In Deinem Licht schauen wir das Licht Erläuterungen zu Ps 36,10 von Ludger Schwienhorst-Schönberger
Licht ist eine der bedeutendsten Metaphern innerhalb der Bibel. Sie kann als Schlüsselmetapher bezeichnet werden, als eine Metapher, mit deren Hilfe sich der in der Bibel bezeugte Glaube erschließt. Jedem, der mit der Heiligen Schrift auch nur ein wenig vertraut ist, dürfte eine Reihe von Worten einfallen, in deren Zentrum die Symbolik des Lichtes steht. Als erstes von allen Werken der Schöpfung erschuf Gott das Licht: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht“ (Gen 1,4). Das Wort Gottes ist für den Frommen „ein Leuchte, ein Licht für meine Pfade“ (Ps 119,105). Gott selbst ist für den Beter Licht und Heil: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil: Vor wem sollte ich mich fürchten“ (Ps 27,1). Das von Gott erwählte Volk soll Licht für die Völker der ganzen Welt werden: „Ich mache dich zum Licht der Völker, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht“ (Jes 49,6). In der Bergpredigt spricht Jesus seinen Jüngern (Mt 5,1) zu: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,14). Im Johannesevangelium bezeichnet sich Jesus selbst als das „Licht der Welt“ (Joh 8,12). Dieses „wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“, ist mit Jesus in die Welt gekommen (Joh 1,9). Vor ihrer Bekehrung waren die an Christus Glaubenden (in der) Finsternis, jetzt aber sind sie „Licht im Herrn“. Der Apostel fordert sie auf: „Lebt als Kinder des Lichts!“ (Eph 5,8).
Um die Bedeutung der biblischen Lichtmetaphorik zu verstehen, reicht es nicht, die beeindruckende Fülle an Belegen einfach nebeneinander zu stellen. Es kommt darauf an, sie zu verstehen. Das wiederum ist nur möglich, wenn wir selbst nicht in Finsternis wandeln, sondern im Licht. Denn wie sonst sollten wir erkennen? Wir müssen also – zumindest anfänglich – zu Sehenden geworden sein, um die Licht-Worte der Heiligen Schrift zu verstehen.
Im Glauben geht einem Menschen ein Licht auf. Der Glaube selbst ist eine solche Erleuchtung. Wenn der Glaube keine Erleuchtung ist, wenn er kein Licht in unser Leben bringt, dann kann im biblischen Sinn nicht vom Glauben im eigentlichen Sinn gesprochen werden. Natürlich ist es möglich, dass sich ein Mensch ein religiöses Symbolsystem aneignet. Man kann sich den christlichen Glauben als Wissen aneignen. In einer christlich geprägten Kultur findet ein Mensch gewöhnlich auf diese Weise in den Glauben. Wir sprechen vom Glaubenswissen. Der Glaube ist dann Teil einer Kultur. Man kann ihn lernen, so wie man andere Kulturtechniken, wie eine Sprache oder eine Wissenschaft (Medizin, Mathematik) lernt. Doch würden wir diejenigen, die diese Wissenschaften und Kulturtechniken beherrschen, nicht eo ipso als erleuchtet bezeichnen. Ein großer Mathematiker und ein exzellenter Sprachwissenschaftler können im biblischen Sinne durchaus in der Finsternis wandeln. Kein Geringerer als Augustinus kann ein Lied davon singen. Er war gebildet und von Beruf Rhetorikprofessor. Doch erst nach einer langen Suche mit vielen Irrwegen ging ihm ein Licht auf. Was geschah da? Im siebten Buch seiner Bekenntnisse erzählt er davon: „Ich betrat, von Dir [Gott] geführt, mein Innerstes … Ich trat ein und schaute mit dem Auge meiner Seele … das unwandelbare Licht (lucem incommutabilem), nicht dieses allen gemeine, sichtbar allem Fleische, nein, nicht so war es, sondern etwas anderes, weit anderes als alles sonst … Wer die Wahrheit kennt, kennt es.“ Nach dieser Erfahrung nimmt sein Leben eine völlig neue Ausrichtung.
Wir können davon ausgehen, dass die biblische Lichtsymbolik aus ähnlichen Erfahrungen heraus geboren wurde. Sie greift dabei auf eine alltägliche Erkenntnis zurück, darf aber nicht mit ihr verwechselt werden. Ohne natürliche Lichtquellen könnten wir nicht leben. In völliger Dunkelheit würden wir vom Weg abkommen und ein angestrebtes Ziel nicht erreichen. Wir wären verloren. Von Dunkelheit umfangen ist aber auch das menschliche Leben an sich: Wir kommen aus der Dunkelheit des Mutterschoßes (Ijob 3,16) und gehen in die Dunkelheit des Todes, steigen hinab zur Schar unserer „Väter, die das Licht nicht mehr erblicken“ (Ps 49,20). Unser Leben ist von Dunkelheit durchzogen. Gewöhnlich wird das verdrängt, aber vollständig kann die Verdrängung nicht gelingen. In der Gestalt vielfältiger Nöte und Bedrängnisse dringt Dunkelheit in unser Leben ein. Sie verwirrt uns und macht uns orientierungslos. Vor allem die Klagepsalmen bezeugen diese Erfahrung in vielfältiger Weise. Die Mächte des Todes melden sich zu Wort. Im Angesicht des Todes bittet der Beter um Erleuchtung: „Blick doch her, gib mir Antwort, Herr, mein Gott, erleuchte meine Augen, damit ich nicht im Tod entschlafe“ (Ps 13,4). Der Beter hält Ausschau nach einem rettenden Licht. Er spürt, dass nur ein solches göttliches Licht ihn aus einer letzten Not retten kann: „Gott, stelle uns wieder her! Lass dein Angesicht leuchten und wir sind gerettet“ (Ps 80,4).
Bereits das Alte Testament bezeugt auf vielfältige Weise, dass Menschen von einem göttlichen Licht erleuchtet wurden. Diese Erleuchtung wurde verstanden als eine Rettung aus dem Tod. Deshalb werden Licht und Leben oft in eins gesetzt. Das bedeutet nun allerdings nicht, dass damit die Dunkelheit im menschlichen Leben und in der Welt vollständig verschwindet. Das wäre ein schweres Missverständnis. Es bedeutet, dass in der Dunkelheit ein Licht aufgeht. Entsprechend hat Gott am ersten Schöpfungstag die Finsternis nicht beseitigt, sondern auf die Zeit der Nacht eingegrenzt.
Das Neue Testament bezeugt, dass ein Licht in die Welt gekommen ist, das ohne jede Beimischung von Finsternis das göttliche Licht selbst vergegenwärtigt. Dieser Mensch ist Jesus Christus, das Fleisch gewordene Wort Gottes. Er ist „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“. In diesem Menschen „war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,4f). So kann Paulus, der in der Finsternis seines Lebens dieses Licht erkannt hat (vgl. Apg 9,3), sagen: „Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet zur Erleuchtung der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Antlitz Christi“ (2 Kor 4,6).
Ludger Schwienhorst-Schönberger, Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft, Universität Wien
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 1/20 publiziert worden.