Blick zu den Sternen 1. Lesung: Gen 15,5-12.17-18|2. Lesung: Phil 3,17-4,1|Evangelium: Lk 9,28b-36
Bei Exerzitien wurde ich darauf aufmerksam, dass das vermutlich uns allen bekannte Abend- und Wiegenlied: „Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt“ von dieser biblischen Erzählung inspiriert ist. Der Text stammt von einem evangelischen Pfarrer (Wilhelm Hey) aus dem Jahr 1837. Gott spricht zu Abram: „Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst!“ (Gen 15,5). Gott fordert Abram zu etwas auf, was eigentlich allein Gott vorbehalten war. Abram soll zählen. „Zählen“ gilt im Ersten Testament als ein göttlicher Herrschaftsakt, der dem Menschen nicht zusteht. König David beging diesen Übertritt, denn er kam in die Versuchung, statt auf Gottes Hilfe zu vertrauen selbstverherrlichend das Volk zählen zu lassen (1 Chr 21,5 und 2 Sam 24,2). Die Tat endet mit einem eindrücklichen Schuldbekenntnis von König David ( 1 Chr 21,17 und 2 Sam 24,17). Gott lässt also Abram an seiner göttlichen Herrschaft teilhaben und fordert ihn auf zu zählen. Wer jemals die Chance hatte, in der Wüste oder an einem entlegenen Ort ohne Lichtverschmutzung einen Sternenhimmel zu sehen, weiß welches Schauspiel sich dem Abram geboten haben muss.
Es wird geschätzt, dass man mit bloßem Auge bis zu 6000 Sterne erkennen kann. Die Sterne, die wir am Nachthimmel sehen, sind so weit weg, dass ihr Licht viele Jahre braucht, um die Erde zu erreichen – sie sind Lichtjahre entfernt. Wenn wir uns vorstellen, ein Stern ist 1.000 Lichtjahre weg und gestern erloschen, dann werden wir das auf der Erde erst in 1.000 Jahren bemerken können. Ein großer Anteil der Sterne ist vor über 10 Milliarden Jahren entstanden. Und wenn sich heute noch ein neuer Stern bildet, werden wir ihn erst lange Zeit später erkennen können. Im Laufe eines Tages und im Verlauf der Jahreszeiten ändert sich, von der Erde aus betrachtet, der Anblick des Himmels mit Sternen und Sternbildern. Vermutlich waren die Sterne für Abram beim Auszug aus Ur in Chaldäa eine Navigationshilfe, ebenso wie für die Sterndeuter, die Jesus huldigen wollten.
Wenn Gott Abram auffordert, die Sterne zu zählen, dann verdeutlicht er ihm, Teil einer unendlichen Schöpfungsgeschichte zu sein. Bildlich gesprochen ist Abram nur ein winziger Punkt in dieser Abfolge von Aufgehen und Vergehen, dennoch ist sein Handeln außerordentlich bedeutend.
Dieser Gott, von dessen Unermesslichkeit wir beim Betrachten des Sternenhimmels eine Ahnung erhalten können, verspricht dem Abram, dass seine Nachkommen, so zahlreich sein werden wie die Sterne am Himmel. Eine Vorstellung, die für den alten Abram alles Vorstellbare übersteigt. Man könnte sagen, so ein Wahnsinn, das zu glauben. Und dennoch glaubte Abram dem HERRN. Leider wird im heutigen Evangelium ein wesentlicher Teil ausgelassen. Gott gaukelt dem Abram keine Idylle vor. „Er sprach zu Abram: Du sollst wissen: Deine Nachkommen werden als Fremde in einem Land wohnen, das ihnen nicht gehört. Sie werden dort als Sklaven dienen und man wird sie vierhundert Jahre lang unterdrücken … Erst die vierte Generation wird hierher zurückkehren“ (Gen 15, 13-16). Gott denkt in Generationen, man könnte fast sagen in Lichtjahren. Für ihn steht alles in einem größeren umfassenderen Zusammenhang. Gott denkt in Genealogien – in Abstammungsfolgen. Darum werden uns im Ersten und Zweiten Testament oft lange Listen von Geschlechterfolgen aufgelistet. Am Beginn des Matthäus Evangeliums wird uns z.B. der Stammbaum Jesu erzählt, und zwar beginnend mit Abraham (Mt 1,2).
Auch das heutige Evangelium stellt Jesus in einen geschichtlichen Kontext. „Und siehe, es redeten zwei Männer mit ihm. Es waren Mose und Elija; sie erschienen in Herrlichkeit und sprachen von seinem Ende, das er in Jerusalem erfüllen sollte“ (Lk 9, 30-31). Mose und Elija waren in Verkündigung und Auftrag Jesus vorangegangen und wissen bereits um seine Zukunft. Die Worte und Taten von Mose und Elija prägten das Volk Israel und nahmen es in Verantwortung, für sich und ihre Nachfahren zu denken und zu handeln.
Wenige Zeilen später lesen wir: „Da erscholl eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören“ (Lk 9, 35). Man könnte nun meinen, es tue sich hier ein Widerspruch auf – einerseits die Einbettung Jesus in biblische Abstammungsfolgen und andererseits die Gottessohnschaft. Jesus ist aber ebenso wiw wir Christinnen und Christen beides. Einerseits ist er eingebunden in ein irdisches Dasein zu einer ganz bestimmten Zeit, mit einer familiären und gesellschaftlichen Vorgeschichte, die manchmal begrenzt und eingrenzt. Andererseits ist er Kind Gottes und damit eingebettet in eine für uns unvorstellbare Unendlichkeit göttlichen Wirkens.
Daraus ergibt sich eine besondere Form von Verantwortung. Unser Tun und Handeln prägen nicht nur unsere Zeit und unser Leben. Sie stehen im Kontext der Vergangenheit – der Möglichkeit aus Fehlern und gutem Handeln lernen zu dürfen – und der Zukunft, die wir mit unserem Tun prägen und zum Teil vorbestimmen. Es ist von Bedeutung, wie wir uns heute verhalten und das bleibt nicht folgenlos. Auch unser Verhalten – wie das Verhalten Abrams – ist außerordentlich bedeutend. Wir stehen beim Klimaschutz und in der Friedenspolitik in der Verantwortung von Generationen, die nach uns kommen werden.
Das Lied „Weißt du wie viel Sternlein stehen“ handelt von der großen Sorgfalt und Achtsamkeit, die Gott seiner Schöpfung entgegenbringt und mit deren Hüten wir beauftragt sind. Wir haben Krieg in Europa und es ist nicht egal, wie wir uns gegenüber einem Aggressor verhalten, wie und ob wir Ukrainerinnen und Ukrainern helfen. Wir haben den Auftrag, in Generationen zu denken, von den Fehlern unserer Vorfahren zu lernen und den von ihnen erarbeiteten Schatz des Friedens zu hüten.
Das Wiegenlied endet: „Weißt du, wie viel Kinder frühe stehn aus ihren Bettlein auf, dass sie ohne Sorg und Mühe fröhlich sind im Tageslauf?“. Beten wir für die Kinder in der Ukraine und den Geflüchteten, dass sie ehestmöglich wieder mit dieser Gewissheit abends einschlafen dürfen und wir bereit sind, unseren Beitrag dazu zu leisten.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Génesis anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Philíppi anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten: