Für einen Dummen gibt es keine Hoffnung? – Das Buch der Sprichwörter Ausgelegt von Ursula Rapp
Spruchweisheiten haben Hochkonjunktur. In Buchhandlungen, Papierwarenhandlungen, in jedem Zeitungsladen und erst recht im Internet finden wir unzählige „weise“ Sprüche. Sie reichen von fernöstlich anmutenden wie „There is no way to happiness, hapiness is the way“ („Da ist kein Weg zum Glück, Glück ist der Weg“) zu alten christlichen wie „Liebe, und tue, was du willst!“. Von allen Seiten hören und lesen wir, wie das Leben geht, wie Glück funktionieren soll und wir unsere Tage verlängern.
Auch die Bibel kennt Sprüche über das Leben, die Weisheit und die Dummheit. Besonders das Buch der Sprichwörter ist eine – oft scheinbar wahllose – Aneinanderreihung solcher Weisheiten in unterschiedlicher Länge. Diese Sprüche sind voller Weisheit. Es ist nicht abgehobene Lebenserfahrung, sondern Alltagseinsicht und wirkt vielleicht deshalb manchmal so selbstverständlich. Die Worte scheinen nicht hängen zu bleiben, sondern davonzugleiten ins Belanglose und ins Vergessen. Wenn wir den biblischen Text als heilig ernst nehmen wollen, verlangt er uns aber eine innere spirituelle und intellektuelle Arbeit gegen das Davonfließen der Worte ab. Dabei kann es hilfreich sein zu überlegen, was wir denn selbst unter „Torheit/Dummheit“ und „Weisheit“ verstehen.
In unserer gegenwärtigen menschlichen und politischen Situation in Europa fällt mir immer wieder Dietrich Bonhoeffer ein, der evangelische Theologe, der wegen seines Widerstandes gegen das Nazi-Regime inhaftiert und hingerichtet wurde. In einem seiner Briefe aus dem Gefängnis schreibt er: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als das Böse.“ Er meint damit die gefährliche Dummheit des verblendeten, selbstgerechten Volkes. Er bezieht sich darauf, dass den Menschen zu all ihrer Rationalität und Überlegtheit, zu all ihren scheinbar stimmigen Argumenten, von denen sie sich selbstbestätigend blenden lassen, die Herzensbildung fehlt. Der weise König Salomo bittet deshalb auf Gottes Frage, was er sich wünsche: „So gebe deinem Untergebenen doch ein hörendes Herz, um in deinem Volk Recht zu sprechen und zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.“ (1 Kön 3,9). Aber was ist das hörende Herz und diese Unterscheidung? Wie finden wir sie je heraus? Die Sprüche warnen vor zu schnellen Eindeutigkeiten:
„Die Kopflosen finden ihr Verhalten richtig; / wer auf Rat hört, ist weise. / Verärgerung offen zu zeigen, ist dumm; / wer klug ist, hält eine Demütigung verborgen. / Wer Wahrheit sich entfalten lässt, gibt Gerechtigkeit weiter; / wer Lügen bestätigt, bringt Verrat. / Das Geschwätz mancher Menschen sticht wie ein Schwert; / die Zunge von Weisen bringt Heilung.“ (Spr 12,15–19)
Diese Zeilen sind wohl mehrmals zu lesen: „Dumm“ ist, wer Verärgerung zeigt, statt eine Demütigung verborgen zu halten. Natürlich kann darin gelesen werden, dass man sozusagen die „Fassade“ bewahrt und nicht zeigt, dass man verletzt und gedemütigt wurde. Demütigung kann viel sein. Der Vers davor spricht davon, auf Rat zu hören. Wiederum: Rat muss nicht hilfreich sein. Aber doch sprechen beide Verse auch davon, sich verunsichern und in Frage stellen zu lassen, statt loszupoltern mit Rechthabereien und Selbstbestätigungen. Es kann auch weise sein, die Demütigung wahrzunehmen und zu versuchen, sie als Weisung für den eigenen Weg zu verstehen. Dann aber muss man vielleicht schweigen. Dummheit ist dann Festgefahrenheit, Angst vor Verunsicherung und Veränderung. Der nächste Vers (v18) benennt das auch: Demütigung kann weh tun, aber wenn sie sich als weise entpuppt, ist sie heilsam.
Die Texte sagen uns zwar, was Weisheit und Dummheit jeweils ist, aber oft stellen sie uns damit eigentlich die Frage danach. Weisheit und Dummheit sind nicht eindeutig. Spr 26,12 spricht das offen aus: „Siehst du eine Person, die sich selbst für weise hält – für einen dummen Menschen gibt es mehr Hoffnung als für sie!“
So ist es vielleicht besser, sich nicht zu den weisen Menschen zu zählen.
Ursula Rapp
Bibelwissenschaftlerin, Professorin an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule – Edith Stein
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 4/18 publiziert worden.