisäer zu Jesus mit der Frage: Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau aus der Ehe zu entlassen? Wir kennen seine Antwort: Moses hat euch das Gebot gegeben, weil ihr so hartherzig seid. Hartherzigkeit aus zwei Gründen:
Erstens hatten die Frauen nicht die Möglichkeit ihre Männer aus der Ehe zu entlassen. Das war nur den Männern möglich. Es sei hier angemerkt, dass Jesus damit die Frauen den Männern gleichstellt.
Zweitens hatte die Urkunde den Zweck, dass die Frauen Rechtsgewissheit hatten. Solange sie über keine Scheidungsurkunde verfügten, konnten sie jederzeit von den Männern zurückgeholt werden. Sie hingen damit völlig in der Luft. Neben den verschiedenen Themen, die in diesem Gespräch zwischen Jesus und den Pharisäern angesprochen sind, ist ein wesentliches, dass eben die Frauen den Männern gegenüber ebenbürtig sind.
Am Anfang habe ich erwähnt, dass das biblische Anliegen nicht in alle Bereiche eingesickert ist.
Als Kirche können wir nicht sagen, dass der Umgang mit den Frauen ein ebenbürtiger wäre. Die Tragik ist, dass oft gerade jene, die in „Persona Christi“ handeln, die Ebenbürtigkeit den Frauen nicht zugestehen. Frauen werden von Entscheidungsgremien ferngehalten. Ihnen wird das Amt verweigert. Zu dieser Erkenntnis, dass unsere kirchliche Verfasstheit die Ebenbürtigkeit missachtet, bin ich erst in den letzten Jahren gekommen, nicht zuletzt durch die Beschäftigung mit dem biblischen Wort.
Dass auch die Gesellschaft die Ebenbürtigkeit der Frauen missachtet, zeigt sich z.B. in den Gehältern. Bei gleicher Arbeit verdienen sie oft weniger. Es hat sich in den letzten Jahren einiges getan, dennoch wird die Gewalt an Frauen noch oft tabuisiert, nicht zuletzt beim großen Thema Gewalt an den Frauen im Krieg. Es ist die Pervertierung des Gedankens: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt.
Ja: Es ist Gottes erstes Anliegen: Menschen aus dem Alleinsein herauszuführen. Der Weg dazu sind ebenbürtige Begegnungen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Génesis anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Du auf gleicher Augenhöhe 1.Lesung: Gen 2,18-24| 2.Lesung: Hebr 2,9-11| Evangelium: Mk 10,2-16”
Wenn ich so nachdenke, kommt mir in den Sinn, wie sinnlos es ist, wenn Menschen andere Menschen unterdrücken. Durch schlechte Erfahrungen kann sehr viel Leid bzw. Machtbesessenheit entstehen.
Gott liebt jeden Menschen gleichermaßen, ob Mann oder Frau. Jeder Mensch hat weibliche u. männliche Anteile in sich selber, unterschiedlich ausgeprägt. Er kann Beschützer sein und auch Einfühlungsvermögen haben. Wenn der Mensch diese verschiedenen Anteile bei sich erkennt und akzeptiert, wird er bei Begegnungen mit dem anderen Geschlecht (auch gleichen) mehr Verständnis und Dankbarkeit verspüren. Es ist dann leichter ein Konkurrenzverhalten abzulegen. Die Begegnungen geschehen dann auf Augenhöhe und mit gegenseitiger Wertschätzung. Die Voraussetzung für mehr Frieden auf der Welt.
Gesegnete Grüße