Jesus sehen wollen 1. Lesung: Weish 11,222-12,2| 2. Lesung: 2 Thess 1-11-2,2| Evangelium: Lk 19,1-10
Jesus ist auf den Weg nach Jerusalem. Lukas schildert uns, als Jesus in die Nähe Jerichos kommt, begegnet ihm ein blinder Bettler, der nach ihm schreit. Bei Lukas ist dieser Bettler namenlos. Als Jesus fragt: Was er ihm tun soll? Gibt der Blinde zur Antwort: Herr, ich möchte sehen können. Jesus sagt dann zu ihm: Sei sehend! Und er heilte ihn.
Ein blinder Bettler. Vermutlich ist es die Armut, die ihn blind macht. Er kann die Welt und sich nicht verstehen. Er kann an der Welt, an den Menschen, an seinem Dasein nichts Gutes mehr sehen. Es ist pure Verzweiflung, wenn man nicht weiß, gibt es eine nächste Mahlzeit oder nicht? Kann ich meine Angehörigen ernähren oder nicht? Armut kann Menschen perspektivlos, blind machen. Es fehlen klare Gedanken.
Jesus nimmt sich seiner an und sagt auf die Bitte des bettelnden Blinden hin: Werde sehend! Die Begegnung mit Jesus eröffnete dem Bettler wieder eine Lebensperspektive. Er sah wieder Möglichkeiten für ihn. Er geht auch mit Jesus anschließend mit. Er folgte Jesus nach, so heißt es. Und: Er pries Gott.
Jesus geht weiter und unmittelbar darauf erfolgt die Begegnung Jesu mit Zachäus. Auch Zachäus will sehend werden. Er ist als Oberzöllner reich geworden. Er verfügt über ein Vermögen. Er will Jesus sehen. Weil er klein von Gestalt ist, steigt er auf einen Maulbeerfeigenbaum. Vermutlich ist es kein Zufall, dass der Evangelist die Baumart angibt.
Mit dem Maulbeerfeigenbaum sind wir an den Propheten Amos erinnert. Er war ursprünglich Maulbeerfeigenbaumzüchter und Schafhirt. Er ist der erste Schriftprophet in Israel, der in scharfen Worten die sozialen Missstände seiner Zeit anprangert, der das Leben der Wohlstandsschicht auf Kosten der sozial Schwachen, das rücksichtslose Gewinnstreben in der Wirtschaft und die Rechtsbeugung kritisiert. Ferner kündigt er den Tag des Herrn an, an dem Gott auf neue Weise das Recht und die Gerechtigkeit aufrichten wird. Unter anderem lautet eines seiner Worte: Ich schicke den Hunger ins Land, nicht den Hunger nach Brot, nicht den Durst nach Wasser, sondern den Hunger nach dem Wort Gottes (Am 8,11).
Vielleicht dürfen wir dieses Steigen des Zachäus auf den Maulbeerfeigenbaum als die Auseinandersetzung mit dem Propheten Amos verstehen. Für ihn als reichen Mann gleicht es einem Klettern auf einen hohen Baum. Es stellt sein bisheriges Denken und Agieren in Frage. Zugleich ermöglicht ihm diese Beschäftigung mit Amos und seiner Kritik an den Unrechtszuständen den Blick auf Jesus und seine Botschaft.
Zachäus will Jesus sehen. Er will mehr sehen als er bisher gesehen hat. Im Tiefsten erhofft sich auch Zachäus eine Blindenheilung.
Es folgt in dieser Erzählung ein wichtiger Schnittpunkt, den Menschen immer wieder bedenken sollen oder – noch mehr – dürfen. Zachäus will Jesus sehen. Und er, der Jesus sehen will, wird von Jesus gesehen und angesprochen: Komm schnell herunter! Denn ich muss heut ein deinem Haus bleiben – bei dir zu Gast sein.
Wer Jesus sehen will, erfährt sein Entgegenkommen, seinen Besuch, sein Dasein, seine Zuwendung. Zachäus erlebt sich als gesehen und dies gibt ihm Ansehen. Es macht ihn innerlich unwahrscheinlich frei. Er, der bisher gerafft hat, beginnt zu teilen, arbeitet an der Gerechtigkeit, die die Menschen in Würde leben lässt. Er, der klein ist, zeigt menschliche Größe und gibt zurück, was er zu viel verlangt hat. Er wollte Jesus sehen und beginnt die Welt, sein Leben und die Mitmenschen in einem anderen Licht zu sehen.
Liebe Gläubige!
Heute würde man sagen: Zachäus war korrupt. Er verlangte zu viel und arbeitete in die eigene Tasche. Wir haben heute zum Glück Instrumente, Korruption zu bekämpfen. Solche gab es damals nicht. Die Erzählung von der Begegnung Jesu mit Zachäus hebt allerdings Elemente heraus, die auch in unseren Tagen hilfreich sein können:
Zunächst: Das Glauben lernen steht im engen Zusammenhang mit Einstehen für Recht, Gerechtigkeit und Menschenwürde. Es braucht ferner eine Fehlerkultur, die Menschen nicht vernichtet oder zerstört. Als Mensch gesehen werden – geachtet zu sein – ermöglicht dem Zachäus seine Vergehen einzugestehen und sie in großer, innerer Freiheit wieder gut zu machen.
Wir können ebenso davon ausgehen, dass die Begegnung des Zachäus mit dem blinden Bettler, der ja nun im Gefolge Jesu war, auf Zachäus wirkte. Wenn Betroffene sich begegnen werden Menschen verwandelt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch der Weisheit anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus
an die Gemeinde in Thessalónich anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten: