Wahre Liebe ist zweckfrei 1. Lesung: Gen 18,20-32| 2. Lesung: Kol 2,12-14| Evangelium: Lk 11,1-13
Abraham ist ein Urvater des Glaubens, beziehungsweise Urvater des Glaubens für die Juden, Christen und Muslime. Auf die Lesung, die von ihm erzählt, will ich eingehen. Es kommen dabei besondere Haltungen zum Tragen:
Es war für Abraham eine Herausforderung als es zur Trennung zwischen ihm und seinem Begleiter und Neffen Lot kam. Er ließ Lot frei wählen: Gehst du rechts, gehe ich links. Gehst du links, gehe ich rechts. Er, der junge von Kraft strotzende, entschied sich für die fruchtbare Ebene und überließ Abraham, dem alten Onkel zum Leben mit seinen Schaf- und Ziegenherden das karge Gebirge (Gen 13). Abraham kam nach Mamre, so heißt es. Es war ein Zustand zwischen dem Vertrauen in seine Lebenskraft und Enttäuschung, beziehungsweise dem sich Verlieren in die Verbitterung.
Es dauerte nicht lange, da musste Abraham unter dem Risiko seines Lebens Lot zu Hilfe eilen, um ihn frei zu kämpfen. Der Nachbarkönig hatte ihn Gefangen genommen (Gen 14). Es gibt bei Abraham keine Anzeichen von Rache oder von Gedanken, hilf dir jetzt doch selbst. Vielleicht erinnert sich Abraham an den Auftrag, er soll ein Segen sein. Dazu ist er von Haran aufgebrochen.
Und nun stand noch größere Unbill bevor. Die Vernichtung jener Gegend, in der Lot wohnte und damit das Leben Lots. Gott sagt zu Abraham: Das Klagegeschrei über Sodom und Gomorra ist angeschwollen ob ihres verderblichen Tuns. Es wird im folgenden Kapitel beschrieben, dass in der Gegend Lots der Respekt und die Achtung der Würde der Menschen verloren gegangen war und das hochgeachtete Gastrecht mit Füßen getreten wurde (Gen 19,1-14).
Abraham tritt als Fürsprecher auf. Er will das Leben Lots retten. Die Bibel erzählt nichts über den Gemütszustand Abrahams, hätte er doch ausreichend Grund gehabt, Lot seinem Schicksal zu überlassen. Es beeindruckt in zweierlei Hinsicht: Erstens seine Argumentationsweise Gott gegenüber und in seinem Eintreten für Lot geht er an die Grenze des Peinlichen.
Er argumentiert, dass er doch die Gerechten nicht mit den Ungerechten töten kann. Es wird hier ein Thema angeschnitten, das Menschen seit jeher beschäftigt. Wo ist die Gerechtigkeit Gottes, wenn er die Gerechten, die „Gläubigen“, die „Frommen“ dem gleichen Schicksal wie die Ungerechten überlässt? Bei Katastrophen und bei Krankheiten scheint Gott keine Unterschiede zu machen, es trifft Menschen quer durch alle Schichten und Gruppen, ob gut oder böse, ob gerecht oder frevlerisch.
Es sei gleich gesagt, wir finden hier keine letzte Antwort und dennoch scheinen wichtige Grundlinien durch. Im Verhandeln Abrahams wird deutlich, dass das Engagement und das Wirken der Gerechten – und mögen es wenige sein – viele rettet. Wenn es zehn sind, werde ich die Stadt nicht vernichten. Wenige können viel bewegen und bewirken. Das sei Gemeinden und Gemeinschaften gesagt, die das Gefühl haben, wir sind nur (noch) wenige.
Ferner erweckt es den Eindruck, dass Abraham vergeblich verhandelt hat. Der Fremde – beziehungsweise Gott – verlässt den Ort des Verhandelns zunächst einmal ergebnislos – so scheint es – und dennoch wird im Weiteren erzählt, dass bei Lot Engel erscheinen, die ihm zur schnellen Flucht vor der Katastrophe drängen. Die Bibel schildert uns in diesem Gespräch einen „Raum“, den wir nicht fassen können. Es lässt sich nicht messen, ob Abraham mit seinem Verhandeln, mit seiner Fürbitte „erfolgreich“ war oder nicht. Sein fürbittendes Eintreten schien vergeblich gewesen zu sein oder vielleicht doch nicht? Die Sinnhaftigkeit von Gebet und Fürbitte für andere ist nicht ermessbar und kennt vor allem keine Automatik: Ich bete oder bitte und dann hat es zu geschehen. Das Gebet für andere hat Sinn, aber die Art und Weise wie Gott damit umgeht, liegt außerhalb unseres Fassens. ER ist und bleibt frei. Und dennoch bleibt die Ahnung, ja die Gewissheit, dass es nicht umsonst sein wird. Lot wurde gerettet.
Ein Zweites wird deutlich: Abraham geht an die Grenze des Peinlichen. Er hatte mit der Zahl fünfzig begonnen und ist bei zehn gelandet. Wie hat er doch die Lage völlig falsch eingeschätzt? Er riskiert seinen Ruf, um jemanden – sprich: Lot – zu retten. Auch hier sei nochmals erwähnt: Er tut es für jemanden, der ihn benachteiligte und zunächst einmal schwer an den eigenen Vorteil dachte.
Die Erzählung führt uns ferner vor Augen, dass wir mit den Einschätzungen vorsichtig umgehen sollten. Abraham schien gegenüber Lot den Kürzeren gezogen zu haben. Doch Abraham stellte sich der Herausforderung, er setzte auf seine Lebenskraft und die weitere Geschichte erzählt ihm, dass der vermeintliche Nachteil ihm zum Segen wurde. Das fruchtbare Land, das Lot wählte, wurde zur Wüste und Lot zum Flüchtling.
Es waren nicht einmal mehr zehn Gerechte. Es gibt die jüdische Tradition, dass zehn Männer notwendig sind, damit ein Gottesdienst beginnen und gefeiert werden kann. Mit anderen Worten: In der Gegend Lots gibt es keinen Gottesdienst, kein Ehren, Preisen und Verherrlichen Gottes. Wir werden an Weihnachten erinnert, an den Gesang der Engel: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden“ (Lk 2,14). Gott ehren schenkt Frieden den Menschen auf Erden.
Wir wissen, wahre Liebe ist zweckfrei. Liebe, die einen bestimmten Zweck verfolgt, ist keine wahre Liebe. Für das Gebet gilt dasselbe. Die Lesungen dieses Sonntags versuchen es zu beschreiben. Der Glaube lebt vom zweckfreien Gebet. Das fürbittende, zweckfreie Gebet wirkt, ohne dass wir das Wie kennen.