Beten eint 1.Lesung: Sir 35,15b-17.20-22a| 2.Lesung: 2 Tim 4,6-8.16-18| Evangelium: Lk 18,9-14
Vor kurzem durfte ich an einem angeregten Austausch teilnehmen. Es ging um die Gestaltung von Gebeten unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Jede sollte abwechselnd auf ihre Art und Weise ein Gebet gestalten. Dabei traten viele Unterschiede zu Tage. Es gibt Religionen, die kennen nur das persönliche Einzelgebet, daneben Gemeinschaftstänze mit Musik. Die Tänze einiger Religionen werden sehr meditativ gestaltet, manche wiederum sehr impulsiv. Andere üben das Zitieren von Textstellen aus einem heiligen Buch, ohne jede Form von Musik. Damit fällt das Gebet kurz aus. Es gab Rückmeldungen, dass hier die Spiritualität fehlen würde. Wieder andere beten in Gemeinschaft standardisierte Gebete. Freie Gebete sind nur für das intime private Gebet vorgesehen. Als Maßstab der Beurteilung wurde indirekt, aber doch erkennbar die aktuellen Gepflogenheiten meiner Kirche herangezogen.
Liturgien und Gebete sind auch immer Kinder ihrer Zeit, geschichtlicher Entwicklungen und von kulturellen Einflüssen. Manche Rituale haben ihre Wurzeln in heidnischen Traditionen, wurden übernommen und integriert. Blaskapellen an Fronleichnam werden sich bei asiatischen Christen nicht finden lassen. Der Gesang klingt weltweit auch bei katholischen Gottesdiensten sehr unterschiedlich. Es gibt Kirchenchöre und Orchestermessen oder den Volksgesang. In den afrikanischen oder südamerikanischen Kirchen wird bei katholischen Gottesdiensten lebhaft getanzt, bei uns würde das weniger gut ankommen.
Historisch haben sich die Formen der Gebete und der Liturgien sehr gewandelt. Vor 100 Jahren wäre der Einsatz von Symbolen verpönt gewesen, heute wirkt es manchmal wie ein auferlegter Zwang. Im Judentum scheiden sich die Geister bei der Orgelmusik im Gottesdienst. In machen Religionen dürfen Gottesdiensten lediglich Menschen mit einer bestimmten Abstammung vorstehen, bei anderen nur geweihte Personen, andere kennen solche Formen von Vorstehern gar nicht.
Es gibt eine fast unüberschaubare Fülle von Traditionen des Gebetes. Was alle eint, ist die Ausrichtung auf eine Transzendenz hin, auf etwas oder jemanden, das oder der über mich hinausgeht. Manche Menschen meinen zu wissen, wie oder wer das konkret sein soll oder ist. Historisch hat es viele Versuche gegeben, die eigenen Vorstellungen den anderen überstülpen zu wollen. Was macht es so schwer, einfach das andere auszuhalten?
Für die körperliche Ertüchtigung und Regeneration pflegen wir unterschiedliche Formen von Sport. Die einen gehen Wandern, ein anderer spielt Tennis oder geht gerne schwimmen. Nichts davon passt für alle. Es gibt Menschen, die betreiben gleich mehrere Formen von Sport, manche turnen vor dem Fernseher.
Ebenso vielfältig sind die Gebetsformen der unterschiedlichen Religionen und der einzelnen Menschen. Wenn wir alleine ans Christentum denken öffnet sich eine große Schatzkiste: Vom Rosenkranzgebet über Gipfelmessen, vom Tischgebet über Fernsehgottesdienste. Lange Zeit galten diese lediglich als zulässiges Angebot für nicht mobile Menschen. Während Corona haben viele die hohe Qualität der Gestaltung schätzen gelernt. Nun werden die Mitfeiernden an Radio und Fernsehen sogar in der Kirchenstatistik für das Jahr 2024 offiziell als Gottesdienstfeiernde ausgewiesen.
