Du, fang mich neu an 1. Lesung: Apg 14,21b-27 | 2. Lesung: Off 21,1-5| Evangelium: Joh 13,31-33a.34-35
Es ist immer eine Herausforderung, wenn sich Wünsche oder Sehnsüchte nicht erfüllen, wenn Vorstellungen, wie es sein sollte, könnte oder müsste sich in Luft auflösen.
Die ersten Christen lebten in der Vorstellung, dass der Auferstandene und in die Herrlichkeit Gottes aufgenommene bald wiederkommen wird, um das neue Reich – das Reich Gottes – für immer zu errichten. Die ersten Christen lebten in dieser sogenannten Naherwartung. Beim Abschied spricht Jesus davon, dass er wiederkommen wird (Joh 14,28). Diese Welt mit den Erfahrungen der Gewalt, Knechtschaft, Verfolgung, Sklavenarbeit u.a. wird dann vorbei sein, so die Hoffnung.
Die Jahre zogen ins Land. Aus den Jahren wurden Jahrzehnte. Die unmittelbaren Zeugen Jesu und seiner Auferstehung starben. Es kam der jüdische Aufstand mit der Zerstörung Jerusalems und der Vertreibung der Juden – damit auch der Christen – aus der Stadt. Diese Katastrophe gab der Naherwartung neues Feuer, bzw. schien noch dringlicher zu sein. Die Evangelien dämpfen bereits die Hoffnungen. Mag sein, dass wir den Satz in den Ohren haben: Jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, nicht die Engel im Himmel, nicht der Sohn nur der Vater im Himmel (Vgl. Mt 24,36). Mit anderen Worten: Habt Geduld! Wartet! Harrt aus!
Am Ende des ersten Jahrhunderts wuchs die Erkenntnis, die Vorstellungen über die Naherwartung erfüllen sich nicht. Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bleiben praktisch stabil. Die erwartete Wiederkunft des Herrn, wie sie sich das vorstellten, bleibt aus. Die Offenbarung des Johannes setzt sich auch mit diesem Faktum, mit dieser Enttäuschung, Ernüchterung und Fehleinschätzung auseinander.
Es gilt das Wirken Gottes neu zu deuten. Es gilt den Glauben neu zu buchstabieren. Auf diesem Hintergrund sei nur nochmals ein Satz der Lesung erwähnt: Seht, ich mache alles neu.
Der Seher Johannes, Gefangener auf der Insel Patmos, richtet eine neue Hoffnung auf. Es gilt sich zunächst seiner Vision anzunähern: Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr; das Meer als Bild für das Chaos oder chaotischen Zustände (Joh 21,1). Es ist zunächst die Frage: Was sehe ich? Was sehe ich kommen?
Dieser Seher, wer immer hinter ihm stehen mag, sieht nicht den Herrn wiederkommen, sondern er sieht zunächst einmal ganz schlicht, dass der bestehende Himmel und die Erde vergehen. Es wird Neues. Es verändert sich. Es bleibt nicht beim Alten. Es bleibt nicht, wie es ist. Auch das Meer, die chaotischen Zustände mit ihrer Gewalt und Unterdrückung haben ein Ablaufdatum.
Und weiter sieht der Seher das neue Jerusalem kommen. Diese Stadt Jerusalem, diese Stadt des Friedens wird ein neues Wohnen bieten. Es ist nicht der Friede der „Pax Romana“ von oben herab, vom Kaiser aufoktroyiert, dem jede Widerrede, vor allem aber jeder Widerstand suspekt sind, sondern der Friede ist Frucht einer Liebe, die Gott zu den Menschen hat und die die Menschen verbindet. Die heilige Stadt, das neue Jerusalem kommt von Gott her. ER – Gott – ist verliebt in diese Stadt wie ein Mann in seine Braut.
Diese Vision wird begleitet von einer lauten Stimme, von einer Audition. Es geht einher mit einer lauten Stimme. Sie kommt vom Thron und lautet: Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein. Gott wird bei ihnen sein.
Man kann förmlich die anderen Stimmen hören, die vielleicht auch ganz laut sind: Wir sind von Gott verlassen. Es ist hoffnungslos. Er lässt uns im Stich. Alles geht bergab. Alle Mühe als Christ zu leben ist umsonst. Diese laute Stimme hält entgegen: Gott wohnt jetzt schon bei euch. Ihr seid sein Volk. Zu erkennen ist er: in ihrer Mitte werden Tränen abgewischt, es vergehen die Klagen und die Mühsal.
Sie mussten damals lernen, dass das Wirken Gottes anders verläuft als bisher erwartet. Es gibt kein großes, einmaliges Ereignis durch das Gott in die Weltgeschichte eingreift – sprich Wiederkommen des Auferstandenen – und ihre Situation nachhaltig verbessert. Gott ist bereits zugegen. Er wirkt bereits Heilsames. Er selbst ist der Grund für ein verändertes Verständnis. Das, was früher war, ist vergangen.
Im weiteren Kapitel wird geschildert, worauf die Stadt Jerusalem aufgebaut ist, nämlich auf den zwölf Steinen bzw. Namen der Apostel. Sie hat in jede Himmelsrichtung drei Tore. Es ist eine offene Stadt und sie bietet zugleich Schutz. Erwähnt wird auch eigens, dass er in ihr keinen Tempel sieht (Offb 21,22). Der Tempel galt als der Ort der Gegenwart Gottes. Er fehlt. D.h. im neuen Jerusalem, in der neuen Stadt Gottes ist die Gegenwart Gottes nicht an ein Haus – Tempel – gebunden, sondern sie zeigt sich in der Herrlichkeit Gottes, in dem was Gott wirkt, in dem was der gelebten Liebe entspringt.
Seht, ich mache alles neu. Es ist die Stimme, die vom Thron her kommt. Diese laute Stimme – ertönt sie nicht auch heute? Durch die Aufarbeitung des Missbrauches, mag manches erst in den Anfängen stecken, wird die Kirche eine andere Gestalt gewinnen, vermutlich bescheidener und ärmer, aber dafür glaubwürdiger und ehrlicher, so dürfen wir doch hoffen. Es ist davon auszugehen, dass die Priester in ihrer tragenden und bestimmenden Rolle nicht mehr sein werden ähnlich dem damals fehlenden Tempel. Gott wird trotzdem in unserer Mitte wohnen und wir werden sein Volk sein.
Lasst es euch laut sagen: ER ist da mit seiner Zuwendung – das lasst uns feiern, loben und bedanken. ER ist da im Wort, im Beten, im glaubenden Zusammensein und Gottesdienst feiern. ER ist da, wo Tränen aus den Augen abgewischt werden, wo die Klagen verstummenund die Mühsal schwindet.
Es ist Gott, der alles neu macht. Es könnte sein, dass es völlig unseren Vorstellungen zuwider läuft und dennoch gerade das Werk Gottes ist. Peter Handke hat in seinem Buch „Versuch über den geglückten Tag“ eine Bitte formuliert: Du, fang mich neu an! Vielleicht dürfen wir es so verstehen: Du, fang mich neu an zu leben. Oder: Du, fang an die Kirche neu zu leben.