Der Atem des Auferstandenen 1. Lesung: Apg 2,1-11 | 2. Lesung: 1 Kor 12,3b-7.12-13| Evangelium: Joh 20,19-23
Mit Pfingsten verbinden vermutlich viele das Bild aus der Apostelgeschichte: 50 Tage nach Ostern sind die Jünger versammelt. Vom Himmel her kommt ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt. Er erfüllte das ganze Haus. Feuerzungen lassen sich auf alle nieder. Alle reden in neuen Sprachen. Alle können sie in ihrer Muttersprache verstehen. Die Angst weicht. Mutig tritt Petrus vor das Volk. Tausende lassen sich taufen.
Der Evangelist Johannes zeichnet von Pfingsten ein völlig anderes Bild. Bei ihm findet Pfingsten bereits an Ostern statt. Am Abend des ersten Tages, nachdem Maria von Magdala und einige Jünger das leere Grab entdeckten, ereignet sich bereits Pfingsten: Der Auferstandene kommt zu den Jüngern, die sich aus Angst unter Selbstquarantäne gesetzt haben, und wünscht ihnen zunächst den Frieden, den „Schalom“, zeigt seine Wunden und dann haucht er sie mit den Worten an: Empfangt den Heiligen Geist… Es gibt keinen Sturm, keine mutige Rede eines Jüngers, kein Zusammenströmen der Massen. Es bleibt ein Geschehen hinter verschlossenen Türen.
Johannes kannte die Texte des Lukas und der Apostelgeschichte. Warum dieser Widerspruch? Was soll dieser Widerspruch? Johannes hat eine andere Zeit mit anderen Umständen vor sich. Die Verfolgung der Christen hatte sich verstärkt. Sie mussten mehr und mehr in den Untergrund. Die Treffen geschahen heimlich, hinter verschlossenen Türen. Der Auferstandene kommt, so ist die Botschaft des Johannes, zu diesen Treffen hinter verschlossenen Türen. Er haucht sie an mit einem Geist des Friedens. Die Welt wird nicht im Sturm erobert, sondern Gottes wirken gleicht einem Hauch: wie wenn Eltern mit ihrem Hauch den Schmerz eines Kindes lindern, wie wenn mit einem Hauch die kalten Hände gewärmt werden. Die Christen erfahren, obwohl sie bedrängt sind und nach außen hin nicht viel bewirken können, es wächst dennoch die Gemeinde. Der Atem Gottes, der den Adam am Beginn der Schöpfung belebt und beseelt hat, dieser Atem geht jetzt ebenso vom Auferstandenen aus.
Gleicht die gegenwärtige Situation nicht dem Bild von Pfingsten, wie es von Johannes gezeichnet wird? Kein Rauschen und Brausen, keine bewegte Ansammlung der Massen, vielmehr eher ein verhaltenes Reden. Und dennoch dürfen wir gewiss sein, wenn wir uns zum Gebet hier oder in den Häusern treffen, in Geduld ausharren und aufeinander Rücksicht nehmen, bewusst jemanden grüßen oder anrufen, …. werden wir angehaucht, gestärkt, geheilt, verwandelt. Es hat eine Kraft. Es ist eine belebende Kraft.
Johannes zeichnet uns ein Bild, in dem die verschlossenen Türen für den Auferstandenen und sein Wirken weder eine Grenze noch ein unüberwindbares Hindernis sind. Die Auferstehung macht verschlossene Türen durchlässig. Der Atem Gottes erreicht Menschen in ihren Mauern und holt sie aus ihren Ängsten heraus. Der Atem Gottes bewirkt Neubeginn, den Anfang einer neuen Zukunft. Der Atem Gottes belebt.
Der Auferstandene haucht sie an mit den Worten: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten. Sünden vergeben, so damals die gängige Vorstellung, kann nur Gott. Der Auferstandene überträgt das Sünden erlassen auf die Jüngerinnen und Jünger, auf die Menschen.
Dazu ein Hinweis: Am Beginn des Evangeliums sieht Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagt: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Joh 1,29). Alles, was Jesus spricht und tut, alle seine Heilungen, die Brotvermehrung mit der Brotrede, die Fußwaschung, seine Weise des Leidens bis hin zum Tod am Kreuz, alles deutet das Wort des Johannes: „Seht! Das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt“.
Dem Sündenerlassen liegt ein umfassendes Verständnis zugrunde. Das Sündenerlassen meidet, dass Sünder an ihrer Schuld festgenagelt oder -gehalten werden. Es ist eine Solidarität, die einen Weg aus Schuld und Schulden sucht. Es ist eine Barmherzigkeit, die keineswegs Missstände zudeckt, sie vielmehr benennt, aber noch mehr die Zukunft im Auge hat.
Wir feiern Pfingsten inmitten dieser Krisenzeit, in der Schulden gemacht werden. Es ist pfingstlicher Geist: das Mühen, niemanden zurück zu lassen und alle mitzunehmen. Dankbar zu teilen, was wir haben und aufeinander Rücksicht zu nehmen ist eine Quelle von Mut und Hoffnung. Gerade eine solche Krisenzeit macht deutlich, wie sehr tragende Lösungen das Miteinander und die Solidarität brauchen. Persönlicher und nationalistischer Geiz vergiftet die Atmosphäre und produzieren Leid um Leid.
Der Auferstandene hat die Seinen mit pfingstlichem Geist angehaucht mit dem Auftrag: die Schuld zu erlassen. Es geht um eine neue Weise des Daseins, um einen neuen Zugang zum Leben und auch zu Schulden. Wir können auch sagen: Lasst das Todbringende zurück. Es wäre ein fatales Verständnis von „Hochfahren“ – sei es die Wirtschaft oder in der Kirche -, wenn wir die alten Geleise befahren, wenn wir weiterhin an einer Wirtschaftsweise festhalten, die die Erderwärmung zusätzlich anheizt und Menschen arm zurück lässt. Oder: Wir in der Kirche meinen, es müsse alles so sein oder werden, wie es war. Es gilt sich von solchen Vorstelllungen zu lösen.
In der Kirche werden wir in manchen Bereichen, Themen, Riten … neu anfangen müssen. Es ist wie am ersten Pfingstfest.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Der Atem des Auferstandenen 1. Lesung: Apg 2,1-11 | 2. Lesung: 1 Kor 12,3b-7.12-13| Evangelium: Joh 20,19-23”
Herzlichen Dank, Pfarrer Baldauf, für die immer wieder mutigen und ermutigenden Kommentare und Auslegungen zu den Bibeltexten!