Leuchtende Sterne der Gerechtigkeit 1. Lesung: Dan 12,1-3| 2. Lesung: Hebr 10,11-14| Evangelium: Mk 13,24-32
Am Ende des Kirchenjahres werden in den Lesungen sogenannte apokalyptische Texte vorgestellt. Apokalyptik ist griechisch und meint: „Enthüllung“, „Offenbarung“. Sie beschäftigt sich mit Weltuntergangsvorstellungen, vielleicht besser beschrieben als schreckliche, endzeitliche Katastrophenszenarien. Heute haben wir Science-Fiction-Filme. Der große Unterschied liegt darin, dass die Science-Fiction-Filme das Thema Gott außen vor behandeln.
Manchmal wurde von Verkündern – und vielleicht gibt es sie immer noch – mit diesen biblischen Texten den Menschen Angst gemacht. Allerdings beabsichtigen sie genau das Gegenteil. Sie stiften Mut und Hoffnung und wollen den Gläubigen helfen in schwierigen, ja schwierigsten Zeiten, in denen die Welt aus den Fugen gerät beziehungsweise im Chaos zu versinken droht, aus- und durchzuhalten. Was ist noch zu machen, wenn Terror und Gegenterror, Gewalt und Gegengewalt als Problemlöser dienen? Wer hält die Fäden der Geschichte in der Hand, wenn die Welt voller Angst und die Probleme unüberblickbar werden? Auf solche und ähnliche Fragen antworten apokalyptischen Texte. Ich möchte näher auf die Lesung eingehen.
Das Buch Daniel ist eine späte Schrift. Sie dürfte im 2. Jht. v. Chr. entstanden sein. Die Welt ist beherrscht von vier großen Bestien, besonders das vierte Tier war „furchtbar und schrecklich und stark“, von triebhafter Gier besessen. Gemeint ist vor allem die brutale Verfolgung unter Antiochus iV. „Es fraß und zermalmte alles, und was übrig blieb, zertrat es mit den Füßen“ (Vgl. Dan 7). Es beschreibt Staatsterror, wenn der einzelne nicht mehr zählt, wenn die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird. Und diesen tritt „einer wie ein Menschensohn“ entgegen, dem „Herrschaft, Würde und Königtum gegeben“ sind. Die Bestien beschreiben „vier Könige, die sich auf der Erde erheben werden“. Angesagt ist für sie: Ihnen wird ihre Macht entzogen.
Es ist eine erste Hoffnung, die anklingt: ihnen wird ihre Macht entzogen. Daniel spricht vom großen Engelsfürsten Michael, der für die Söhne (und Töchter) seines Volkes eintritt. Michael ist jener Bote Gottes, der die Gläubigen stärkt, der die Gebete der Menschen vor Gott bringt, Michael, der stärkende Engel. Es erinnert mich an einen ehemaligen Besuch im KZ Dachau. Es führte uns ein Prälat, der viele Jahre selbst Gefangener war. Wir standen vor einem Bild, das viele Gesichter von Gefangenen – Frauen und Männer in ihrer typischen mit Nummern versehenen Kleidung – zeigte, ganz ernste Gesichter ohne jedes Lächeln, gezeichnet von Hunger und Angst und schwerer Arbeit. Dann sagte er – und das ist mir damals sehr tief gegangen: Etwas konnten sie uns trotz aller Schikanen nicht nehmen: das freie Denken und den Glauben, dass dies ein Ende nehmen wird. Diese Gesichter zeugen von einer Kraft des Widerstandes, zeugen von der Sehnsucht nach Leben. In Zeiten größter Not wächst Glaubenden eine Kraft zu. Die Bibel umschreibt es mit Wesen wie Engel, die den Notleidenden zu Hilfe kommen.
Im Buch Daniel hat es gelautet: „Dein Volk wird in jener Zeit gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist“. Diktaturen, gewalttätige Herrschaftssysteme sind darauf aus, gerade den schwachen, kleinen Menschen den Namen zu nehmen. In den KZ’s hatten die Gefangenen nur noch Nummern. Einem Menschen den Namen zu nehmen ist die tiefste Entwürdigung. Daniel hält dagegen fest, auch wenn sie dir den Namen streichen, du bist im Buch Gottes verzeichnet. Du hast bei Gott einen Namen. Vor Gott bleibst du und bist du wer!
