Auf Lehm geboren 1. Lesung: Jes 62,11-12| 2. Lesung: Tit 3,4-7| Evangelium: Lk 2,15-20
Der im 18. Jahrhundert lebende reformierte Laienprediger Gerhard Tersteegen versuchte mit dem Kirchenlied: „Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel in Chören“ das Wunder von Weihnachten zu beschreiben. „Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget; sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget! Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd; alles anbetet und schweiget. Gott ist im Fleische: wer kann dies Geheimnis verstehen?“.
Es ist dieses unfassbare Geschehen, dass Gott Mensch wurde, und zwar als verletzliches Kind. Ein Kind, dass in einer großen Krisensituation zur Welt kam. Es gab den Auftrag des fernen Kaisers in Rom, alle Menschen „den ganzen Erdkreis“ in Steuerlisten eintragen zu lassen, es sollte kein Entrinnen mehr geben können. Das Joch wurde noch straffer gemacht. Ein hartes Regime hatte Einzug gehalten. Das zwang Josef mit der hochschwangeren Maria eine mühsame Reise auf sich zu nehmen.
Wer den Orient etwas kennt, weiß welchen Stellenwert die Geburt des ersten Kindes hat, besonders wenn es auch noch die Geburt eines Sohnes ist. Die werdende Mutter kann sich auf erfahrene Frauen aus dem Dorf und der Verwandtschaft verlassen. Maria hätte sich unter normalen Umständen mit mehr Gelassenheit auf ihre Erstgeburt einlassen können. Auch Josef hätte sie in guten und erfahrenen Händen wissen können. Nichts davon war auf dieser Reise gegeben. Dem noch nicht genug. Maria musste ihr Kind im Stall zur Welt bringen. Es mag vielleicht der ruhigere Ort gewesen sein als die Karawanserei mit all dem Kommen und Gehen, dem ganzen Trubel und der Hektik, die Reisende verbreiten. Zudem hätte eine Geburt die Karawanserei „unrein“ gemacht. Dennoch hätte sie sich vermutlich als erste Liegestatt für ihr frischgeborenes Baby etwas anderes gewünscht als eine Futterkrippe. Der arme Josef wurde zum – vermutlich – unbeholfenen Geburtshelfer. Bei normalen Umständen wäre der Erstgeborene unter der stolzen Verwandtschaft herumgereicht worden. Josef hätte ein Familienfest ausgerichtet. Die Freude wäre überschwänglich gewesen. Eine Babyparty im großen orientalischen Stil.
In der Höhlengegend lagerten Hirten bei ihrer Herde. Sie hielten Nachtwache vor ihrem ganzen Vermögen. Wie müssen sie erschrocken sein, als plötzlich ein fremdes Wesen in ihre Mitte trat. Vermutlich dachten sie zuerst an Raub und Diebstahl und sahen sich und ihre Herde – ihr ein und alles – großer Gefahr ausgesetzt. Die Aussage des Engels: „Fürchtet euch nicht!“ – war für sie eine Zusage in wirren Zeiten, mitten in eine Gesellschaft, die in politischer und religiöser Drangsal lebte. In eine Zeit gesprochen, wo alles drunter und drüber zu gehen schien und der Kampf ums tägliche Überleben alle Kräfte raubte. Dieser unscheinbaren Gruppe von Hirten soll als erstes die große Freude zuteilwerden, dass endlich der Retter geboren ist. „Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt“. Eigentlich hätten sich die Hirten denken müssen, was für ein Irrsinn. Ein Retter, ein Erlöser, ein Wendebringer in Windeln, in einem Futtertrog – wie unglaubwürdig? Etwas, das – mit heutigen Worten – ein Event wert gewesen wäre, eine große Inszenierung erfahren sollte, findet quasi im Stall nebenan statt. Was machen die Hirten? In der Regel alte Männer, Buben und Mädchen oder Menschen der Familien, die man für sonst nichts brauchen konnte – sie fühlen sich angesprochen, sie sind neugierig, sie verwerfen die Ankündigung des Engels nicht. Sie machen sich auf, führen die Herde mit sich – sie eilen. Sie haben Hoffnung geschöpft und Glauben.
