Prophet für die Völker 1. Lesung: Jer 1,4-5.17-19|2. Lesung: 1 Kor 12,31-13,13|Evangelium: Lk 4,21-30
Jeremia, ein Prophet von Anfang an und das wider Willen. Ehe er im Mutterleib geformt und aus dem Mutterschoß hervorkam wurde er vom Herrn zum Propheten auserwählt. Ich versuche manche Aspekte dieser außergewöhnlichen Prophetengestalt näher zu bringen.
Die Zeit des Wirkens begann vor der babylonischen Gefangenschaft, setzte sich dann in der babylonischen Gefangenschaft fort. Er kehrte wieder nach Jerusalem zurück und dann allerdings verläuft sich seine weitere Lebensspur.
Das Prophetenamt war ihm ins Leben mitgegeben. Es wurde ihm manchmal zur großen Last. Er wirft Gott einmal vor: Du hast mich betört. Mit etwas anderen Worten: Du hast mich hineingelegt. Und ich ließ mich betören (Jer 20,7). Weil er ständig auf Widerstand stieß, nahm er sich einmal vor zu schweigen. Aber das Schweigen hielt er noch weniger aus. Es zerriss ihn innerlich. Wie sehr ihm das Prophetenamt zusetzte, zeigt folgende Feststellung: „Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet“ (Jer 20,14). Die Botschaft, die er den Menschen zu bringen hatte, nämlich der Untergang Jerusalems mit den katastrophalen Begleitfolgen, dazu die Verbohrtheit des Königs, der Priesterschaft und der Bürger führten ihn in die zitierte Depression. Alles und alles stellte sich gegen ihn. Sie hielten seine Botschaft für Unsinn. Er fühlte sich von allen verlassen, auch von Gott. Schicksal eines Propheten.
Noch ein Wort zur Prophetie: Propheten sind Menschen, die in besonderer Weise zur Sprache bringen, was wahr ist; die die dunklen Machenschaften, falsche Einschätzungen von politischen, religiösen und gesellschaftlichen Gegebenheiten aufdecken, die Ungerechtigkeiten und Unmenschliches beim Namen nennen. Es muss daher nicht verwundern, dass Jeremia im Streit mit den Königen, den Beamten, der Priesterschaft und den Bürgern des Landes stand. Das Ringen, ob Jeremia ein Prophet sei oder nicht, ging nach seinem Tod in Israel weiter. Es dauerte sechs Jahrhunderte bis er als solcher anerkannt wurde.
Er ist ein von Anfang an von Gott berufener Prophet. Er stammt zwar aus der Priesterschaft in Anatot, doch ist damit gesagt, dass ihn nicht die Familie, die Priester oder die Religion zum Propheten machten. Sein prophetisches Wirken hat den Ursprung in Gott selbst. So dürfen wir auch heute viel Prophetisches jenseits der Kirche vermuten und finden: etwa bei Journalisten, die sich der Wahrheitsfindung und nicht der Meinungsmache verschreiben; in Wahrheitskommissionen; in den Wissenschaften, die z.B. die Zusammenhänge der Klimakrise erforschen; in Gruppen und Organisationen, die sich in den Dienst der Menschlichkeit und Gerechtigkeit stellen.
Jeremia ist berufen ein Prophet für die Völker zu sein. Er bringt damit eine neue Dimension in den Glauben Israels ein. Er ist Prophet über die Grenze des eigenen Volkes hinaus, ein Prophet für die Völker. Prophetisches Künden und Tun sprengt die Grenzen der eigenen Person, des Volkes oder der Religion. Prophetisches Künden und Tun sprengt damit auch die Grenzen einer Pfarre und der Kirche. Es wäre zu wenig zu fragen: Was sichert das Überleben der Pfarre? Was sichert die Existenz der Kirche? Prophetisches Künden und Tun fragt: Was ermöglicht allen Zukunft? Was steht im Dienste aller?
Ein Reden im Sinne, dass das Leben mein ist, die Gesundheit allein meine Sache sei oder jemand eine Freiheit für sich beansprucht, ohne die Belastungen für andere oder der Gemeinschaft zu berücksichtigen, ist alles andere als prophetisch. Mit der Sprache der Bibel gesprochen rückt solches Denken und Reden in den Bereich des Götzendienstes.
Zu Jeremia spricht der Herr: Siehe, ich selbst mache dich heute zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur bronzenen Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester … und gegen die Bürger des Landes (Jer 1,18). Dieser Satz ist auf dem Hintergrund zu bedenken, dass Jerusalem zur zerstörten Stadt wurde. Wie kann da Jeremia zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur bronzenen Mauer werden?
In einer Gesellschaft, in der kein Stein auf dem anderen bleibt, in der alles, was bisher Sicherheit bot, verloren geht: König, Priesterschaft, Häuser, geregeltes Leben u.a.m., wird gefragt: Woran können wir uns orientieren? Wo wohnen? Wer gibt uns Halt? Wer Sicherheit?
Seine Botschaft wird zum neuen Wohnort für die Menschen. Das, was er den Menschen sagt, hilft den Menschen im Weiteren mit ihrer Situation, mit der Lebensrealität umzugehen. So schreibt er z.B. einen Brief an die Verbannten in Babylon, der zum Inhalt hat: Sie sollen dort Häuser bauen, heiraten, für das Wohl des Königs und des Volkes beten, damit es auch ihnen gut gehe (Vgl. Jer 29). Es ist die Absage auf falsche Hoffnungen zu setzen, etwa an die baldige Rückkehr und ein Ende der Gefangenschaft.
Jeremia wird zu einer eisernen Säule im Chaos der widerstrebenden Meinungen und Auseinandersetzungen. Auf wen hören, wenn alles neu wird und niemand auf gewohnte Erfahrungen zurückgreifen kann. Ein Handeln, das allein von Umfragen geleitet würde, führt zu keinem tragfähigen Weg in die Zukunft. Es braucht vielmehr den Dienst an der Wahrheit.
Jeremia eine bronzene Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester … und Bürger des Landes: Wir können nur erahnen, wie sehr Jeremia ein Außenseiter war, beziehungsweise zum Außenseiter wurde. Wir dürfen davon ausgehen, dass er vermutlich der Sprecher einer Gruppe oder Bewegung war. Mit der Realität ernstnehmen und der Wahrheit dienen haben sie Israel Zukunft ermöglicht.
Leider müssen wir sagen, dass in den letzten Jahrzehnten innerhalb unserer Kirche der prophetische Dienst keine besondere Beachtung erfahren hat. Meine Meinung ist, dass er in einem eigenartigen Gehorsamsverständnis nahezu erstickt wurde.
Prophetischer Dienst: Realitäten ernst nehmen und der Wahrheit und Wahrhaftigkeit dienen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten: