Gott und Mensch zugleich Kurzfassung einer Christologie von Walter Kirchschläger
Um es vorwegzunehmen: Diese Glaubensformel über Jesus Christus steht nicht in der Bibel. Sie ist eine Zusammenfassung dessen, was das Konzil von Nizäa (325 n. Chr.) als Grundlage für das Taufbekenntnis erarbeitet hat und was sodann auf dem Ersten Konzil von Konstantinopel (381 n. Chr.) in modifizierter Form beschlossen wurde. Im „nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis“, in der Sonn- und Feiertagsliturgie als „Großes“ Credo gebetet, sind weiterführende Aussagen enthalten. In den Gebets- und Gesangbüchern (Schott, Gotteslob 586,2 oder Kirchengesangbuch 245) kann dieses Bekenntnis zur begleitenden Lektüre nachgeschlagen werden.
Die Väter dieser Konzilien waren bemüht, das Bekenntnis vom biblischen Befund über Jesus Christus herzuleiten. Die im Titel zitierte Formel will also in einem Merksatz die Quintessenz der neutestamentlichen Verkündigung über den Herrn Jesus Christus zusammenfassen. Dabei stehen zwei grundlegende Aussagen im Vordergrund:
Gott von Gott
Jesus Christus ist der Sohn Gottes. Diese Verhältnisbestimmung zu Gott, dem Vater, hebt die intensive Beziehung hervor, in der Jesus Christus zu Gott steht. Die Taufe Jesu kommt ins Bewusstsein, in der dieses Gottesverhältnis in einer persönlichen Familiensprache offengelegt wird (vgl. Mk 1,9–11 par.). Der Schluss ist naheliegend, dass der Sohn nach der Art dieses seines Vaters ist: „Gott von Gott“ also und „wahrer Gott von wahrem Gott“ (Credo), oder eben „Gott gleich“ (Phil 2,6). Das biblische Zeugnis versteht dies sowohl abstammungsmäßig (vgl. Mt 1–2; Lk 1–2) als auch als Umschreibung für die einzigartige Gottesbeziehung Jesu, wie sie in der Bezeichnung „Sohn Gottes“ zum Ausdruck kommt (so des Öfteren bei Paulus und bes. Mk 1,1). Der vierte Evangelist scheint beide Sichtweisen auf seine Weise zu verbinden und zu intensivieren (so bes. Joh 1,1–18; 10,30; 17,20–23).
Die vier Evangelien lassen in ihrer Darstellung des Wirkens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi mehrfach diese seine Gottesdimension durchscheinen. Da begegnet eine Persönlichkeit, die zwar als Kind ihrer Zeit verstanden werden kann, aber diese in oft unverständlicher Weise und Dimension überragt. Dies gilt für die Vollmachtstaten Jesu, auch als Zeichen für seine Identität gedeutet, oder für die Erzählung von Vorgängen, für die uns jede Erklärung fehlt: So z. B. eine Berufungsepisode (Joh 1,47–48), die Offenbarung Jesu Christi auf dem Wasser (Mk 6,45–52 par.), die Selbstoffenbarungsrede Jesu im Anschluss an das Bildwort vom guten Hirten (Joh 10,17–18), die Abschnitte über die Offenbarung der Auferstehungsbotschaft und über eine Begegnung mit dem Auferstandenen in den Schlusskapiteln der Evangelien. Entscheidend für die Bedeutung dieser und anderer Textabschnitte ist nicht die allfällige Klärung der historischen Frage, sondern die Tatsache, dass solche Überlieferungen den Zugang zur Person Jesus Christus seitens der Evangelien, also der frühen Kirche, erschließen und damit deren Glauben bezeugen.
… und ist Mensch geworden
Paulus eröffnet den Hymnus über Jesus Christus, den er gegenüber der Kirche von Philippi zitiert, mit einem entsprechenden Bekenntnis: „Er war Gott gleich“ (Phil 2,6). Aber dabei belässt er es nicht. Sein Christusverständnis hat noch eine zweite Seite: „Er entäußerte sich, wurde […] den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen“ (Phil 2,7). Jesus von Nazaret hat sich als Mensch eingefügt in sein kulturelles und religiöses Umfeld. „Er hat wie wir als Mensch gelebt“ bekennen wir im Vierten Hochgebet, freilich mit einer Einschränkung: „in allem uns gleich außer der Sünde“. Die Bibel erzählt in verschiedener Weise von diesem Menschsein Jesu, angefangen von seiner menschlichen Geburt (siehe Gal 4,4: „Geboren von einer Frau“) in Bescheidenheit (vgl. Lk 2,7) bis hin zu seiner (Mit-)Menschlichkeit, die in seinem Wirken erkennbar ist: z. B. sein Mitleid (Mk 6,34; Lk 7,13), seine Todesfurcht (Mk 13,33–34 par.), seine Mitfreude (Joh 2,1–12), sein Gottvertrauen im Gebet (Mk 1,34, Lk 6,12), aber auch sein verärgerter Zorn (Mk 11,12–14.27–33) usw. Der vierte Evangelist bringt es auf den Punkt: „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Die Menschen in der Nachfolgegemeinschaft Jesu erleben eine spannungsvolle Wirklichkeit: „Nähe und Distanz“ – so könnte frau oder man sagen. Zugleich sind sie Zeugen für eine Gottheit, die sich ins Menschliche hinein klein macht und sich dabei in der eigenen Überfülle zurücknimmt, die bereit ist zum Dienen und zum Dasein für andere, dabei konsequent solidarisch mit den Menschen, Tod mit eingeschlossen.
Eine Zusammenschau?
Was sich da im Christusgeschehen ereignet, was da von unserem Gott zugänglich wird, ist keine leicht verständliche Wirklichkeit. Es brauchte mehrere Konzilien bis ins 5. Jh., um das widersprüchlich und gegenläufig Erscheinende in Merkformeln zusammen zu führen: zwei Naturen und zugleich ein Wesen, zwar eine einzige, aber dreifaltige Gottheit, in der Dynamik der göttlichen Geistkraft entfaltet in drei Personen und gerade darin offen, Menschen in diese Lebensgemeinschaft „einzuladen und aufzunehmen“ (Offenbarungsdokument des Konzils, Art. 2).
Wer meint, da ohne Staunen auszukommen, geht am Geheimnischarakter dieser Gotteswirklichkeit vorbei. Das wäre auch deshalb beklagenswert, weil der wahre Gott und Mensch Jesus Christus uns die Überzeugung vermittelt hat, dass wir selbst mitten drin stehen, um „teilhaftig zu werden an seiner göttlichen Natur“ (ebenda).
Das ist nicht zu verstehen, das können wir nur erahnen und für uns betend, meditierend, staunend … vertiefen.
Walter Kirchschläger, Em. Professor für Neues Testament, Luzern
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 3/19 publiziert worden.