Bei den Juden ging vor kurzem ein ganzer Feier- und Festtagsreigen zu Ende. Am Anfang stand Rosch Ha-Schana, das Neujahrsfest, gefolgt von Yom Kippur – dem Versöhnungstag, und Sukkot – dem Laubhüttenfest. Das jüdische neue Jahr beginnt mit dem Hinterfragen des eigenen Verhaltens in Verbindung mit der Absicht, dieses Verhalten zu verbessern. So wie es im heutigen Evangelium vom Zöllner beschrieben ist. „Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (LK 18, 13). Für uns als Christinnen und Christen könnte die Anfrage lauten: Was bedeutet christliches Leben heute? Welche Haltungen sind damit verbunden – in Anbetracht von Flucht, Arbeitslosigkeit, steigender Armut, Krieg und Künstlicher Intelligenz. Was bewirkt die politische Vereinnahmung von Religion? Wie verhalten wir uns dazu?
Unsere Glaubenslandschaft ist bunt und vielfältig geworden. Zweifelsfrei ist das eine Herausforderung. Es gilt trotz aller Unterschiede, das gemeinsame zu entdecken und zu pflegen. Der jüdische Rabbiner Schalom Ben-Chorin meinte einmal zum Verhältnis von Judentum und Christentum: „Der Glaube Jesu eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns“.
Das Bedürfnis zu beten, eint alle Gläubigen. Die Formen und die Rituale scheinen zu trennen. Darüber zu urteilen, davor bieten die Texte des heutigen Sonntags Einhalt: „Der Herr ist Richter und es gibt vor ihm kein Ansehen der Person. Er bevorzugt niemanden gegenüber einem Armen, die Bitte eines ungerecht Behandelten wird er erhören. Er missachtet nicht den Hilferuf der Waise und die Witwe, wenn sie ihren Jammer ausschüttet. Wer Gott wohlgefällig dient, wird angenommen und seine Bitte dringt bis in die Wolken. Das Gebet eines Demütigen durchdringt die Wolken“ (Sir 35,15-21a).
Der Dalai Lama, der spirituelle Anführer des tibetischen Buddhismus, meint: „Eine Voraussetzung für den Frieden ist der Respekt vor dem Anderssein und vor der Vielfältigkeit des Lebens“. Auch Jesus lebte damals in einer Region des Völkergemisches und großer Herausforderungen. Genau vor diesem Hintergrund erzählte er von der unterschiedlichen Gebetshaltung der beiden Männer.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesus Sirach anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an Timótheus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
3 Kommentare zu “Beten eint 1.Lesung: Sir 35,15b-17.20-22a| 2.Lesung: 2 Tim 4,6-8.16-18| Evangelium: Lk 18,9-14”
Ich bin nicht ok, du bist nicht ok !
Ich bin nicht ok, du bist ok !
Ich bin ok, du bist nicht ok !
ICH bin ok, du bist ok !
Diese unterschiedlichen Einstellungen erschweren bzw. erleichtern mir das Leben. Wenn ein gegenseitiges “ok” möglich ist, bei den Begegnungen der Menschen, ist die Voraussetzung für Frieden gelungen. Das trifft meiner Meinung
auch auf die verschiedenen Gebete zu und ist im Sinne Jesus. GG
Danke für diesen Kommentar zum heutigen Sonntag. Ich fühle mich ja fast immer angesprochen von Euren Texten, von Katharina, die ich persönlich nicht kenne und von Erich. Doch schreibe ich selten meine Gedanken hier dazu, was ich heute wieder einmal tue.
Die große Fülle der verschiedenen Gebets- und Feierformen aufzuzeigen, tut mir als Leserin gut. Besonders hat mir der Vergleich mit dem Sport gefallen. Da sehe ich doch alles aus einer ganz anderen Perspektive.
Nun wünsche ich Euch weiterhin alles Gute für Euer Wirken und allen einen gesegneten Sonntag
Gertrud Geser
Danke Fr. Weiss für die immer sehr erhellenden Gedanken!
Zum Beten meint Augustinus sehr tröstlich:
„Gebet ist Sehnsucht.
Die Sehnsucht betet ohne Worte.
Hast du immer Sehnsucht, so betest du immer.“