Daniel bringt einen neuen Gedanken in die Glaubensgeschichte Israels ein, den Glauben an die Auferstehung. Dieser Glaube ist in Israel sehr spät entstanden. Es herrschte der Gedanke vor, jemand lebt in den Kindern weiter und nicht so sehr, dass ein Mensch eine Neuschöpfung wird. Ein Verstorbener geht ein in die Scheol, in die Unterwelt. Daniel formuliert hier zum ersten Mal den Gedanken der Auferstehung. Man wollte die Namen vergessen machen und hat viele Menschen umgebracht. Dem setzt er entgegen: Unser Gott hat die Namen verzeichnet und für ihn bleiben sie über den Tod hinaus. Sie bleiben, weil sie aus dem Staub gerufen – wie schon am Anfang – und nun neu gerufen werden und bei ihm – Gott – leben.
Der Gedanke der Auferstehung ist mehr als eine billige Verströstung, wie es manchmal den Vorwurf gab im Sinne, später wird es dann schon gut werden. Der Gedanke der Auferstehung ist verbunden mit der Zusage, deine Würde, dein Wesen bleibt. Dich, ja dein Leben kann niemand zerstören. Selbst wenn sie dich in den Staub treten wollten, deine letzte Würde, dein Leben bleibt.
Es ist noch ein weiterer Gedanke, den Daniel in der Lesung entfaltet: „Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten.“
Wenn alles aus den Fugen gerät und der Mensch nicht mehr zählt, beginnt man unwillkürlich über kurz oder lang zu fragen: Macht mein Kampf gegen Unrecht Sinn? Was bringt es, wenn ich den Mund aufmache? Was bringt es, wenn ich den Job, den guten Ruf, ja letztlich das Leben riskiere? Es gibt Situationen, da scheint jeder Gedanke, jedes Wort, ja jedes Tun völlig ins Leere zu gehen, weil sich nichts verändert, weil alles Tun verpufft. Warum dann überhaupt noch etwas tun?, bleibt als Frage.
Gegen ein solches Denken wehrt sich Daniel. Vordergründig kommen wir gegen Große, gegen Mächtige nicht an, aber das Engagement bleibt nicht ohne Wirkung. Das ohnmächtige Tun der Ohnmächtigen strahlt, wie der Himmel strahlt, und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten. Vielleicht erscheint das Tun der Gerechten, der Glaubenden, der Liebenden … zunächst erfolglos zu sein, aber sie zünden Lichter der Hoffnung an, sie schaffen eine neue Atmosphäre. Das Dunkel verliert mehr und mehr an zerstörerischer Kraft. Provikar Carl Lampert, Dietrich Bonhoeffer u.a. sind so leuchtende Sterne geworden.
Nochmals: die Bibel malt uns keine rosarote, schöne, feine Welt. Schon gar nicht sollen Glaubende sich darauf verlassen, dass Friede, Wohlstand, Freiheit, Achtung vor dem Menschen … selbstverständlich sind. Eine Gesellschaft kann schnell kippen, und Menschen zwischen die Mühlsteine der Gewalt und schlimmster Machenschaften gelangen.
Glaubende vertrauen dem Menschensohn, den sie mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen. Das Wort gilt für jene Situation, in der unsere Welt zusammenbricht und es keinen Ausblick oder keinen Ausweg gibt; wenn die Kräfte des Himmels erschüttert werden. Nicht wir finden eine Lösung oder müssen sie finden, sondern wir überleben, weil jemand uns begegnet, auf uns zukommt. Ja, wenn andere nur noch das Ende sehen, kündet sich das Neue an: der Menschensohn. Die Geschichte lehrt uns: Kein Regime, das Gewalt anwendet, hat wirklich Zukunft.
Die apokalyptischen Texte der Bibel sind den Menschen Orientierung in Zeiten, in denen die Gesellschaft oder Staaten tierisch, wie wilde Bestien werden. Sie sind Rüstzeug, um in solchen Zeiten aus- und durchzuhalten. Das Aus- und Durchhalten lohnt sich. Die Wirkung gerechter Taten (Widerstand) erhellt das Dunkel und bringt es zum Schwinden. Das Licht besiegt das Dunkel und nicht umgekehrt.