Leben einhauchen 1. Lesung: Apg 10,25-26.34-35.44-48| 2. Lesung: 1 Joh 4,7-10| Evangelium: Joh 15,9-17
„Der Mensch denkt und Gott lenkt.“ Diesen Satz wiederholte der Alttestamentler von Innsbruck, Prof. Dr. Arnold Gamper SJ beinahe in jeder Stunde seiner Vorlesungen. Es war für ihn eine der wichtigen Erkenntnisse im Lesen biblischer Erzählungen. Der Satz hat ebenso seine Gültigkeit, wenn wir den größeren Rahmen der Lesung aus der Apostelgeschichte betrachten.
Im 8. Kapitel wird unmittelbar nach der Steinigung des Stephanus erzählt: „An jenem Tag brach eine schwere Verfolgung über die Kirche in Jerusalem herein. Alle wurden in die Gegenden von Judäa und Samarien zerstreut, mit Ausnahme der Apostel. Fromme Männer bestatteten Stephanus … Saulus aber versuchte, die Kirche zu vernichten; er drang in die Häuser ein, schleppte Männer und Frauen fort und lieferte sie ins Gefängnis ein“ (Apg 8,1b-3).
Es gab weder eine gefestigte Anhängerschaft Jesu noch einen gefestigten Osterglauben, da bricht bereits eine schwere Verfolgung über diese Gruppe herein. Sie werden zerstreut und verfolgt. Die Erzählung vermittelt das Gefühl, dass sich mehr oder weniger die Bewegung in einem Auflösungsprozess befindet. Es gibt nur noch die Apostel in Jerusalem und einige Zerstreute, die das Evangelium zu verkünden versuchen. Es erhebt sich die bedrängende Frage: Hat die Gemeinschaft, diese werdende Kirche Zukunft? Vermutlich hätte damals niemand auf sie gewettet.
Die Apostelgeschichte zeigt dann auf, wie es weitergegangen ist, beziehungsweise wie dieser verbliebene „Rest“ weitermacht. Vielleicht können wir aus den Erzählungen den einen oder anderen Impuls für eine Kirche entnehmen, die sich in einem großen Umbruch befindet und im Moment niemand weiß, welche Gestalt sie in zwei oder drei Jahrzehnten haben wird.
Ein erstes, was auffällt: Am Beginn der Apostelgeschichte beim Pfingstereignis wird erzählt, dass die ganze Stadt zusammenströmt und der Predigt des Petrus lauscht. Nach der Vertreibung aus Jerusalem ist nicht mehr von Volksmassen die Rede, sondern es wird von Begegnungen mit einzelnen Personen oder kleineren Gruppen berichtet.
Die Apostel hören, dass in Samaria einige das Wort Gottes angenommen haben. Petrus und Johannes gehen dorthin, beten für sie, damit sie den Heiligen Geist empfangen. Sie legen ihnen die Hände auf (Vgl. Apg 8,14-17). Sie stärken diese Frauen und Männer und bieten ihnen Rückhalt.
Philippus begegnet auf dem Weg einem wallfahrenden Äthiopier. Es ist ein hoher ägyptischer Staatsbeamter. Philippus hört, dass er sich mit einem Gottesknechtslied aus dem Propheten Jesaia beschäftigt. Er fragt: Verstehst du, was du liest? Es wird zu einem gemeinsamen Weg mit einem ausführlichen Gespräch. Schließlich kann Philippus den Äthiopier taufen (Apg 8,26-40).
Danach wird erzählt, dass Saulus auf dem Weg nach Damaskus vom hohen Ross fällt und von der Frage getroffen wird: Saul, warum verfolgst du mich? Der Jünger Hananias, der in Damaskus lebt, hat eine Vision, in der ihm aufgetragen wird, sich des Saulus anzunehmen. Er geht Saul entgegen. Sie erzählen sich gegenseitig ihre Erfahrungen. Sie bestärken sich und es führt ebenso dazu, dass sich Saul taufen lässt (Apg 9,1-22).
Es geht mit dem Bericht weiter, dass Petrus die einzelnen Gemeinden bereist. Er verkündet das Evangelium, betet mit den Menschen, heilt und erweckt Tote: Äneas, der bettlägerig war, heilt er und Tabita – sie ist wegen ihres sozialen Engagements und ihrer Nähkunst geachtete – erweckt er vom Tod (Apg 9,32-43).
