“Der Himmel kniet sich nieder“ Gedanken zu Christi Himmelfahrt von Friedrich Prassl
Der Titel ist eine Ableitung eines zweifelnden Wortes der großen Dichterin Christine Lavant aus einem Wintergedicht. Vor einigen Jahren hat mich dieses Wort bleibend berührt: „Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?“ Ihre Gedanken bringen meine innerste Einstellung zum Hochfest Christi Himmelfahrt fast vollkommen zum Ausdruck: „Ich bin mir sicher, dass sich der Himmel immer wieder niederkniet, weil wir alle zu schwach sind, um von selbst hinaufzukommen.“ Christi Himmelfahrt ist für mich eine indirekte Bestätigung, dass im zum Himmel emporgehobenen Jesus der Himmel der Erde näherkommt. Er kniet sich dabei nieder zu Jesus, dem Christus, zu mir, zu uns, zur Gemeinschaft aller glaubenden Menschen auf Erden. Christi Himmelfahrt bedeutet nicht, dass Jesus endgültig von der Erde fortgeht – schon gar nicht aus eigener Kraft! Nachdem er vieles, was wichtig war, zu den Jüngerinnen und Jüngern „gesagt hatte, wurde er in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes“ (Mk 16,19) – der Himmel kniet sich für ihn nieder!
Christi Himmelfahrt ist nicht eine Abkehr Jesu von der Welt. Es ist eine innige Zuwendung Gottes zu uns Menschen mit der Botschaft, uns auch zum Himmel hinzuwenden – mit Christus. Durch Umkehr in unserem Leben werden wir immer mehr solche Christinnen und Christen, selbst dem Himmel nahe. Umkehr, Bekehrung ist eine zutiefst biblische Herausforderung mit der Möglichkeit, dass sich in uns eine Lebenswende vollziehen kann. Wir bekehren uns von einem Leben, in dem wir selbst im Mittelpunkt stehen oder uns in den Mittelpunkt stellen. Wir bekehren uns von unseren Eigenmächtigkeiten, unserer Selbsterhöhung und unseren Egoismen zu einem auf Christus ausgerichteten Leben. Diese Umkehr geschieht selten von heute auf morgen. Meist ändern wir unser Leben, wenn überhaupt, sehr langsam und richten uns so Schritt für Schritt, mehr und mehr auf Christus hin aus – zum Himmel hin, der sich oft für uns niederkniet.
Christi Himmelfahrt ist die Zusage, dass wir uns durch die Gabe Gottes, die Jesus uns sendet, anderen zuwenden können: „ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 1,8). Seit vielen Jahren begleitet mich dazu ein „Bild Gottes“ aus einer Weisheitsgeschichte, das die Nähe von Himmel und Erde, die innige Verbindung von Göttlichem und Menschlichem sehr schön zum Ausdruck bringt. Es ist für mich ein einfaches „Wort Gottes“, das jedoch in der Bibel so nicht überliefert ist. Es lautet: „Mensch, du mein Ebenbild! Ich will, dass du mich vertrittst in der Liebe!“ Gott sagte es dem Menschen, den er nach seinem Ebenbild voll Zärtlichkeit und Liebe schuf und ihm seinen Lebensatem einhauchte. Entflammt von Liebe, nahm Gott den Menschen in seine Arme und drückte ihn ganz lang an sein Herz – dann ließ er ihn los, damit er seinen eigenen Weg gehen könne – in Freiheit.
Jesus hat ein Leben lang Zeugnis gegeben von dieser Liebe Gottes, in der wir ihn nun vertreten sollen. Er beauftragt seine Jüngerinnen und Jünger, seine Frohbotschaft weiterzusagen bis an die Grenzen der Erde, obwohl er um ihre Schwächen weiß. Er sendet sie voll Vertrauen aus, damit sie ihren Weg in Freiheit und Eigenverantwortung gehen können. Er gibt ihnen nur ein Ziel vor: Zeuginnen und Zeugen der Liebe Gottes zu sein. Wir müssen auch heute diesen Auftrag nicht alleine erfüllen, sondern dürfen ihn mit der Hilfe des Heiligen Geistes weiterführen und die Welt in seinem Sinn prägen: durch Worte und Taten der Liebe, durch Hingabe, Solidarität und Offenheit für unsere Mitmenschen. Wenn wir ihn in der Liebe großzügig, offenherzig, treu und uneigennützig vertreten oder es zumindest immer wieder versuchen, dann kniet sich der Himmel auch durch uns nieder. Durch viele solche Erfahrungen werden wir immer deutlicher im Glauben bekennen und es auf vielfältigste Weise bezeugen: „Ich weiß, dass sich der Himmel niederkniet, immer dann, wenn wir zu schwach sind, um hinaufzukommen!“
Friedrich Prassl SJ, Direktor des Kardinal König Hauses, Wien
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 2/19 publiziert worden.