Lobpreis Gottes an Weihnachten Die Geburt Jesu von Walter Kirschschläger gedeutet
Christinnen und Christen ausgangs des 1. Jh. wussten wie wir bereits um die Geburt Jesu. Die Vorgeschichten (Lk 1–2) wollen den Leserinnen und Lesern nicht etwas Neues über das Werden Jesu vermitteln. Lukas schreibt die Erzählungen in einem „Geschichtenkranz“ (Heinz Schürmann) als Hilfe für die Glaubenden seiner Kirche(n). Sie sollen dazu beitragen, den Anfang des Lebens Jesu entsprechend in das eigene Glaubensdenken (und -leben) einzuordnen. Diese Erzählungen werden immer wieder durch hymnenartige Texte unterbrochen. Diese Abschnitte können als religiöser Kommentar zu den erzählten Geschichten gelten. Darin wird aufgezeigt, wie sich die Geburt Jesu in den großen Rahmen der Gottesgeschichte mit den Menschen einordnen lässt. Ausgangspunkt dafür ist jeweils das Gotteslob, das in der Regel deutend begründet wird. (Sprachliches Kennzeichen dafür ist die Weiterführung des Eingangslobes mit „denn …“). Schon die Kernsätze einzelner hymnischer Texte führen zu einem vertieften Verstehen des Weihnachtsgeschehens.
„Denn Gott hat sein Volk besucht“ (Lk 1,68b)
Der Hymnus des Zacharias verweist auf den neuen Herrn, dem sein soeben geborener Sohn „vorangehen“ wird (Lk 1,76, sodann 3,1–20). Die hymnische Rede beginnt mit dem Lobpreis des HERRN, des Gottes Israel also. Sie hat in ausdrücklich geisterfüllter Atmosphäre das gesamte Christusgeschehen im Blick. Die das Gotteslob leitende Begründung verweist auf den darin erkennbaren Besuch Gottes bei seinem Volk. Die Einheitsübersetzung 2016 und die Lutherrevision 2017 benennen mit ihrer Neuformulierung deutlicher, worum es geht: Gott besucht die Menschen (früher: „heimsuchen“). Zumindest der Besuch Gottes bei Abraham kommt da in den Sinn (vgl. Gen 18,1–15). Jene Erzählung lässt die Bedeutung des Gesagten erkennen: Wenn Gott zu Besuch kommt, ist er Gast. Damit ist gesagt: Alle Aufmerksamkeit, Ehrerbietung und Sorge kommen dieser Person allein schon deswegen zu, weil sie als Besuch kommt (vgl. als Negativbeispiel Gen 19,1–11). Im Christusgeschehen ist Gott ein sehr nachhaltiger Gast. Lukas spielt mehrmals in seinem Evangelium auf dieses Verhalten Gottes an – sei es z. B. anlässlich der Heilung des Schmerzes einer Witwe in Nain (Lk 7,11–17, bes. Vers 16) oder in der Beanspruchung des Gastrechtes durch Jesus selbst im Hause des Zachäus (Lk 19,1–10). Schon in Lk 1,68 umschreibt Lukas die Dimension des göttlichen Kommens: Dieser Besucher schafft seinem Volk, also den Menschen um ihn, Erlösung. Die theologische Rede lässt sich gut entschlüsseln, denn in der Ankündigung eines Erlassjahres, die Lukas in 4,18–19 als Kernbotschaft Jesu formuliert, erschließt der Evangelist diesen neuen Horizont: Mit der Geburt Jesu beginnt eine neue Zeit. Jede und jeder kann reinen Tisch machen und ohne Einschränkung neu beginnen – ähnlich wie es Lev 25 für die periodisch wiederkehrende Schuldtilgung vorgegeben wird.
„Denn meine Augen haben das Heil gesehen …“ (Lk 2,30)
Mit der Deutung des Simeon angesichts des neugeborenen Jesusknaben kann hier weitergedacht werden. Das Sehen des Jesusknaben vermittelt dem prophetischen Mann eine intensive Form des Friedens. Sie macht ihn dazu bereit, seinem Gott im Tod gegenüberzutreten. Für den biblischen Menschen ist „Friede“ ein Geschenk Gottes. Es ermöglicht ein ungetrübtes Verhältnis zwischen Gott und Mensch (und umgekehrt), ohne Sand im Getriebe: Ausdruck also einer geglückten personalen Beziehung und Kommunikation. Lukas verwendet in der folgenden Begründung (Lk 2,30) den theologisch gefüllten Begriff Heil und bezeichnet damit erneut das gesamte Christusgeschehen. Mit diesem Wort und der Wortfamilie geht der Evangelist sehr sparsam um: In der Engelsbotschaft an die Hirten hat Lukas die entsprechende Bezeichnung für Jesus selbst gewählt: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland (andere Übersetzung: der Retter) geboren“ (Lk 2,11). Im Wort des Simeon wird die Deutung ausgeweitet. Der neugeborene Knabe ist Gottes Heilszeichen „vor allen Völkern“ (Lk 2,30) und gerade darin ein erleuchtendes Licht. Das Sehen und Hinschauen ist in diesem Lobpreis entscheidend. Die Rede vom „Licht“ fügt sich da gut ein. Schon Num 21,8–9 wird in der Erzählung von der ehernen Schlange darauf angespielt, dass Gott sichtbare Zeichen des Heils setzt. Im Johannesevangelium wird auf dieses Sehen des Heils in den von Gott gesetzten Zeichen mehrfach Bezug genommen. Dieses Schauen und Sehen ist auf Jesus Christus bezogen (vgl. Joh 3,14, sowie schon 1,29.36, sodann 19,37 und 20,20).
„Herrlichkeit Gott in den Himmelshöhen, und Friede auf Erden den Menschen (in) seinem Wohlgefallen“ (Lk 2,14)
In der Darstellung des Evangelisten geht dieses Gotteslob nicht auf Menschen zurück. Unmittelbar nachdem ein „Engel des HERRN“ (Lk 2,9) den neugeborenen Knaben als den „Retter, das ist Christus, der HERR“ (Lk 2,11) proklamiert hat, wird mit diesem Lobpreis das Geburtsgeschehen aus dem Himmel gedeutet. Die Botschaft ist unmissverständlich: In der Geburt Jesu zeigt sich Gottes Herrlichkeit, sein Feststehen also und seine Treue. So werden die Menschen dazu befähigt, zu Gott in Frieden zu stehen. Gleichsam auf das gesamte Evangelium vorausgreifend nennt Lukas dafür die Grundlage: Es ist das Wohlgefallen Gottes, das die Menschen im Christusgeschehen erfahren dürfen. Er erweist sich in Tat und Wort als das Person gewordene JA Gottes zu allen Menschen (vgl. 2 Kor 1,20).
Der ganze Text der angesprochenen Hymnen erschließt einen vertiefenden Zugang zu ihren Leitgedanken.
Walter Kirchschläger, em. Professor für Neues Testament, Luzern
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 1/19 publiziert worden.