Und anschließend folgt die Begegnung des Petrus mit Cornelius und der Taufe der Familie. Die Lesung gibt nur teilweise den Grund wieder, der zu dieser Taufe führte. Sowohl Cornelius als auch Petrus haben Visionen, die dem Ereignis vorausgehen. Dem Cornelius erschien ein Engel, der ihn den Herrn erkennen ließ und der ihm auftrug, nach Petrus rufen zu lassen. Und Petrus hatte während eines Gebetes eine Vision: Er hatte Hunger und da kam vom Himmel her eine Schüssel mit unterschiedlichem Getier. Eine Stimme sagte zu ihm: Iss. Er sagte: Niemals. Ich esse nichts Unreines. Da kam die Stimme noch einmal: Iss. Und erkläre nicht für unrein, was Gott für rein erklärt hat (Apg 10,9-16).
Er wurde für ihn zum Bild, dass auch die Heiden, die er bisher als unrein ansah, in den Augen Gottes nicht unrein sein können. Die Vision führt zu einem wichtigen Schritt in der werdenden Kirche, nämlich die Öffnung des Glaubens für die Heiden.
Unsere Kirche erlebt einen Umbruch. Es gibt zwar keine offizielle Verfolgung, aber bei vielen lebt das Gefühl, es löst sich vieles auf. Es verflüchtigen sich Glaubenswissen und Traditionen, vertraute Gebete und Riten. Es gibt eine innere Flucht. Viele haben Mühe sich mit der Kirche zu identifizieren.
Einige Aspekte, die ich dem Abschnitt aus der Apostelgeschichte entnehme, möchte ich nochmals hervorheben:
Wichtig wird bleiben, dass sich gegenseitig Stärken: Einander die Hände auflegen, einander segnen, einander Mut machen.
Wir werden nicht mehr die Massen ansprechen können. Umso wichtiger werden einzelne Begegnungen sein oder auch die Begegnungen in kleineren Gruppen. Wir sind immer wieder versucht die Menschen zu zählen, die da sind. So sehr wir uns freuen dürfen, wenn viele da sind, wichtig ist, dass wir uns vor Gott wissen. Er ruft. Er plant die Zukunft, vermutlich mit den Wenigen.
Es gehört zum Kern der Kirche: das Heilen und Tote erwecken; das Dasein für Menschen, die daniederliegen; jenen Leben einzuhauchen, die nichts mehr vom Leben erwarten.
Von Petrus dürfen wir lernen, dass er ein Lernender ist. Die Krise der Vertreibung hat bei Petrus zur Vision geführt, den Glauben für die Heiden zu öffnen. Man besitzt nicht den Glauben, sondern der Glaube ist immer verbunden mit Lernen, mit Dazulernen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Johannesbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
4 Kommentare zu “Leben einhauchen 1. Lesung: Apg 10,25-26.34-35.44-48| 2. Lesung: 1 Joh 4,7-10| Evangelium: Joh 15,9-17”
Lieber Erich.
Danke für deine MUTMACHENDEN Worte. Die Worte von Dag Hammerskjöld
GOTT BRAUCHT DICH AUCH WENN ES DIR IM AUGENBLICK NICHT PASST…haben mich tief berührt. Ich habe diese Karte vor Jahren bekommen. Danke das Du mich mich auf meinem Weg begleitest.
Elisabeth kleinbichler
Prof. Gampers Weisheit in Ehren. Ob sie als “Interpretationsschlüssel” für die Apostelgeschichte bzw. für die Anfänge des Wachsens und Werdens der Kirche herhalten kann, scheint mir fraglich. Ist das Bild des “Alles-Lenkers”, der seinen Geschöpfen das Denken überlässt (wieso eigentlich?) – gerade hinsichtlich der phänomenales Geistesdynamik in diesem Test – nicht eigentlich überholt, weil es den Weg zum Glauben an den Auferstandenen und seine Wirksamkeit in der Geschichte eher verschließt als eröffnet?
Liebe Elisabeth Kleinbichler,
danke für den ergänzenden Gedanken von Dag Hammerskjöld. Es ist seit Abraham das Anliegen Gottes, die Menschen groß zu machen und ihnen zum Segen zu sein (Vgl. Gen 12,2). Danke, dass du dich darauf einlässt.
Erich Baldauf
Gedanken zur Rückmeldung von Walter Buder: Den Satz von Prof. Gamper: “Der Mensch denkt und Gott lenkt” als “Interpretationsschlüssel” der Apostelgeschichte anzusehen, mag der “Geist-Dynamik” der wachsenden Kirche am Beginn vermutlich wirklich nicht gerecht zu werden. Der Satz betrifft eher meine Situation in Bezug auf die kirchliche Situation der Gegenwart. Ich stoße mit meinen Überlegungen über die Zukunft der Kirche schlichtweg an Grenzen. Es übersteigt (überfordert) mein Denken. Dennoch glaube ich, dass die biblische Botschaft auch kommende Generationen ansprechen, beziehungsweise in Bann ziehen wird.
Erich Baldauf