Der Johannesprolog als Weihnachtstext Hinführungen von Veronika Burz-Tropper
Als Evangelium am Weihnachtstag wird der Johannesprolog Joh 1,1–18 gelesen. Dieser Text gehört für mich zu den faszinierendsten Texten der Bibel, er übt schon seit meiner Schulzeit eine besondere Faszination auf mich aus. Quasi als Hymnus formuliert, ist der Prolog ein hochtheologischer Text, der zeigt, dass sein Autor auch tief in der Tradition des Alten Testaments verwurzelt ist, zugleich aber auch schon das grundlegende Christus- und Gottesbild des vierten Evangeliums deutlich herausstellt.
Im Prolog ist die Rede von der Präexistenz (dem Sein vor aller Zeit) des göttlichen Wortes (griech. logos), das in v17 schließlich mit Jesus von Nazareth identifiziert wird. Es ist die Rede von seiner Schöpfungsmittlerschaft sowie seiner Teilhabe an der Gottheit, d. h. seiner Göttlichkeit, die er als Sohn besitzt. In die gleiche Stoßrichtung geht übrigens auch das Bekenntnis des ungläubigen Thomas zum Auferstandenen am Ende des ursprünglichen Evangeliums, wenn er Jesus mit den Worten „mein Herr und mein Gott“ (20,28) anspricht.
Jesu himmlische Vorgeschichte im Prolog ist der Startpunkt des Johannesevangeliums.
Vor allem alttestamentlich-weisheitliche Traditionen sind im Prolog erkennbar, deshalb stellt sich auch immer wieder die Frage, warum hier vom Autor des Textes Logos anstatt Sophia – das griechische Wort für Weisheit – verwendet wird. Mit Michael Theobald, einem bedeutenden katholischen Exegeten muss man festhalten, dass „logos nicht allein und auch nicht vor allem wegen seines (grammatischen) Geschlechts den Vorzug vor der weiblichen Weisheit erhalten hat, sondern wegen seines semantischen Gehalts: Nur mit der Logos-Terminologie ließ sich sagen, dass Gott sich in Jesus von Nazareth ausgesprochen, dieser ihn kundgetan hat, kurz: er sein Wort ist“ (Theobald, Johanneskommentar 139).
Das Ereignis, das wir an Weihnachten feiern – die Geburt Jesu von Nazareth, des Sohnes Gottes –, wird im faszinierenden Prologtext im bewegenden Vers 14 genannt: „Und das Wort (der Logos) ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater voll Gnade und Wahrheit.“ So drückt der vierte Evangelist die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth, d. h. Weihnachten, aus. Eine Erzählung von der Geburt Jesu, wie wir sie aus dem klassischen Weihnachtsevangelium nach Lukas oder auch aus dem Matthäusevangelium kennen, gibt es bei Johannes nicht. Offenkundig wird durch diese Aussage und auch durch den letzten Vers des Prologs („Niemand hat Gott je gesehen, der einzige, der im Schoß des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“) die theologische Zuspitzung des gesamten Johannesevangeliums: In Jesus von Nazareth, an den sich Gott in seiner heilvollen Zuwendung zur Welt voll und ganz bindet, redet und wirkt Gott selbst und zwar in einer ganz exklusiven und unüberholbaren Weise. Nur bei ihm, dem Menschen Jesus, ist Gottes Wort zu hören (5,39f), sein Wirken zu erfahren (3,35; 5,20–22). In seinem Sohn, dem göttlichen Wort, das Mensch wird, begibt sich Gott auf unsere menschliche Ebene. In v14 heißt es auch: „und hat unter uns gewohnt“. Wörtlich übersetzt heißt der Teilvers „und hat unter uns gezeltet“. Mit der Verwendung des Verbes „zelten“, mit dem sich weiter atl. Hintergrund auftut, deutet sich allerdings keine vorübergehende Anwesenheit des Logos in Fleischgestalt an, wie es der Begriff nahelegen könnte, sondern ein dauerhaftes „Mitsein“. Auch wenn Jesus im Johannesevangelium auf dem Weg der Verherrlichung zum Vater ist, bleibt er nach der Auferstehung/seinem Weggang für die Seinen präsent – im Parakleten, dem anderen Beistand (vgl. Joh 14,16–18). Durch ihn ist der göttliche Logos, dessen Menschwerdung wir an Weihnachten feiern, auch nachösterlich anwesend und unter den Menschen – was für ein großartiges Geschenk für uns alle!
Veronika Burz-Tropper, Projektleiterin „Gottesrede im Johannesevangelium“, Universität Wien
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 1/20 publiziert worden.