Aufmerksam und wachsam feiern 1. Lesung: Jes 9,1-6 | 2. Lesung: Tit 2,11-12 | Evangelium: Lk 2,1-14
Feiern wir Weihnachten am falschen Ort? Die Frage stellte sich mir beim wiederholten Lesen des Evangeliums und auch jetzt beim Betrachten der Krippe. Es ist eine ernste Frage. Lukas schildert uns die Geburt des Kindes Jesus in einem Stall. Eine Krippe ist das erste Bett.
Der Geburtsort des Gottessohnes ist nicht der Tempel, der das Allerheiligste beherbergt, der doch für die Anwesenheit des Allerhöchsten prädestiniert wäre. Es ist auch nicht der Königshof mit Dienerschaft, der einem göttlichen Kind viele Annehmlichkeiten bieten könnte. Es ist kein Haus des Mittelstandes, das von einer städtischen Umgebungsmauer geschützt wäre. Der Geburtsort nach Lukas ist ein Stall, vermutlich ein zweigeteilter, bei dem die eine Hälfte als Wohnraum für die Menschen dient und der andere Hälfte als Wohnraum für die Tiere, für die Schafe und Ziegen. Sie liefern ein wenig Wärme. Es ist ein Ort mit Stallgeruch.
Weihnachten birgt die Botschaft, dass Gott jene Orte nicht scheut, die Geruch verbreiten, bzw. an denen es stinkt. Das Johannesevangelium erzählt es von Jesus bei der Auferweckung des Lazarus. Bevor der Stein vom Grab genommen wird, warnt Marta Jesus: Er – Lazarus – riecht aber schon. Er liegt bereits der vierte Tag im Grab. (Joh 11,39) Jesus lässt trotzdem den Stein wegnehmen. Wenn wir in der Kirche Weihnachten feiern, dann ruft uns das Evangelium in Erinnerung, dass die weihnachtliche Kirche eine Kirche ist, die an den Orten zu finden ist, wo nicht Weihrauch, Parfüm und andere Duftstoffe die Realität des Lebens übertünchen. Die weihnachtliche Kirche ist gerade dort zugegen, wo noch vieles im Argen liegt, wo der Geruch der Not, der Wunden, der Arbeit und des Schweißes in der Luft liegen. Eine weihnachtliche Kirche ist eine bescheidene, ohne Marmor und Glanz, eine den Menschen in unterschiedlichsten Nöten und Bedrängnissen zugewandte. Ein Stall, eine Krippe – sie werden zu Zeichen, an denen der Himmel die Erde berührt. Für Hirten ist es das Alltägliche. Ja, das Alltägliche macht Gott zum Besonderen. Er berührt uns im Alltäglichen, im beruflichen und familiären Alltag. Da lässt er sich finden.
Jesus – „Gott hilft, Gott rettet“ – wird in einen Stall hinein geboren, nicht in den Tempel. Die weihnachtliche Kirche der Zukunft wird zu den Menschen gehen, bei denen noch viel im Argen liegt. Sie wird diese Menschen fragen: Was braucht ihr von uns? Was können wir für euch tun? Übrigens Fragen, die Jesus oft jenen stellte, die er anschließend heilte.
Der Evangelist Lukas berichtet uns, dass es die Hirten sind, die von den Engeln als erste hören, dass der Retter geboren ist. Es sind nicht die religiösen Profis, die Leviten, Priester und Hohenpriester, die regelmäßig im Tempel Dienst tun. Es sind auch nicht die Schriftgelehrten und Pharisäer, die die religiösen Vorschriften bestens kennen und versuchen sie in ihrer Version bestmöglich zu leben. Es sind die Hirten, die als notorische Sünder gelten, die sich z.B. nicht an das Sabbatgebot der 1000 Schritte halten können. Sie würde man in der heutigen Sprache wohl als die „Fernstehenden“ bezeichnen.
Die Hirten, die religiösen Außenseiter nennt Lukas als die ersten Adressaten der weihnachtlichen Botschaft. Die Botschaft von Weihnachten ist eine Warnung an die Selbstsicheren, die meinen, Gottes habhaft zu sein, rechthaberisch im Namen Gottes Druck auf andere ausüben zu wollen, und mit Hilfe ihres Glaubens andere zu Außenseitern zu stempeln. Hirten zeichnet die Wachsamkeit aus. Sie sind es vor allem in der Nacht, damit sie selbst und ihre Tiere nicht durch Räuber zu Schaden kommen. Den Wachsamen, den Aufmerksamen, die mit den Nächten des Lebens vertraut sind, und die sich weder von den gleißenden Lichtern blenden noch längst vergangenen Idyllen irreführen lassen, wenden sich die Engel Gottes zu. Der Evangelist Johannes schreibt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Die weihnachtliche Botschaft verunsichert, lässt zumindest fragen: Gott ist frei in seiner Weise, wie er zu den Menschen spricht und frei, zu wem er spricht?
Die Hoffnung dieser Nacht/dieses Tages liegt auf einem Kind. In einem Kind erscheint der Retter der Welt. Es ist ein gefährdetes Kind von Anfang an, wie wir bald hören werden. Es muss wie jedes Kind ins Leben geliebt werden. Es braucht Zuwendung und Schutz. Es ist aber die Art und Weise, wie sich Gott uns auch heute zuwendet.
Gott fängt klein an. Er fängt als Kind an, nicht als ausgereifter, erwachsener Mensch. Da ist noch so vieles offen und viel unfertig. Es braucht noch viel Geduld. Die junge Kirche sah in diesem Kind auch das eigene Schicksal.
Vielleicht ist gerade dieses Bild für das Verständnis von Kirche sein in unseren Tagen wichtig. Wir erleben – besonders die ältere Generation -, dass eine bestimmte Gestalt von Kirche – vielleicht trifft die Bezeichnung „Volkskirche“ zu – stirbt. Diese Kirchengestalt wird vergehen. Es mag manche traurig stimmen, weil sie bisher viel Herzblut eingebracht haben. Wenn eine bestimmte Gestalt von Kirche stirbt, dann heißt das nicht, dass die bisherige Arbeit oder Engagement schlecht oder falsch waren. Das ist nicht das Thema, sondern mit weihnachtlichen Augen auf die Situation geschaut meint, aufmerksam und wachsam zu schauen, was Gott heute beginnen will? Vielleicht noch klein, unfertig, mit vielen ungelösten und offenen Fragen.
Die Botschaft der Engel an die Hirten schallt in die Nacht hinein: Heute ist euch der Retter geboren, der Messias, der Herr. Heute wendet sich uns Gott neu zu, als wäre er zum ersten Mal verliebt. Heute fängt er mit denen, die der Botschaft trauen, die Rettung an. Heute – da mag noch viel unsicher und unfertig sein – gilt die Botschaft der Engel: Wo Gott geehrt und verherrlicht wird, wird den Menschen auf der Erde Frieden.
Sollte der Glaube nur hier in der Kirche zum Tragen kommen oder (vermeintlich) gelebt werden, dann würden wir nach Lukas Weihnachten tatsächlich am falschen Ort feiern.