Den Durst nach Leben stillen 1. Lesung: Apg 15,1-2.22-29-27 | 2. Lesung: Off 21,10-14.22-23| Evangelium: Joh 14,23-29
Es ist eine dichte Zeit. Vorbei ist das Abendmahl, die Fußwaschung. Jesus redet ein letztes Mal zu den Jüngerinnen und Jüngern. Er bereitet sie auf den Abschied vor, auf die Zeit nach ihm. Jedes Wort zählt und hat Gewicht.
Jesus kann nicht festgehalten werden. Maria Magdalena erfährt an Ostern als erste: Halte mich nicht fest! Es bleibt eine Leere, eine schmerzende Lücke. Jesus bietet eine Alternative: Wer mich liebt, wird an meinem Wort festhalten. Es ist das Wort, das sie festhalten können und ihnen Halt geben wird. Am Beginn des Evangeliums führt der Evangelist sehr ausführlich dieses Wort ein: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Alles ist durch das Wort geworden (Joh 1).
Jesus ist zum Wort Gottes geworden. Der Dichter Kurt Marti hat einmal geschrieben: „Ihm, Christus, glaube ich Gott“. Besser lässt es sich nicht beschreiben, was das Johannesevangelium mit „dem Wort“ meint. Er ist Gottes Wort. Er ist und lebt die Botschaft. Ihm glaube ich Gott.
Jesus ist mit seinem Glauben, mit seiner Liebe, mit seinem Leben zum Wort Gottes geworden. An seinem Wort festhalten geschieht nicht durch das Festhalten an einer absoluten Wahrheit, über die ich verfügen könnte, sondern an seinem Wort festhalten zeigt sich durch die Lebenspraxis. Es ist das Leben in und aus der Liebe. Er begegnet anderen so, dass es heilend ist, dass nicht verurteilt sondern gerettet wird, dass Dankbarkeit und Freude wächst, dass nicht ausgegrenzt sondern eingeladen und eingebunden wird; nicht zuletzt zu erwähnen ist, dass er vor allem auf Gewalt verzichtet. Festhalten an seinem Wort ist das Leben seines Wortes.
Es heißt dann weiter: Wir – gemeint der Vater und Christus – werden zu ihr/zu ihm kommen und bei ihr/ihm wohnen. Nicht wir müssen den Abstand zu Gott überwinden, sondern er kommt und will bei uns wohnen, bei uns sein. Es ist Gott, der sich aufmacht und Brücken schlägt.
Als Jesus Jünger beruft, fragen sie: „Rabbi, wo wohnst du?“ (Joh 1,38). Da war seine Antwort: „Kommt und seht!“ Hier erfahren wir, es ist zutiefst Anliegen Gottes, dass er sich aufmacht und bei den Menschen wohnen will. Er nimmt Wohnung bei Menschen, die sein Wort leben, die in und aus der Liebe leben. Das, was wir hier bei Johannes lesen bzw. gehört haben, mag banal und selbstverständlich klingen und doch ist es richtungsweisend bis in unsere Zeit, in unsere Kirche- und Gemeindesituation.
Johannes schreibt sein Evangelium um ca. 100 n. Chr. Er schreibt in seine Gemeinde, die erlebt, dass die Augenzeugen mehr oder weniger zur Gänze verstorben sind. Es gibt niemanden mehr, der authentisch und verlässlich von Jesus erzählen könnte. Jesus ist weg. Die Augenzeugen sind weg. Was gilt?
Hintergrund für die Frage bilden Spannungen und Konflikte. Es gibt heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Jesusbewegung. Es verschärfen sich die Konflikte zwischen denen, die dem Judentum zur Gänze treu bleiben wollten und jenen, die sich mehr und mehr dem „Neuen Weg“ (Apg 9,2) – wie sich die Christen nannten – anschlossen. Es ist die brennende Frage: Was gilt? Auf wen können wir uns verlassen.
„Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“. Denn es gilt das Wort. Vermutlich meint das Johannesevangelium auch sich selber: Die Christen in der Gemeinde können sich an diesem Evangelium festhalten, denn seine Worte überliefern verlässlich Jesus, der Gottes Wort ist. Und weiter die Zusage: Der Heilige Geist gibt die innere Kraft und sorgt dafür, dass die Verbindung bleibt, auch das nötige Verständnis für die Schrift bleiben wird.
Liebe Gläubige, vermutlich kommen wir in den nächsten Jahren noch mehr in die Situation, wie es die Jüngerinnen und Jünger und wie es die Gemeinde um 100 n. Chr. erlebt haben – vor allem für die Älteren unter uns -, nämlich das Gefühl von Verlust und Leere zu verspüren. Volkskirchliche Elemente schwinden. Feiern mit vollen Kirchen werden zur Ausnahme. Pastorales Personal – Priester, Gemeindeleiterinnen und -leiter, PastoralassistentInnen – wird weniger. Die Kirche als Institution verliert ihre gesellschaftliche Relevanz. Ihre Meinung zu lebensrelevanten Themen bleibt ungehört. Die Finanzen (in vielen Pfarren) werden knapper. Es werden bei uns verstärkt die Fragen gestellt werden, auf die damals der Evangelist reagiert: Wie soll es weitergehen? Was gilt? Was bleibt, wenn sich alles ändert?
Johannes kreist angesichts dieser Schlüsselfragen nicht um Themen wie Leitung, Ämter oder Strukturen. Die apostolische Autorität des Zwölferkreises spielt keine tragende Rolle. Johannes setzt da einen anderen Schwerpunkt als die Apostelgeschichte. Johannes denkt von innen, d.h. vom Inneren der Gemeindemitglieder her. Nicht die Situation muss sich wandeln. Sondern die Christinnen und Christen dürfen sich in ihrem Inneren wandeln lassen.
Wenn jemand von uns fortgeht, oder wenn wir verlassen werden, ist das schlimm und tut weh. Daran werden wir an Christi Himmelfahrt erinnert. Gleichzeitig gilt: Es kann Neues werden. Allerdings: Nie mehr so, wie es war. Anders als erwartet. Jesus macht im Johannesevangelium Mut, nicht am Alten zu kleben. Die Verluste anzunehmen und den Dingen eine Chance zu geben, die neu wachsen oder wachsen wollen. Was er dabei als Mitte sieht: Christus, das Wort, sein Wort.
Menschen, die sich an seinem Wort orientieren, erhalten Besuch. Der Vater und ER nehmen Wohnung, d.h. SIE beschenken jene mit: Halt, Mut, Freude, Zuversicht, Hoffnung … Die Situation können wir nicht ändern, aber sein Wort verwandelt uns und dadurch die Welt. „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.
“Wir, als Römisch Katholische Kirche haben eine Zeit hinter uns, in der es verpönt war, dass Gläubige das Wort Gottes lasen. Es war eine Reaktion auf die Reformationszeit. Mag sein, dass uns der gesellschaftliche Wandel zur Neuentdeckung des Wortes Gottes führt, zur Neuentdeckung einer Quelle, die den Durst nach Leben stillt. Zum gemeinsamen Lesen der Bibel kann ich nur ermutigen.