Wie überrascht mussten Maria und Josef nach all den Strapazen gewesen sein, als dann auch noch plötzlich Fremde kamen. Abgehetzte Hirten mit ihrer Herde. Nein danke, das braucht man inmitten einer so verfahrenen Situation nicht auch noch. Nicht nur, dass die beiden jungen Eltern dieser Glückwunschgemeinde in ihren Intimbereich Einlass gewähren, sie lassen sich auch noch erzählen, was ihnen widerfahren ist. Hirten ersetzten die fehlende Feierfamilie – Fremde, im Schmutz des Alltags. Die Hirten als Erstberufene sind überzeugt von dem, was ihnen gesagt wurde und was sie gesehen haben, sie rühmen Gott und preisen ihn für diesen Retter in Windeln im Futtertrog.
Mit welcher Radikalität Gott ins Leben der Menschen eintrat, verblüfft nicht nur uns heute, sondern schon einen der ersten Kirchenlehrer. Hieronymus, der an der Wende zum 4. Jahrhundert lebte, widmete sich diesem Umstand in einer seiner Weihnachtspredigten, und zwar vor dem Hintergrund, dass man damals in der Grotte von Bethlehem einen Krippentausch vornahm. „Jetzt haben wir Christen ehrenhalber die aus Lehm gefertigte Krippe entfernt und durch eine silberne ersetzt. Aber für mich ist jene, die man fortgeschafft hat, wertvoller. Die Heidenwelt erwirbt Gold und Silber; der christliche Glaube verdient jene Lehmkrippe…Ich verachte nicht diejenigen, welche der Ehre wegen, die silberne Krippe aufgestellt haben … aber ich bewundere den Herrn, der, obwohl Weltenschöpfer, nicht zwischen Gold und Silber, sondern auf Lehm geboren wird …Er kam nicht zur Welt zwischen Gold und Reichtum, sondern inmitten des Unrates, in einem Stall…betrachtet die Größe der Armut!“.
Schon damals fiel es offensichtlich den Christen schwer, diesen Skandal annehmen zu können und man versuchte den vermeintlichen Makel mit Silber und Gold zu übertünchen – die sichtbare und greifbare Armut der Geburt Jesu.
Jesus in der Krippe zwingt uns aber, den Blick auf die Unbeholfenheit des Erlösers als Säugling in Windeln zu richten, auf eine bittere Armut, von der wir uns sonst gerne abwenden. Auch wenn wir über die Jahrhunderte unsere Kirchen mit viel Gold und Silber ausgestaltet haben und zu Weihnachten festlich schmücken, laufen wir Gefahr, damit das Wesentliche zu verdecken. Weihnachten macht deutlich, dass sich der wahre Gott zu den Niedrigen beugt und sich auf dem Boden der Tatsachen/der Realität hart aufschlagen lässt.
Wohin würden heute die Hirten eingeladen werden: nach Aleppo, in den Libanon, auf ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer, in einen U-Bahnschacht in Kiew, in den Gazastreifen ….aber vermutlich nicht in meine gutbürgerliche Stube unter den Weihnachtsbaum. Diesen Umstand muss man zuerst einmal aushalten. Genau das ist Weihnachten und vermutlich weniger das romantische, inszenierte Fest.
Die Rettung in Zeitenwenden zu erkennen, bedeutet wachsam zu sein, wie die Hirten: aufgeschlossen für Überraschungen, skandalöse Zumutungen und unfassbare Zeichen. In Eile machten sich die Hirten auf, das Wort zu sehen – die Zusage Gottes „ich bin der ich bin da“ – der immer Daseiende. Weihnachten ist eine Freude, die allen zuteilwerden soll – nicht nur Wenigen oder Auserwählten. Friede den Menschen, die guten Willens sind und beitragen das Unmögliche möglich zu machen. Die Hirten fanden am Lehmtrog ihre Hoffnung und Zuversicht. Für diese unfassbar menschliche Zuwendung Gottes priesen die Hirten Gott und wurden die ersten Missionare und Verkünder der frohen Botschaft.
Was bewegt uns? Bewegt uns überhaupt noch etwas? Für was oder wen sind wir bereit aufzubrechen? Was lässt uns eilen? Wofür loben und preisen wir Gott?
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an Titus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Auf Lehm geboren 1. Lesung: Jes 62,11-12| 2. Lesung: Tit 3,4-7| Evangelium: Lk 2,15-20”
Ihr Lieben,
herzlichen Dank für die berührende Weihnachtsbotschaft. Wir wünschen euch allen ein gesegnetes neues Jahr und die Hoffnung – Weihnachten lebt weiter – hinein in das Jahr 2023.
Bleibt alle gut behütet und danke für eure tolle Arbeit.
Ganz liebe Grüße aus Markdorf,
Andrea und Andreas