Freund des Lebens 1. Lesung: Weish 11,22-12,2| 2. Lesung: 2 Thess 1,11-2,2| Evangelium: Lk 19,1-10
Die erste Lesung ist dem Buch der Weisheit entnommen. „Weisheit Salomos“ ist der vorangestellte oder am Schluss angefügte Titel dieses Buches in den griechischen Handschriften. Bereits in der frühen Kirche waren Hieronymus und Augustinus überzeugt, dass es sich beim Verfasser nicht um den geschichtlichen König Salomon handelt. So nennen es die lateinischen Übersetzungen das „Buch der Weisheit“.
Das Buch ist eines der spätesten Schriften des Ersten Testamentes. Es dürfte knapp vor, vielleicht sogar teilweise nach der Zeitenwende in Alexandrien in Ägypten entstanden sein. Die Adressaten nach dem Buch selbst sind die Richter, Könige und Weltenherrscher. Doch jene, die in erster Linie angesprochen sein sollen, sind die vielfach griechisch sprechenden Juden in Alexandrien, die die Tora kennen und die zugleich mit der populären Philosophie – der Stoa – konfrontiert sind; mit den hochgeschätzten Werten, wie: Gerechtigkeit, Weisheit, Bildung, Freimut, Recht, Tugend und Freundschaft.
Adressaten sind Richter, Könige und Weltenherrscher und dennoch richtet sich die Schrift an die „einfachen“ Glaubenden. Die biblische Weisheit weiß darum, dass jeder Mensch richtet, dass jeder Mensch Macht hat und „regiert“ beziehungsweise, dass jeder mit seinem Verhalten den Lauf der Geschichte mitprägen kann und über Heil und Unheil in der Welt mitentscheidet. Die Bibel schreibt jedem Menschen königliches, priesterliches und prophetisches Wirken zu.
Das Gedankengut der Stoa übte eine große Anziehungskraft aus. Sie prägte das Denken der Menschen und wurde von den Juden als große Konkurrenz zu ihrem Glauben erlebt. Heute würde man es als Zeitgeist oder Liberalismus bezeichnen. Die Philosophie wird zur Ersatzreligion. Die Fragen: Wie geht der Weisheitslehrer damit um? Welche Antworten können wir erkennen?
Zunächst hält die Weisheit fest, wie begrenzt jedes menschliche Denken, Verstehen und Tun im Angesicht des Schöpfers ist. Die ganze Welt wiegt in der Waage des Schöpfers nicht mehr als ein Stäubchen. Mit anderen Worten: Das menschliche Begreifen bleibt begrenzt. Selbst mit der umfassendsten philosophischen Bildung können wir den Schöpfer nicht ausloten. Dem Menschen bleibt oft nur das Staunen. Noch mehr: Der Mensch lebt, weil er von Gottes Erbarmen umfangen ist und er über die Sünde – das Lebenszerstörende – hinwegsieht.
Zugleich erleben wir, dass die Weisheit sich gegenüber den Werten der Stoa sehr differenziert verhält. Wir finden keine Klage über einen (vermeintlichen) Glaubensabfall oder- verlust. Wir finden kein Jammern über schlechter werdende Zeiten oder Aussagen, dass es mit allem bergab gehe. Im Gegenteil, es zeigt sich große Wertschätzung gegenüber dem, was ist. Es finden sich sogar gemeinsame Werte. Du – Gott – liebst alles was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen (Weish 11,24).
Die Juden in Alexandrien erlebten die Stoa als Herausforderung, vielleicht ähnlich den Herausforderungen, wie sie uns heute begegnen: für manche ist es der Islam, für andere die Globalisierung, für wieder andere die Digitalisierung und die neuen Kommunikationsmöglichkeiten. Noch mehr ließe sich aufzählen. Wie deuten wir als Glaubende diese Herausforderungen? Der Weisheitslehrer hält nochmals fest: Hättest du – Gott – etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen. Und weiter: Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben? … Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens. Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist.
Der Weisheitslehrer bekämpft weder die Stoa, noch macht er ihre Träger bzw. Vertreter schlecht. Wir dürfen vielmehr seinen Respekt gegenüber der „modernen“ Entwicklung erkennen. Für ihn zeigt sich darin etwas vom Willen Gottes, etwas vom unvergänglichen Geist Gottes. Es ist Gottes Eigentum, das heisst es steht niemandem zu das Bestehende vernichten zu wollen.
Es ist ein besonderer Zugang, den uns der Weisheitslehrer mitgibt, nämlich hinter den verschiedenen Herausforderungen der Gegenwart den Freund des Lebens zu sehen, den verschiedenen Erscheinungen und Strömungen mit Achtung und Respekt zu begegnen, sogar darin jeweils seinen Willen zu erkennen. In einem solchen Zugang kommt der Glaube an den Schöpfer(gott) zum Tragen.
Die Amazonassynode versuchte wohl in diesem Geist der Weisheit die Herausforderungen ihrer Region zu beraten und darauf zu reagieren: das Thema der Ökologie, die allerdings für die ganze Welt von Bedeutung ist, den Schutz der indigenen Bevölkerung und die Amtsfrage in der Kirche vor Ort.
Die biblische Weisheit hält allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen der Stoa und dem biblischen Glauben fest: Die Stoa neigt zu einem fatalistischen Denken. Der Natur wohne ein Gesetz inne, das der Mensch praktisch nicht wirklich zu steuern vermag. Er ist mehr oder weniger dem Schicksal ausgeliefert. Die Weisheit dagegen weiß um einen Raum, den der Mensch gestalten kann, in dem er frei handeln und vor allem auch umkehren kann.
Jedes Tun des Menschen hat seine Wirkung, sowohl im positiven wie im negativen. Eine dieser spürbaren Wirkungen ist die Klimaveränderung, die der Erderwärmung. Es wäre stoisch, würden wir sagen, da können wir nichts (mehr) machen. Es ist halt so. Es ist uns ein Raum gegeben, der uns handeln lässt. Ja die Weisheit sagt, wir tragen Verantwortung, den uns geschenkten Raum des Handelns zu nutzen. Dazu nochmals ein Wort der Weisheit: Du – Gott – mahnst und erinnerst die Menschen an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben (Weish 12,2).
Gott als Freund des Lebens. Zachäus erlebt es in der Begegnung mit Jesus.