Gelebte Alternative 1.Lesung: Apg 6,8-10;7,54-60| Evangelium: Mt 10,17-22
In der Gemeinde in Jerusalem gab es ein großes Problem, eine große Ungerechtigkeit. Die Apostel waren so sehr mit der Verkündigung beschäftigt, so dass sie die Not der Witwen mit ihren Kindern übersahen, vor allem der zugewanderten Witwen – Migrantinnen. Um dieses Problem zu beseitigen, ließen die Apostel Männer vorschlagen, die den Dienst an den Witwen übernehmen sollen. Die Apostel schufen ein neues Amt – Diakone genannt. Sie wurden von den Aposteln mit Handauflegung zu diesem Dienst bestellt. Stephanus war einer davon. Er war zugleich Leiter der Gruppe und erlaubte sich, den Tempel mit der Priesterschaft zu kritisieren, die der Not verarmter Menschen wenig Aufmerksamkeit schenkte. Stephanus machte sich zum Sprachrohr.
Wir kennen den Preis, den Stephanus zu zahlen hatte. Er wurde gesteinigt, ermordet, mundtot gemacht. Wir feiern jedes Jahr das Gedenken an Stephanus in Verbindung mit Weihnachten. Jesus Christus ist eine „Alternative“ – dem Wort entsprechend – eine Geburt aus dem Anderen, aus der Welt Gottes. Und Menschen, die seinen Weg gehen, leben ebenso eine Alternative – eben wie Stephanus.
In meinen Augen hat dieses Fest des Heiligen Stephanus neu an Aktualität gewonnen. Zunächst einmal der Hinweis auf Dinge, die Stephanus mit Jesus teilt:
Das Lebensende des Stephanus gleicht dem Tod Jesu. Sie erleben eine Menge von Menschen, die sich von einer Stimmungsmache treiben lässt, die schreit und sich die Ohren zuhält.
Beide – Jesus und Stephanus – erhalten kein faires Gerichtsverfahren. Die Wahrheit und ihre Würde werden mit Füßen getreten.
Beide verzichten auf Gewalt. Jesus wehrt sich und stellt die Frage: Warum schlägst du mich? (vgl. Joh 18,23). Sie sind in der Situation völlig ohnmächtig, wehren sich ohne selbst Gewalt anzuwenden.
Beide beten für die Mörder und bleiben bis zum Schluss versöhnungsbereit. Die Apostelgeschichte schildert uns Stephanus, der sich schlicht am Weg Jesu orientiert.
Beide teilen schließlich den Glauben an den Gott Israels. Sie bauen darauf, dass ER jene nicht im Stich lässt, die auf ihn vertrauen. Stephanus sieht mehr und weiter als die ihn Umgebenden, nämlich den offenen Himmel. Er sieht in eine andere Welt und lebt auf diese Welt hin.
Die Kirche stellt heute den Märtyrer Stephanus in die Mitte der Feier. Er hat mit seinem Lebenszeugnis den gedeutet, dessen Geburt wir gestern gefeiert haben. Ohne die Geburt Jesu hätten wir keinen Feiertag Heiliger Stephanus.
Stephanus hatte ein Auge für die soziale Not. Es braucht auch heute solche Augen. Wir wissen, dass die öffentliche Hand praktisch allen Sozialeinrichtungen die finanziellen Mittel gekürzt hat. Wir spüren auch in der Pfarre, dass die Zahl jener Menschen zunimmt, die es finanziell eng haben. Stephanus steht für gelebte Solidarität.
Die gelebte Alternative des Stephanus lädt ferner zu einem neuen Nachdenken darüber ein, wie ich mich zu dieser Welt stelle, eine Welt, in der sich die Machtverhältnisse verschieben und die im Begriff ist, neu in ein Wettrüsten einzusteigen, eine Welt, die sich der Klimakrise zu stellen hat? Die Themen betreffen das Jahr 2025, bald einmal 2026. Ich will damit sagen, das alte Antworten nicht reichen. Die Diskussion über diese Themen dürfen wir nicht den Extremisten überlassen, schon gar nicht extrem religiösen Gruppierungen, die laut schreien und die Ohren zuhalten. Stephanus ist diesbezüglich ein Warner. Er ist ein Opfer von ihnen.
Es kann sein, dass wir schwierige Zeiten vor uns haben. Ich denke, dass wir das heute ebenso mitnehmen können, nämlich, dass Stephanus in seinem schwierigsten Moment des Lebens den Himmel über ihm offen sah.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.